Wenn die Vergangenheit die Gegenwart belastet. Shiatsu und Übertragung (Eduard Tripp)
Die Begegnung im Shiatsu steht vor allem unter dem Aspekt der direkten und unmittelbaren Begegnung aus dem Hara. Shiatsu hat sein Zentrum in der Gegenwart, ist Arbeit im Hier-und-Jetzt. Die spontane Wahrnehmung dessen, was im Moment wichtig ist, und die ebenso spontane Umsetzung der „Antwort“ aus der eigenen Mitte heraus, sind zentrale Aspekte von Shiatsu.
Ein weiterer Aspekt von Shiatsu berücksichtigt Zeit und Kausalität im Sinne von Absicht und Prognose. Die Erstellung einer Diagnose sucht nach Ursachen, nach Ausgangspunkten für die aktuelle Situation in der Vergangenheit. Die Behandlung, die an die erfolgte Diagnose anschließt, zielt auf ein bestimmtes Ergebnis in der Zukunft, zielt auf Gesundheit, ein Nachlassen der Schmerzen, die Fähigkeit schlafen zu können u.ä.m.
Das sind zwei Ansätze von Shiatsu, die zu vereinen allein oftmals schon schwierig ist. Zugleich ist Shiatsu aber immer auch die Begegnung zweier Menschen mit ihren jeweiligen Lebensgeschichten und ihren ganz persönlichen Erfahrungen. Der Shiatsu-Gebende, der sich seiner klar bewusst ist und im Hara, in seiner Mitte ruht, vermag seine Lebenserfahrungen klar von der gegenwärtigen Wahrnehmung zu trennen und sie doch auch in seine Arbeit bereichernd einfließen zu lassen. Er ist offen für die lebendige Begegnung im Hier-und-Jetzt. Und auch der Klient, der Shiatsu-Empfangende kann, eine gewisse Reife vorausgesetzt, zwischen Erinnerungen, Wünschen, Ängsten einerseits und der konkreten Begegnung andererseits unterscheiden.
Soweit die Theorie. Die Praxis jedoch zeugt von einer Vielfalt von Komplikationen und Schwierigkeiten in der Arbeit mit Shiatsu, die sich mit dem psychoanalytischen Konzept von Übertragung und Gegenübertragung erklären lassen.
Was ist unter Übertragung zu verstehen?
Grundlegend für die psychodynamische Betrachtung ist die Annahme, dass unsere Entwicklung das Anpassungsergebnis an unsere Beziehungen und unsere Erfahrungsgeschichte ist. Auf diesem Weg werden zugleich aber auch Beziehungsmuster verinnerlicht, die psychosoziale und psychosomatische Störungen zur Folge haben können und einen schwierigen Zugang zur Welt und zu den Menschen in ihr mit sich bringen. Für die Behandlung von psychischen und somatischen Störungen ist deshalb die Beziehungserfahrung in der therapeutischen Beziehung (zwischen Therapeut und Klient) von wesentlicher Bedeutung.
Wie können wir uns das vorstellen? Wenn wir als Klient einen Behandler aufsuchen, so ist diese Kontaktaufnahme normalerweise (d.h. wenn nicht starke Störungen der Realitätswahrnehmung vorliegen, wie z.B. in der akuten Psychose) zunächst einmal von den ganz konkreten Bedingungen dieser Begegnung geprägt. Geprägt davon, wer unser Gegenüber ist. Ob es ein Mann oder eine Frau ist, wie alt er ist und ähnliches mehr.
Und doch verlassen wir schon jetzt auch schon den Boden der konkreten Wahrnehmung, denn bereits die ersten Augenblicke einer Begegnung lassen uns unser Gegenüber entweder sympathisch oder unsympathisch, vertrauenswürdig oder verunsichernd, anziehend oder abstoßend (…) erleben. Den Ausschlag geben hier nicht unsere konkreten Erfahrungen mit unserem Gegenüber, den wir ja bislang noch gar nicht wirklich kennen, sondern vielmehr unser ganz persönlicher Lebenskontext, unsere Prägungen, Erfahrungen, Erinnerungen, Wünsche und Ängste.
Möglicherweise erinnert uns unser Gegenüber an einen früheren Partner, einen Freund, eine Freundin, einen Elternteil, ein Geschwister oder ein Kind. Und damit werden dann auch die damit verbundenen Erfahrungen, Wünsche und Befürchtungen wachgerufen. Positive Erfahrungen und Gefühle ebenso wie negative Erfahrungen und Gefühle – unabhängig davon, ob wir uns ihrer bewusst sind oder nicht. Diesen Vorgang bezeichnet die psychoanalytische Theorie als Übertragung.
Ihrem Wesen nach handelt es sich bei der Übertragung um die vor allem unbewusste Tendenz zur Wiederherstellung früherer Beziehungsmuster – aus dem Bedürfnis heraus, unerfüllt gebliebene Wünsche und Sehnsüchte zu befriedigen, unerledigte Konflikte zu lösen oder aufsteigenden Ängsten vorzubeugen. Erlebnis- und Verhaltensmuster aus früheren Erfahrungen werden wiederbelebt, wobei sich die auftretenden Gefühle, Wünsche und Phantasien „in Wirklichkeit“ nicht auf die aktuelle Situation und die reale Bezugsperson beziehen, sondern früheren Bezugspersonen (bedeutungsvollen Menschen in unserem Leben) gelten.
Übertragung bedeutet, dass ein Mensch Gefühle, Haltungen, Phantasien, Triebwünsche und Abwehrreaktionen in Bezug auf eine Person der Gegenwart erlebt, die dieser Person jedoch nicht angemessen sind. Sie ist gleichsam ein Wieder-Durchleben der Vergangenheit, ein Missverstehen der Gegenwart gemäß der Vergangenheit. So unpassend die Übertragungsreaktionen für eine Person der Gegenwart sind, so genau passen sie hingegen auf jemand in der Vergangenheit. Die Übertragung lässt sich deshalb bildlich mit einer Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart vergleichen oder auch mit einem Klebstoff, der die Vergangenheit festhält und sie mit der Gegenwart verbindet.
Übertragungsbereitschaft, d.h. die Bereitschaft, die Gegenwart gemäß der Vergangenheit zu verwechseln ist abhängig vom Grad der Versagung (Frustration) und der daraus resultierenden Suche nach Befriedigung. Der neurotische, frustrierte und unglückliche Mensch lebt durch die Vielzahl seiner ungelösten Konflikte und Sehnsüchte gleichsam in einer ständigen Übertragungsbereitschaft. Je größer der Druck, desto eher werden im Gegenüber die gewünschten oder auch gefürchteten Eigenschaften „gesehen“ bzw. „erahnt“. Wie sich ein Ertrinkender an einen Strohhalm klammert, um nicht unterzugehen, „erkennt“ der neurotische Mensch in seinem Gegenüber die ersehnten Möglichkeiten, schreibt sie ihm zu. Oder aber es werden – ganz im Gegenteil – bedrohliche und unangenehme Erfahrungen „wahrgenommen“, die zu Ablehnung, Distanz und Vorsicht führen.
Normalerweise sind unsere Übertragungen zu Beginn einer neuen Begegnung nicht so massiv, so zwingend, dass die konkret stattfindenden Wahrnehmungen – wie unser Gegenüber spricht, was es sagt, wie man sich angenommen fühlt (oder eben nicht) – davon sehr stark beeinflusst werden. Je intensiver die Beziehung jedoch wird und je größer unsere Übertragungsbereitschaft ist, desto stärker kommen Übertragungen zum Vorschein: Situationen und Erfahrungen, Ängste und Konflikte, die man aus der eigenen Lebensgeschichte her kennt, und damit auch die damit verbundenen Bewältigungs- und Lösungsstrategien, konstellieren („wiederholen“) sich – auch wenn man das Gefühl oder vielmehr die Hoffnung hatte, dass es diesmal ganz anders sein würde.
Das so verlässlich wirkende Gegenüber scheint plötzlich unverlässlich, das Gefühl von Geborgenheit weicht Eindrücken von Kälte und Abweisung oder der Gefahr der Vereinnahmung. Gefürchtete und bedrohliche Situationen entstehen und stellen die Behandlung in Frage. Oder aber unser Gegenüber erscheint uns nun in einem überaus strahlendem Licht, wird idealisiert, begehrenswert und eine Erfüllung der Trieb- und Beziehungswünsche wird (mitunter „mit allen Mitteln“) gesucht.
Der psychoanalytisch orientierte Therapeut fördert die Entstehung von Übertragungen und sucht ihre – im Rahmen der aktuellen therapeutischen Beziehung – größtmögliche Intensität, um dann quasi die „Vergangenheit in der Gegenwart“, die aus der Erfahrung hochgespülten Wünsche und Ängste bewusst erfahrbar zu machen und sie im Anschluss daran aufzulösen. Voraussetzung dafür ist jedoch eine entsprechend „tragfähige Beziehung“ und dass der Therapeut im Laufe seiner Ausbildung das Werkzeug erlernt und die persönliche Reife dazu erworben hat.
Ein alternativer Ansatz (nicht psychoanalytisch orientierter Therapie-Verfahren) betrachtet Übertragung grundsätzlich als Komplikation in der Begegnung und versucht insbesondere durch Betonung der realen Aspekte der Beziehung die Übertragungsreaktionen so gering wie möglich zu halten. Der Erfolg dieses Ansatzes ist abhängig einerseits von der Professionalität und Reife des Behandlers wie auch von der Übertragungsbereitschaft – um nicht zu sagen: Übertragungsnotwendigkeit – des Klienten, denn Übertragung und Realitätswahrnehmung stehen in einem dialektischen Verhältnis. Je größer die Einschränkung der Realitätswahrnehmung ist, desto stärker treten Übertragungen in den Vordergrund. Und umgekehrt, je stärker die Übertragungen sind, desto weniger wird die Realität als solche wahrgenommen, sondern vielmehr im Lichte der eigenen Projektion verkannt.
Übertragung in der Arbeit mit Shiatsu
Shiatsu fördert das regressive Eintauchen in körperbezogene, entwicklungsgeschichtlich frühe Erlebnisformen des eigenen Seins. Von besonderer Bedeutung dafür sind aus psychologischer Sicht insbesondere die auf Berührung (Tastsinn) und Tiefenwahrnehmung beruhende, nichtsprachliche Kommunikation zwischen Klient und Shiatsu-Praktiker, die direkte und offene Zuwendung sowie der beständige und ruhige Rhythmus der Shiatsu-Arbeit – Elemente, die das kontrollierende Wachbewusstsein in den Hintergrund treten lassen. So der Kontrolle durch das Wachbewusstsein (zumindest in größerem Maße) entbunden, können sich verborgene und verdrängte Gefühle, Wünsche, Ängste und Erinnerungen leichter entfalten und durchaus auch bewusst werden.
Nun hängt es von der Reife (und damit Integrationsfähigkeit) des Klienten ab, wie auch von der Einfühlsamkeit und Professionalität des Behandlers, welchen Stellenwert, welche Bedeutung die so auftretenden Affekte und Erinnerungen erlangen. Im Idealfall können sie als Teil der eigenen Vergangenheit, des eigenen Lebens integriert werden und auf diese Weise die innere Erfahrungswelt bereichern und beleben.
Problematischer wird die Situation jedoch, wenn die notwendige Integrationsarbeit nicht geleistet werden kann, weil der Klient zu diesem Zeitpunkt (noch) nicht über die erforderlichen Möglichkeiten verfügt oder der Behandler durch seine Handlungen und sein Verhalten die Integration verhindert oder erschwert.
Der Begriff der Gegenübertragung
An diesem Punkt ist es wichtig, den Begriff der Gegenübertragung als spiegelgleichen Vorgang zur Übertragung zu erläutern. In Abgrenzung zu Gefühlen und Haltungen, die im Behandler wachgerufen werden und durch die Lebensgeschichte und Struktur des Klienten geprägt sind (wenn der Shiatsu-Praktiker frei genug ist, sie wahrzunehmen, sind sie ein gutes diagnostisches und therapeutisches Hilfsmittel), sind „Gegenübertragungen im engeren Sinne“ die Folge unbewältigter innerer Konflikte und Defizite des Behandlers. In diesem Falle verkennt der Behandler die reale Begegnung, legt quasi projektiv seine eigenen Wünsche und Ängste in die Beziehung und handelt ihnen entsprechend (und nicht situations- und vertragsgemäß). Die Ursache für Gegenübertragungen (im engeren Sinne) sind unbewältigte innere Konflikte und Defizite („neurotische Anteile“) des Behandlers.
Wirklich schwierig ist es jedoch zwischen Gefühlen zu unterscheiden, die im Behandler wirksam werden und ihren Ursprung im Klienten haben (als Teil seiner Lebensgeschichte, als Teil seiner Begegnungsqualität) und Gefühlen, die im Behandler wirksam werden und ihren Ursprung in seinen eigenen inneren Konflikten und Bedürfnissen haben.
Die wesentlichsten Instrumente sind hier Selbsterfahrung, Supervision und eventuell auch Eigentherapie, d.h. das Gewahr-Werden und, soweit dies möglich ist, die Lösung der eigenen Konflikte und Defizite in uns. Und wo eine Bewältigung im Moment nicht möglich ist, zumindest das Erkennen dieser Bereiche, um quasi gewarnt und entsprechend achtsam zu sein.
Ein großes Problem im Umgang mit Übertragungen (eigenen und fremden gleichermaßen) ist die Ambivalenz, d.h. die gleichzeitige Anwesenheit einander entgegengesetzter Strebungen, Haltungen und Gefühle (wie z.B. Liebe und Hass) in der Beziehung zu ein und derselben Person. Positive Übertragung (die Verkennung der Realität im Sinne eines Wunsches, einer Idealisierung) wandelt sich deshalb mit der Zeit zwangsläufig in negative Übertragung. Das, was vorher positiv erlebt wurde, wird nun negativ erlebt, verurteilt, schlecht gemacht. Der Idealisierung folgt die Enttäuschung. Aus dem Retter, dem Erlöser, dem Verständnisvollen wird der unfähige und negativ besetzte Helfer. Und aus dem geschätzten Klienten, dem man sich zuwendet, für den man sich engagiert, an den man glaubt, der sich von uns helfen lässt, wird der undankbare, uneinsichtige, der unkooperative Klient, der die Behandlung unterläuft, blockiert, den Behandler verleumdet u.ä.m.
Gerade dieser oft plötzliche und überraschende Wechsel in der eigenen Einstellung oder der des Klienten ist ein wichtiger Hinweis auf Übertragungen (und Gegenübertragungen). Je krasser der Wechsel ist, desto stärker war und ist die Ambivalenz. Zugleich wird damit auch deutlich, wie sehr der eigene Blick (bzw. der des Klienten) getrübt war und meist auch jetzt noch ist.
Ein Beispiel zur Illustration
Wenn ein Klient während einer Shiatsu-Behandlung in traurige Gefühle eintaucht, Schmerz und Leid erlebt, kann die Reaktion des Behandlers, ihn zu trösten, sehr unterschiedlich motiviert sein. Selbstverständlich können sich auch verschiedene Motivationen je nach Situation in unterschiedlichem Maße mischen.
Im idealsten Fall entspringt die Motivation der unverzerrten Wahrnehmung der Gegenwart und die stützende, haltende, tröstende Reaktion der Unmittelbarkeit und Notwendigkeit des Augenblicks. Der Wunsch des Behandlers zu trösten, zu beruhigen und Halt zu geben (vor allem in der körperlichen Dimension) kann aber durchaus, auch unbewusst, dem eigenen Wunsch nach Nähe und erotischer Befriedigung entspringen. Unter dem Deckmantel des Helfens und Unterstützens wird der Klient zur Befriedigung der eigenen, triebhaften Wünsche benutzt, unter Umständen auch missbraucht.
Eine andere Motivation des Behandlers kann darin liegen, dass der Behandler – aufgrund seiner eigenen Lebensgeschichte und seiner persönlichen Erfahrungen – nur sehr schwer Leid und Schmerz ertragen kann, und sein Handeln (im Sinne einer Flucht nach vorne) entspringt dem Wunsch, die qualvolle Situation zu beenden. Bewusst wahrgenommen wird jedoch nur der Wunsch zu helfen, möglicherweise auch noch mit einer entsprechenden Theorie erklärt und „zugedeckt“. Die tiefen Quellen für die Reaktion des Behandlers jedoch liegen in gefühlsmäßig (emotional) ähnlichen Erlebnissen, in wiederholten und/oder traumatischen Erfahrungen der eigenen Hilflosigkeit, Verlassenheit und Ohnmacht.
Eine weitere mögliche Motivation liegt im narzisstischen (Selbstwert-)Bereich des Behandlers. Das für den Selbstwert wichtige und unentbehrliche innere Bild von eigener Größe und Vollkommenheit lässt den Behandler als rettenden Helfer auftreten. Die Hilfe ist jedoch nicht aus der Notwendigkeit von Seiten des Klienten begründet (z.B. wenn die Trauer ein allein bewältigbares Maß übersteigt), vielmehr aus der Notwendigkeit des Behandlers (z.B. dem Bild des idealen Helfers zu entsprechen, Demonstration der eigenen Großartigkeit, wichtig zu sein etc.).
Selbstreflexion und Selbsterfahrung
In der Arbeit mit Menschen bedeuten Selbsterfahrung und Selbstreflexion die Basis professionellen Handelns. Ohne reflektierte Erfahrungen ist es nur schwer möglich, zwischen den verschiedenen Impulsen und Motivationen (Motivationsanteilen) zu unterscheiden und damit frei zu handeln. Einzig die persönliche Erfahrung, das Gewahr-Werden, Bewusst-Werden der eigenen Konfliktpotentiale und Defizite in uns (wie auch die Umsetzung und Lösung derselben in unserem persönlichen Zugang zur Welt) schützen Klient und Behandler vor den oft verletzenden und schmerzlichen Verstrickungen in Übertragung und Gegenübertragung.
Was also ist zu tun? Es erscheint meines Erachtens sinnvoll und notwendig, Selbsterfahrung und Selbstreflexion in die Ausbildung zum Shiatsu-Praktiker, zur Shiatsu-Praktikerin zu integrieren. Gemeint ist damit die offene und kritische Auseinandersetzung mit uns selbst, mit den eigenen, persönlichen Grenzen wie auch mit den Grenzen der Methode. Voraussetzung dafür ist ein emotional vertrauensvolles Klima, das die offene und ehrliche Begegnung mit uns selbst und anderen ermöglicht und behutsam unterstützt. Die Aufmerksamkeit gegenüber inneren Prozessen und Entwicklungen sollte von den Ausbildern mit der nötigen Achtsamkeit (auch durch begleitende Supervision) gefördert werden. Eine entsprechende Kompetenz der Lehrer ist deshalb wünschenswert.
Besondere Beachtung sollte auch auf so genannt „negative“ und „problematische“ Gefühlsausdrücke (wie z.B. Wut, Zorn, Ablehnung, aber auch der Ausdruck von Lust und Begierde) gelegt werden, die sich durchaus auch in Kritik und Vorwürfen (bzw. erotischen Wünschen) gegenüber Lehrern und Ausbildern äußern können. Immer auch ist der Ausbilder als Modell im Umgang mit „schwierigen“ und „negativen“ Gefühlsinhalten anzusehen. Die offene und konstruktive Auseinandersetzung wie auch klare Grenzen und eine entsprechende (Frustrations-)Toleranz auf Seiten des Lehrers sollten hier Zielvorstellung sein – insbesondere wenn die „Personalunion“ von Lehrer und Prüfer naturgemäß einiges an Problematik mit sich bringt.
Ideologische Ansprüche und überwertige Ideen (z.B. der eigenen Vollkommenheit oder der Vollkommenheit der Methode), wie sie gerne auch in „alternativen Nischen“ gedeihen, sollten kritisch betrachtet werden können. So wie zur persönlichen Entwicklung die konstruktive Auseinandersetzung und der zunehmend reife Umgang mit Autoritäten (als auch Shiatsu-Lehrern) gehört, ist für die Suche und das Finden des persönlichen „Shiatsu-Weges“ (shiatsudo) die kritische Auseinandersetzung mit der Methode wichtig, ja Voraussetzung. Ideologien jedoch, die nicht hinterfragt und geprüft werden können, führen immer zu Enge (Eingrenzung) und Erstarrung – und stehen so im Gegensatz zur Lebendigkeit des „Weges“.
In der Arbeit mit Shiatsu – mit Klienten ebenso wie in der Ausbildung – sollte die offene und wohlwollend selbstkritische Begegnung das Leitbild unseres Handelns sein. Ein Leitbild im Sinne einer Orientierung, so wie uns ein Fixstern die Richtung weist – wohl wissend, dass wir ständig am Erreichen dieses Zieles arbeiten müssen und dass wir tagtäglich mehr oder weniger erfolgreich in unserem Bestreben sind und sein werden.
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© Dr. Eduard Tripp, Shiatsu Senior Teacher, Psychotherapeut und Supervisor (www.eduard-tripp.at).