Westliche Glücksforschung
Während der Buddhismus schon immer die Überwindung des Leidens zum Ziel hatte und damit das Streben nach “echtem” Glück auf Grundlage der Entwicklung positiver Geisteshaltungen, war das Ziel der westlichen Psychologie vor allem Störungen des Geistes – Psychosen und Neurosen – zu lindern und zu heilen. Erst in den letzten Jahren gibt es den neuen Trend der “positiven Psychologie” oder “Glücksforschung”.
Glück wird dabei als Summe unserer Gefühle und Gedanken betrachtet, die letztlich nicht zufällig sind, sondern auch bewusst beeinflusst werden können. Glück ist deshalb keineswegs zufällig, sondern (auch) eine Frage der kontinuierlichen Übung. Negative Gefühle sollen dabei aufgedeckt und akzeptiert, aber auch analysiert werden. Und schlussendlich werden ihnen positive Haltungen entgegengesetzt.
Glückliche Menschen, so zeigen empirische Untersuchungen, weisen bestimmte Tugenden auf, wie sie auch den Vorstellungen der traditionellen Religionen entsprechen und entwickelt werden sollen. Dabei handelt es sich um Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Dankbarkeit, Freigiebigkeit, Mäßigung, Mut, Weisheit und Transzendenz. Dazu kommen noch Charaktereigenschaften wie Bindungsfähigkeit, soziale Intelligenz und Fairness.
Für das Glücksempfinden selbst von besonderer Bedeutung ist zudem ein Zustand meditativer Bewusstheit im Augenblick (wie es beispielsweise der Buddhismus anstrebt), also Achtsamkeit oder auch “Flow” im Sinne der westlichen Psychologie. Dadurch verringern sich negative Einstellungen und Grübeln.
Nicht Reichtum, Attraktivität, Jugend oder Intelligenz, so belegt auch die moderne Forschung was wir intuitiv wohl schon immer wussten, sind die wesentlichen Faktoren für Glück, sondern Harmonie, Empathie mit den Mitmenschen sowie Gemeinschaft, Engagement, kreative Aktivität, Sinn und Wertorientierung. Und dafür, dass wir das Positive überhaupt erst erkennen und wertschätzen können, benötigen wir Optimismus und den Glauben an die Möglichkeit von Glück.
Die wichtigste Rolle allerdings spielt unsere Einstellung, die Sicht auf das, was wir erleben. Im Buddhismus wird dies durch die Lehre von der Leerheit der Erscheinungen ausgedrückt. Diese besagt, dass nichts von sich aus gut oder schlecht ist, sondern alles von der Interpretation des Geistes abhängt. Ob nun ein Ereignis glücklich oder traurig oder verzweifelt macht, hängt davon ab, wie wir es sehen können, welche Position wir einnehmen. Vom Dalai Lama stammt dazu die Empfehlung, “um ein Problem so lange herumzugehen, bis man es positiv sieht”. Schwierigkeiten können so, z.B. über das Annehmen von Schmerz, Trennung und Leid, zu nachhaltigem Glück führen. Jenseits der inneren Faktoren sollen aber auch äußere nicht vergessen und vernachlässigt werden. Selbstverständlich unterstützen ein sicherer Arbeitsplatz, Gesundheit, ein angenehmes Umfeld, Freiheit und ein gewisser Wohlstand das Erleben von Glück. Körperliche und soziale Umstände wirken zweifelsohne auf unseren Geist, so wie auch unser Geist, unsere geistigen Einstellungen, auf unseren Körper und unser Umfeld einwirken. Gesunde Ernährung, adäquate körperliche Aktivität, guter Schlaf, befriedigende, auch körperlich befriedigende Beziehungen u.a.m. beeinflussen deshalb unseren Geist und tragen von dieser Seite her bei, dass wir Glück (leichter) erleben können.
Quelle
Oliver Peterson: Westliche Glücksforschung auf neuen Wegen: In: Tibet & Buddhismus 1/2010