Was macht die Identität eines Menschen aus?

Die Frage, was die Identität eines Menschen ausmacht, beschäftigt die Philosophie in der Fragestellung, welche Beziehung zwischen einer Person in der Vergangenheit und einer Person hier und heute bestehen muss, damit beide (noch) als identisch gelten. Was darf mit einer Person passieren, damit sie dieselbe Person bleibt? Zwei Beispiele zur Illustration:

Wenn Eltern am Bett ihres verunglückten Kindes stehen, das – wie die Ärzte mitteilen – nie mehr das Bewusstsein erlangen wird und ohne lebenserhaltende Geräte nicht zu leben vermag: Ist es immer noch ihr Kind (d.h. ein und dieselbe Person) oder liegt hier nur noch eine menschliche Hülle im Bett?

Ein auf frischer Tat ertappter Mörder erleidet einen Hirnschlag, dessen Folge eine totale Amnesie ist. Soll nun einer Person der Prozess gemacht werden, die ihre Vergangenheit nur noch aus den Erzählungen anderer kennt?


Das Verständnis von Identität in der Tradition von Leibnitz

Die bekannteste Definition von Identität geht auf Gottfried Wilhelm Leibnitz (1646 – 1716) zurück. Für Leibnitz waren zwei Dinge dann identisch, wenn – abgesehen von Zeit und Ort – sämtliche ihrer Eigenschaften miteinander übereinstimmen.

Von dieser Definition gehen die Nachfolger von Leibnitz aus: Liegt eine (hypothetische) Beziehung zwischen zwei Personen vor, so sind diese als ein und dieselbe anzusehen. Offen bleibt dabei allerdings, welcher Art diese Beziehung ist bzw. sein muss.

Eine Tradition ging (auch auf René Descartes, 1596 – 1650, beruhend) vom Geist, der Seele als der gesuchten Verbindung aus. Da jeder Mensch eine eigene Seele besitzt, legt diese fest, was eine Person ausmacht. Zwei Personen sind zu verschiedenen Zeitpunkten ein und dieselbe, wenn sie dieselbe Seele besitzen.[1]

Für John Locke (1632 – 1704) besteht die gesuchte Verbindung in gemeinsamen Erinnerungen, der so genannten „episodischen“ Erinnerung. Der Betreffende ruft sich Dinge ins Gedächtnis, die er selbst erlebt hat. Dadurch dass die persönlichen („episodischen“) Erinnerungen geteilt werden, wird klar, dass es sich um dieselbe Person handelt.

Da diese Erinnerung nur das umfasst, woran man sich erinnern kann[2], wurde dieses Konzept von Derek Parfit (geb. 1942) dahingehend erweitert, dass Erinnerungen nur potentiell abrufbar sein müssen. Darüber hinaus verlangt Parfit zur Identitätsfeststellung eine „Personenreihe”[3]: Sind zwei Personen jeweils Momentaufnahmen eines „Personen-Kontinuums“, so handelt es sich um ein und dieselbe Person.


Identität im Verständnis des Animalismus

Einen kontroversiellen Standpunkt dazu nehmen die Animalisten ein, vertreten beispielsweise durch Eric Olson. Für den Animalismus konstituiert allein der Körper die Person. Und da sich der Körper mit der Zeit verändert, geht dieser Ansatz davon aus, dass die Identität des Körpers nicht im Sinne der Mathematik besteht, sondern über dessen Kontinuität. Ein Dokumentarfilmer beispielsweise könnte diese Entwicklung kontinuierlich festhalten, so dass zu keinem Zeitpunkt ein Bruch feststellbar wäre.


[1] Heute wird – wohl auch unter dem Einfluss der Naturwissenschaften – kaum mehr auf diese Weise argumentiert, und der Begriff der Seele hat in der philosophischen Literatur allgemein an Bedeutung verloren.

[2] Durch die fehlende Erinnerung an die Zeit vor dem zweiten Geburtstag hätte beispielsweise der Säugling, das Kleinkind vor diesen Erinnerungen nichts mit dem späteren Erwachsenen zu tun.

[3] Damit wird ein Problem der Locke´schen Definition gelöst: Ein pensionierter General, so das Gedankenexperiment von Parfit, hatte als Junge Äpfel gestohlen, seine Tat aber inzwischen vergessen (da er auf Grund seines Alters schon ein wenig erinnerungsschwach ist). Während seiner Zeit als aktiver Offizier konnte er sich aber durchaus gut an seine Jugendsünde erinnern (gemäß der Theorie von Locke wäre der General dieselbe Person wie der aktive Offizier und dieser wiederum dieselbe Person wie der jugendliche Apfeldieb. Der Junge und der pensionierte General wären jedoch verschiedene Personen, was der Logik zuwider liefe).