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Druck und Rhythmus. Stärkung des psychophysischen Kerns (Eduard Tripp)
Ein wesentliches Charakteristikum von Shiatsu ist der senkrechte und andauernde Druck. Liegen Beschwerden und Erkrankungen vor, so ist es empfehlenswert, ja von ganz besonderer Bedeutung, die KlientIn in einen Ruhe- und Entspannungszustand zu bringen. Die Grundlage dazu bildet die Gewöhnung des Nervensystems an einen gleichförmig fortbestehenden Reiz. Die Reaktion auf die Reizung wird durch den anhaltenden Druck geringer und kann sogar ganz verschwinden. Durch rasch zunehmenden und wieder abnehmenden Druck wird der Organismus stimuliert. Im Unterschied dazu führt andauernder Druck zu Beruhigung und Entspannung, zu einem tieferen, langsameren Atem sowie zu einer Absenkung von Blutdruck und Herzfrequenz.[1]In Japan, auf das sich der hier zitiere Artikel von Nobuyuki Fujisaki und Masami…
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Shiatsu und Leib-Psychotherapie – eine fruchtbare Verbindung (Doris Spörri)
Einleitung Seit 1987 bin ich als Shiatsu-Therapeutin in Winterthur (Schweiz) tätig. Aus dem sozialpädagogischen Berufsfeld kommend, erschloss mir die „Kunst des Berührens“ den wertvollen Bereich energetisch orientierter Arbeit mit Menschen. In dieser Zeit sah ich mich immer wieder einmal Klienten gegenüber, für deren Anliegen ich mich auf psychologischer Ebene zuwenig gerüstet fühlte. Shitsuto MASUNAGA und Waturu OHASHI entwickelten in einem gemeinsamen Buch zwar erste Ansätze, in denen sie Psychologie und Shiatsu miteinander verknüpften.[1]MASUNAGA Shitsuto, OHASHI Waturu: Das große Buch der Heilung durch Shiatsu Wien: O. W. Barth Verlag, 1985 Für mich griff es damals aber zu kurz und war in der Praxis unbefriedigend. 1994 lernte ich Peter SCHELLENBAUM kennen. Er…
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Begegnen und Beherrschen – zwei Aspekte von Beziehung im Umgang mit Krankheit (Mignon von Scanzoni)
Eine Gesundheitsgeschichte Frau K. kam vor einigen Jahren zu mir in die Praxis und bat um eine energetische Unterstützung für ihren anstrengenden Berufsalltag als Kinderpsychotherapeutin. Etwa ein Jahr, nachdem sie zum ersten Mal in meine Praxis gekommen war, entdeckte sie in ihrer Brust einen Knoten, der von ihrer Frauenärztin und dem Radiologen nicht eindeutig diagnostiziert werden konnte. Sie ließ ihn operativ entfernen. Die Diagnose war Krebs. Zunächst stand sie unter einem Schock, dem Gefühle der Scham und eine tiefe Verzweiflung folgten. Sie konnte es nicht begreifen, dass gerade ihr als Psychotherapeutin ein solches Schicksal widerfährt. Sie fühlte sich in ihrer Berufsrolle nicht mehr glaubwürdig. All ihr Bemühen, sich durch Psychotherapie…
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Grenzen setzen und Grenzen überschreiten. Respekt und Übergriff (Eduard Tripp)
Physiologisch, ebenso wie psychologisch, ist Abgrenzung für uns von grundlegender Notwendigkeit. Ohne die Begrenzung und Abgrenzung der Zellmembran beispielsweise könnte keine Zelle existieren. Sie würde zerfließen, und der Zellkern könnte gar nicht erst aufgebaut werden. Aber auch gegen bedrohliche Einflüsse und Angriffen von außen schützt die Zellwand. Grenzen bieten gleichermaßen Schutz vor dem Zerfließen und Zerfallen wie auch Schutz vor eindringender Energie. Ein starkes Wei Qi (Schutzenergie im Verständnis der Traditionellen Chinesischen Medizin, TCM) schützt uns vor äußeren, unseren Organismus gefährdenden Einflüssen – Xie Qi, wie es die Chinesen nennen. Obgleich sie lebensnotwendig ist, muss jegliche Abgrenzung zugleich flexibel und nachgiebig sein, damit Nahrung und notwendige Impulse ins Innere gelangen.…
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Störung in der Stille. Abgrenzung in Shiatsu. Reflexionen zu unbewussten Geschehen in der Shiatsu-Praxis (Alena Maria Schneider)
Elementar für Shiatsu ist die Grundhaltung der Meditation. Sehr kurz umrissen gehört dazu die Haltung innerer Zentriertheit, die Übung innerer Stille und Leere, und eine sorgfältige und durchlässige Aufrichtung zwischen den Polen Himmel und Erde. Die Übung dieser drei Aspekte der Meditation scheint mir unentbehrlich dafür, dass ich mich den zu Heilung strebenden Lebensprozessen, denen wir uns ja im Shiatsu widmen, zur Verfügung stellen kann. Darüber hinaus stellt die Haltung der Meditation einen Rahmen zur Verfügung, in dem eine ungewöhnliche Begegnung stattfinden kann. Die Begegnung zwischen zwei Menschen im Shiatsu ist einerseits sehr konkret und „handfest”, andererseits aber sehr fein. Es entsteht eine außergewöhnliche Situation von Nähe, die sehr viel…
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Selbstschutz: Abgrenzen oder Loslassen (Eduard Tripp)
Verwirrung entsteht oft durch Begriffe, die einer Vorstellungswelt entstammen, die unser Wirklichkeitsverständnis nicht (mehr) adäquat abbildet. Ein Beispiel dazu hat Wilfried Rappenecker in der letzten Ausgabe mit Jaki angeführt, dass er als japanische Fehlinterpretation betrachtet, gibt es letztlich keine schlechte Energie, nur energetische Muster, mit denen wir jeweils besser oder schlechter umgehen können. Um uns der Thematik von einer anderen Sichtweise aus zu nähern: In der Psychoanalyse und den aus ihr abgeleiteten Therapiemethoden gibt es das Konzept der Übertragung, das auch allen Formen von Körperarbeit zu tragen kommt. Von Freud als Problem der TherapeutIn erkannt, hat die “Gegenübertragung im engeren Sinne” ihren Ursprung in unbewältigten und unbewussten inneren Konflikten und…
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Du bist – nicht allein (Alena Maria Schneider)
Von Körpergrenzen und von Seelentiefe ist die Rede, wenn wir von Berührung sprechen. Im Shiatsu ist Berührung von Respekt getragen, von Bewusstsein erfüllt und in Klarheit gestaltet. Sie findet statt in einem ritualisierten Rahmen, der sie aus dem alltäglichen heraushebt. Dieser ritualisierte Rahmen legt schützende Grenzen um eine Situation, in der sich Menschen ungewöhnlich nahe kommen. Er schafft eine gewisse Distanz, die ich den atmenden Raum zwischen Ich und Du nenne, und grenzt ab zur persönlichen Welt der zehntausend Verwicklungen, die Menschen sich in ihren Begegnungen schaffen. Es ist ein in konzentrierter Stille gestalteter Raum, in dem beide Beteiligten bei sich bleiben. Die Zuwendung, die gegeben wird, geschieht aus einer…
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Ich und Du. Who is Who? (Alena Maria Schneider)
Wir üben miteinander erste Nackenbehandlungstechniken. Mein Partner kniet auf meinen Haaren, dreht mir den Kopf in die andere Richtung und klappt mir das Ohr um. Er merkt’s nicht, es ging ja nicht darum eine Ohrfaltetechnik zu erlernen und dabei an den Haaren zu ziehen. Er veranstaltet, während seine Aufmerksamkeit mit neuen Techniken kämpft, ein recht eindrücklich unkomfortables Programm an meinem Kopf. In der Rückmeldungs-Aussprache blickt er mich tief an, mit diesem jeden weißen Kittel ersetzenden Blick und sagt: „Es fällt dir offensichtlich nicht leicht loszulassen.” Ein Mitlernender gibt mir eine Übungsbehandlung und kommt so richtig in Schwung. Er rauscht so ungefähr durch jede Technik, die wir als „sedierend” gelernt haben,…
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Shiatsu und Psychotherapie. Workshop am 1. Österreichischen Shiatsu-Kongress 1999 (Eduard Tripp)
Unterschiede zwischen Shiatsu und Psychotherapie Der Unterschied zwischen Psychotherapie und Shiatsu wird deutlich, wenn man die offiziellen Definitionen beider Therapien vergleicht. Analytisch orientierte Psychotherapie wird folgendermaßen definiert: „… im weiten Sinne jene Methode zur Behandlung psychischer oder körperlicher Störungen, die psychologische Mittel und genauer die Beziehung zwischen Therapeut und Patient verwendet …”. Vor allem der letzte Abschnitt dieser Definition ist wichtig, denn ein großer Teil der analytischen Therapieformen beruht auf der Beziehung zwischen Therapeut und Klienten. Die Technik findet innerhalb dieser Beziehung statt und die Beziehung ist auch bestimmend für die Veränderung und den psychotherapeutischen Prozess. Von Anbeginn an, wenn ein Klient zum Therapeuten kommt, tritt er mit diesem in…
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Psychotherapeutische Aspekte von Shiatsu (Eduard Tripp)
Die frühkindliche Entwicklung Vor unserer Geburt, so das Modell der psychoanalytischen Entwicklungstheorie, erleben wir im Mutterleib einen Zustand vollkommenen inneren Gleichgewichts ohne jegliche Bedürfnisse, da diese ganz von selbst befriedigt werden und sich als solche deshalb gar nicht erst entwickeln können. In diesem zeitlosen und unendlichen Universum gibt es weder Wünsche noch deren Befriedigung. Der noch ungeborene Mensch ist in seinem Universum, das mit dem Universum schlechthin verschwimmt, allmächtig, autonom und kennt nichts anderes als sich selbst. Dieser als „erhebend-erhaben” bezeichnete Zustand endet für das Kind jedoch abrupt und grundlegend mit seiner Geburt. Es wird seiner Allmacht und Unabhängigkeit beraubt und wird sich zugleich seiner Triebe und Bedürfnisse, wie auch…