Vollständiger Bericht zur Rechtsstellung der nicht-konventionellen Medizinrichtungen (Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz. Berichterstatter: Herr P. Lannoye, 6. März 1997)

Der vollständige Bericht zur Rechtsstellung der nichtkonventionellen Medizinrichtungen des Ausschlusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz (Berichterstatter: Herr P. Lannoye, 6 März 1997) ist auf https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-4-1997-0075_DE.docx veröffentlicht:


Inhalt

  • Entschließungsantrag
  • Begründung
  • Anlage I: B4-0024/94
  • Stellungnahme des Ausschusses für Recht und Bürgerrechte

In der Sitzung vom 27. Oktober 1994 gab der Präsident des Europäischen Parlaments bekannt, daß er den Entschließungsantrag gemäß Artikel 45 der Geschäftsordnung von Herrn Pimenta und anderen zur Rechtsstellung der nichtkonventionellen Medizinrichtungen an den Ausschuß für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz als federführenden Ausschuß sowie and den Ausschuß für Recht und Bürgerrechte und an den Ausschuß für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten als mitberatende Ausschüsse überwiesen hat.

Der Ausschuß für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz beschloß in seiner Sitzung vom 23. November 1994, einen Bericht auszuarbeiten, und ersuchte mit Schreiben vom 28. November 1994 um diesbezügliche Genehmigung. In der Sitzung vom 16. Januar 1995 gab der Präsident des Europäischen Parlaments bekannt, daß die Konferenz der Präsidenten den Ausschuß für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz ermächtigt hat, einen Bericht über dieses Thema auszuarbeiten.

Der Ausschuß für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz benannte in seiner Sitzung vom 20. Dezember 1994 Herr P. Lannoye als Berichterstatter.

Er prüfte den Berichtsentwurf in seinen Sitzungen vom 7. Mai 1996, 9. Juli 1996, 3. September 1996 und 27. Februar 1997.

In der letztgenannten Sitzung nahm der Ausschuß den Entschließungsantrag mit 21 Stimmen bei 4 Gegenstimme und 2 Enthaltungen an.

Bei der Abstimmung waren anwesend: die Abgeordneten Collins, Vorsitzender; Lannoye, Berichterstatter; Alber (in Vertretung d. Abg. Burtone), Aparicio Sánchez (in Vertretung d. Abg. Apolinario), Baldi (in Vertretung d. Abg. d’Aboville), Bébéar, Blokland, Breyer, Corbett (in Vertretung d. Abg. Bowe), Correia (in Vertretung d. Abg. Hulthén), De Coene (in Vertretung d. Abg. Kokkola), Díez de Rivera Icaza, Eisma, Feret, Florenz, Garosci (in Vertretung d. Abg. Cabrol), Gränitz, Hardstaff (in Vertretung d. Abg. van Putten), Kirsten M. Jensen, McKenna, KestelijnSierens (in Vertretung d. Abg. Olsson), Kronberger, Kuhn, Liese (in Vertretung d. Abg. Jackson), Marinucci, Needle, Pollack, Roth-Behrendt, Sornosa Martinez (in Vertretung d. Abg. Bertinotti), Tamino, Trakatellis, White.

Die Stellungnahme des Ausschusses für Recht und Bürgerrechte ist diesem Bericht beigefügt. Der Ausschuß für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten hat am 24. März 1995 beschlossen, keine Stellungnahme abzugeben.

Der Bericht wurde am 6. März 1997 eingereicht.

Die Frist für die Einreichung von Änderungsanträgen wird im Entwurf der Tagesordnung für die Tagung angegeben, auf der der Bericht geprüft wird.


A. Entschließungsantrag

Entschließung zu zur Rechtsstellung der nichtkonventionellen Medizinrichtungen

Das Europäische Parlament ,

  • in Kenntnis des Entschließungsantrags der Abgeordneten Pimenta, Dell’Alba, Diez de Rivera Icaza, Crowley, Ewing, Gonzalez Alvarez und Lord Plumb zur alternativen (nicht unter den Begriff Schulmedizin fallenden) Medizin (B4-0024/94),
  • unter Hinweis auf seine Entschließung vom 13. Juni 1991 zur Erweiterung des Anwendungsbereichs der Richtlinien 65/65/EWG und 75/319/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel und zur Festlegung zusätzlicher Vorschriften für homöopathische Arzneimittel[1]ABl. C 183 vom 15.07.1991, S. 322,
  • unter Hinweis auf die Richtlinie 92/73/EWG[2]ABl. L 297 vom 13.10.1992, S. 8 zur Erweiterung des Anwendungsbereichs der Richtlinien 65/65/EWG und 75/319/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel und zur Festlegung zusätzlicher Vorschriften für homöopathische Arzneimittel,
  • unter Hinweis auf die Haushaltslinie B6-8332 des Haushaltsplans der EG für das Haushaltsjahr 1994, die Haushaltslinie B6-7142, vorletzter Abschnitt des Haushaltsplans der EG für das Haushaltsjahr 1995, die Haushaltslinie B6-7142 des Haushaltsplans der EG für das Haushaltsjahr 1996 Absätze 4 und 5, in denen 1 Million ECU für die “Forschungsbilanz zur Effektivität anderer therapeutischer Methoden wie Chiropraxis, Ostheopathie, Akupunktur, Naturopathie, chinesische Medizin, anthroposophische Medizin, Phytotherapie usw.” vorgesehen sind,
  • in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz sowie der Stellungnahme des Ausschusses für Recht und Bürgerrechte (A40075/97),

A. in der Erwägung, daß ein Teil der Bevölkerung in den Mitgliedstaaten der EU bestimmte nichtkonventionelle Medizinrichtungen und Therapien in Anspruch nimmt, und daß es infolgedessen unrealistisch wäre, diese Sachlage zu ignorieren,

B. angesichts der auch bei einigen Medizinern verbreiteten Ansicht, daß verschiedene Behandlungsmethoden bzw. verschiedene Betrachtungsweisen von Gesundheit und Krankheit sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern im Gegenteil einander ergänzen können,

C. unter Hinweis darauf, wie wichtig es ist, den Patienten eine möglichst weitgehende freie Therapiewahl zu gewährleisten, wobei ein sehr hohes Sicherheitsniveau und genaueste Informationen über die Unschädlichkeit, die Qualität, die Wirksamkeit und der eventuellen Risiken der sogenannten nichtkonventionellen Medizinrichtungen sicherzustellen ist, und sie vor nichtqualifizierten Personen zu schützen,

D. in der Erwägung, daß die Gesamtheit der medizinischen Systeme und therapeutischen Disziplinen, die unter die Bezeichnung “nichtkonventionelle Medizin” fallen, das Merkmal gemeinsam haben, daß ihre Wirksamkeit nicht oder nur teilweise anerkannt ist; in der Erwägung, daß man als “alternativ” eine medizinische oder chirurgische Behandlung bezeichnen kann, die anstelle einer anderen Behandlung angewandt wird, und als “ergänzend” eine Behandlung, die zusätzlich zu einer anderen Behandlung durchgeführt wird; in der Erwägung, daß es Unklarheit stiftet, wenn man von “alternativen” oder “ergänzenden” medizinischen Disziplinen spricht, da nur der genaue Zusammenhang, innerhalb dessen die Therapie angewandt wird, die Feststellung ermöglicht, ob sie in diesem Fall alternativ oder ergänzend ist; in der Erwägung, daß eine alternative medizinische Disziplin gleichzeitig ergänzend sein kann; in der Erwägung, daß in diesem Bericht der Ausdruck “nichtkonventionelle Medizin” die Begriffe “alternative Medizin”, “sanfte Medizin” und “ergänzende Medizin” einschließt, die in manchen Mitgliedstaaten unterschiedslos zur Bezeichnung aller anderen medizinischen Richtungen als der Schulmedizin verwendet werden,

E. in der Erwägung, daß der Arzt zum größtmöglichen Schutz der Gesundheit der eigenen Patienten alle Mittel und alle Kenntnisse in gleichgültig welcher medizinischen Disziplin nach Wissen und Gewissen nutzen kann,

F. in der Erwägung, daß es ein breites Spektrum nichtkonventioneller medizinischer Disziplinen gibt, und daß einige von ihnen in einigen Mitgliedstaaten mehr oder weniger rechtlich anerkannt sind bzw. über eine Organisationsstruktur auf europäischer Ebene verfügen (gemeinsame Grundausbildung, Berufsethik usw.) insbesondere Chiropraxis, Homöopathie, anthroposophische Medizin, traditionelle chinesische Medizin (einschließlich Akupunktur), Shiatsu, Naturopathie, Osteopathie, Phytotherapie, etc; in der Erwägung, daß es ein breites Spektrum nicht konventioneller medizinischer Disziplinen gibt, daß aber nur einige der nichtkonventionellen medizinischen Disziplinen alle der folgenden Kriterien erfüllen, nämlich daß sie in mehreren Mitgliedstaaten eine gewisse Form rechtlicher Anerkennung genießen, auf europäischer Ebene über eine Organisationsstruktur verfügen und über ein eigenes Regelwerk für die Disziplin verfügen,

G. unter Hinweis auf den EG-Vertrag und insbesondere Titel 3, Artikel 52 bis 66 über die Freizügigkeit für Personen und die Niederlassungsfreiheit; in der Erwägung, daß die Unterschiedlichkeit des Status und der Anerkennung jeder dieser nichtkonventionellen medizinischen Richtungen innerhalb der Europäischen Union eine Beeinträchtigung dieser Freiheiten darstellt; in der Erwägung, daß die Freiheit der Berufsausübung, die bestimmte Angehörige von Gesundheitsberufen in ihrem Land derzeit genießen, auf keinen Fall durch eine Änderung der Rechtsstellung oder des Grades der Anerkennung dieser Disziplinen auf europäischer Ebene eingeschränkt werden darf, desgleichen die Freiheit der Therapiewahl der Patienten bei nichtkonventionellen medizinischen Behandlungen; unter Hinweis auf die Bestimmungen, die für die Mitgliedstaaten gemäß dem Vertrag und insbesondere gemäß Artikel 57 Absatz 1, 2 und 3 gelten;

H. in der Erwägung, daß sich eine Entwicklung bereits klar abzeichnet, einerseits in Form der Verabschiedung nationaler Rechtsvorschriften in einigen Mitgliedstaaten zur Liberalisierung der Ausübung der nichtkonventionellen Medizin, während gleichzeitig bestimmte Behandlungen ausschließlich den hierfür autorisierten Praktikern vorbehalten bleiben (am 9. November 1993 vom niederländischen Senat verabschiedetes Gesetz für “Beroepen in de Individuele Gezondheidszorg”), andererseits in Form der Verabschiedung spezifischer Regelungen (Gesetz über die Osteopathie von 1993 und Gesetz über die Chiropraxis von 1994 im Vereinigten Königreich, Gesetz über die Chiropraxis in Dänemark im Jahr 1991, in Schweden 1989 sowie in Finnland), durch die Festlegung einer Ausbildungsordnung (für die Chiropraxis im Vereinigten Königreich und in den nordischen Ländern) oder auch durch die Aufnahme von Medikamenten in die Pharmakopöe (anthroposophische Medizin in Deutschland),

I in der Erwägung, daß europäische Rechtsvorschriften über die Rechtsstellung und die Ausübung der nichtkonventionellen Medizin eine Garantie für die Patienten darstellen können; in der Erwägung, daß es jeder Disziplin überlassen werden müßte, den Berufsstand auf europäischer Ebene zu organisieren (Berufsethik, Standesregister, Ausbildungskriterien),

J. in der Erwägung, daß zunächst jede der nichtkonventionellen medizinischen Richtungen klar definiert werden muß; in der Erwägung, daß zu diesem Zweck klinische Studien, Bewertungen der Behandlungsergebnisse, grundlegende Untersuchungen (Wirkungsmechanismen) und andere wissenschaftliche Prüfungen oder akademische Forschungen durchgeführt werden müssen, um die Wirksamkeit der angewandten Therapien zu beurteilen, wobei diese Beurteilung mit Hilfe der den verschiedenen Disziplinen angemessenen Methodologien erfolgen muß;

K. in der Erwägung, daß die Reglementierung und Koordinierung der Ausbildungskriterien für Praktiker der nichtkonventionellen medizinischen Disziplinen eine für die Bürger unerläßliche Garantie darstellen würde, da es sowohl im Interesse der Patienten als auch der Praktiker von vordringlicher Bedeutung ist, daß diese Harmonisierung auf einem hohen Qualifikationsniveau erfolgt, das auf einem strikten Selbstregulierungsprozeß innerhalb des Berufszweigs selbst aufbaut und später zur Vergabe eines staatlichen Diploms führt, das den spezifischen Anforderungen jeder Fachrichtung entspricht; in der Erwägung, daß die Ausbildungsniveaus auf die Besonderheiten der jeweiligen nichtkonventionellen medizinischen Richtungen abgestimmt sein müssen,

L. in der Erwägung, daß die Ausbildung von Praktikern der Schulmedizin eine Einführung auch in einige nichtkonventionelle medizinische Disziplinen umfassen sollte,

M. in der Erwägung, daß die europäische Pharmakopöe die ganze Skala der pharmazeutischen und pflanzlichen Produkte der nichtkonventionellen Medizinrichtungen umfassen müßte, damit die Therapeuten ihren Beruf nach den Regeln der Kunst ausüben können und gleichzeitig die Patienten die Gewähr haben, daß eine genaue Beurteilung der nichtkonventionellen Medikamente vorgenommen wird ; in der Erwägung, daß es aus den gleichen Gründen erforderlich ist, die Richtlinien 65/65/EWG, 75/319 EWG und 9273/EWG sowie die Verordnung 2309/93 zur Einsetzung der Europäischen Agentur für die Bewertung von Arzneimitteln zu überprüfen und den Patienten so eine Garantie für die Qualität und Unbedenklichkeit der nichtkonventionellen Medizinrichtungen zu bieten,

N. in der Erwägung, daß der Rat in seiner Entschließung 95/C 350/05 vom 30. November 1995[3]ABl. C 350 vom 30. Dezember 1995, S.6 über Zubereitungen auf heilpflanzlicher Basis die Kommission ersucht, “die Rechtsstellung der Zubereitungen auf pflanzlicher Basis im Rahmen der gemeinschaftlichen Vorschriften über Arzneimittel” zu klären und “die spezifischen Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit der Schutz der öffentlichen Gesundheit gewährleistet ist” zu prüfen,

O. angesichts der Forderung eines Nachweises der Qualität, der Wirksamkeit und der Unbedenklichkeit der in Frage stehenden therapeutischen Mittel und der Veröffentlichung von Monographien für jedes Heilmittel,

P. in der Erwägung, daß Rechtsvorschriften im Bereich der Nahrungsmittelergänzungsstoffe (Vitamine, Spurenelemente etc. …), angesichts der derzeitigen Rechtslage zum Schutz des Verbrauchers beitragen würden, ohne seinen freien Zugang und seine Wahlfreiheit zu behindern und einem qualifizierten Praktiker die Verschreibung solcher Erzeugnisse ermöglichen würde,

Q. in der Erwägung, daß es wichtig wäre, im Rahmen des Möglichen nichtkonventionelle medizinische Disziplinen für den Sektor der Tierzucht zu entwickeln und dort einzuführen, um zu einem besseren Schutz des Verbrauchers vor Arzneimittelrückständen in Fleischerzeugnissen und zu einer Verbesserung des Wohlergehens der Tiere in den derzeitigen Zuchtverfahren beizutragen, auch mit Blick auf die bevorstehende Regelung der Techniken biologischer Tierzucht,

R. angesichts der Notwendigkeit, eine Übergangsperiode vorzusehen, die es jedem heute tätigen Praktiker ermöglicht, sich den neuen Rechtsvorschriften anzupassen, und einen Äquivalenzausschuß einzusetzen, der die Situation der betroffenen Praktiker von Fall zu Fall zu prüfen hat,

  1. fordert die Kommission auf, einen Prozeß der Anerkennung nichtkonventioneller medizinischer Richtungen einzuleiten und zu diesem Zweck die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um (drei Worte entfallen) die Einsetzung folgender Ausschüsse zu ermöglichen:
  2. ersucht die Kommission, vorrangig eine gründliche Studie über Unbedenklichkeit, Wirksamkeit, Anwendungsgebiet und ergänzenden bzw. alternativen Charakter der einzelnen nichtkonventionellen Therapien durchzuführen sowie eine vergleichende Studie zwischen den bestehenden nationalen Modellen, denen die Personen unterliegen, die Formen der nichtkonventionellen Medizin ausüben, zu erstellen; ersucht ferner die Kommission, die beiden Studien als Grundlage für die Ausarbeitung eventueller koordinierender Rechtsvorschriften betreffend die nichtkonventionellen Medizinrichtungen zu verwenden; ersucht die Kommission, vorrangig für mehrere nichtkonventionelle medizinische Disziplinen, die in irgendeiner Form auf europäischer Ebene anerkannt und organisiert sind, die erforderlichen Entwürfe für Richtlinien zur Gewährleistung der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit für Praktiker nichtkonventioneller medizinischer Richtungen (gemäß der Empfehlung von Artikel 57 Absatz 3 des Vertrags) sowie den freien Zugang zu den für die Ausübung ihrer Disziplin erforderlichen Therapiemitteln vorzulegen und infolgedessen die bestehenden Rechtsvorschriften für die medizinischen Berufe und die für die Ausübung dieser Disziplinen erforderlichen Therapiemittel zu überprüfen;
  3. ersucht die Kommission, bei der Ausarbeitung von europäischen Rechtsvorschriften über die nichtkonventionellen medizinischen Disziplinen klar zu unterscheiden zwischen nichtkonventionellen Therapien mit “ergänzendem” Charakter und sogenannten “alternativen” Therapien, die also anstelle von schulmedizinischen Therapien angewandt werden;
  4. fordert den Rat und das Europäische Parlament auf, nach Abschluß der Vorarbeiten gemäß Punkt 2 dieses Berichtes die Entwicklung von Forschungsprogrammen im Bereich der nichtkonventionellen medizinischen Richtungen zu fördern, in die die individuelle und ganzheitliche Vorgehensweise, die präventive Rolle sowie die Besonderheiten der nichtkonventionellen medizinischen Disziplinen einzubeziehen sind;
  5. ersucht die Kommission, so rasch wie möglich dem Rat und dem Europäischen Parlament Bericht zu erstatten über die Studien und Untersuchungen, die durchgeführt wurden im Rahmen der Haushaltslinie B -7142, deren Mittel seit 1994 vorgesehen sind für die Erforschung der Wirksamkeit homöopathischer und anderer nichtkonventioneller Therapien;
  6. ersucht die Kommission, in der Untersuchung über die Wirksamkeit von im Rahmen der nichtkonventionellen Medizinrichtungen durchgeführten Therapien darauf zu achten, daß keine dieser Therapien, wie sie in den Mitgliedstaaten angewandt werden, Organe bedrohter Tierarten als Heilmittel verwendet und somit zum illegalen Handel mit diesen Tierarten beiträgt;
  7. fordert die Kommission auf, einen Vorschlag für eine Richtlinie für Nahrungsmittelergänzungsstoffe vorzulegen, die häufig auf der Grenze zwischen einem Diäterzeugnis und einem Medikament liegen; dieser Rechtsakt müßte eine korrekte Herstellungspraxis zum Schutz der Verbraucher gewährleisten, ohne die Freiheit des Zugangs und der Wahl einzuschränken, und muß jedem Vertreter eines Heilberufs die Freiheit gewährleisten, solche Erzeugnisse zu empfehlen; fordert die Kommission auf, die Handelsschranken zwischen den Staaten aufzuheben und den Herstellern von Gesundheitserzeugnissen den freien Zugang zu allen EU-Märkten zu gewährleisten;
  8. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, den Mitgliedstaaten, der Kommission und dem Europarat zu übermitteln.


B. Begründung

1. Einführung

Meinungsumfragen in den verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union bestätigen, sollte dies überhaupt noch nötig sein, das wachsende Interesse der Bürger an den nichtkonventionellen medizinischen Richtungen.[4]Unter nichtkonventioneller Medizin sind im Gegensatz zu den Begriffen alternative und/oder ergänzende Medizin, die im Rahmen der Schulmedizin verwandt werden (beispielsweise wird der Ausdruck … weiterlesen In den Ländern, für die statistische Angaben verfügbar sind, wird die nichtkonventionelle Medizin von 20-50% der Bevölkerung in Anspruch genommen.

Dieses wachsende Interesse hängt mit einer gewissen Desillusionierung gegenüber der Schulmedizin zusammen, deren außerordentliche technologische Entwicklung zwar mit einem unleugbaren Erfolg auf medizinischer Ebene, gleichzeitig jedoch mit einer Verfall des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient einhergegangen ist. Außerdem ist das Arzneimittelarsenal, auf das sich die Schulmedizin stützt, zwar wirksam, konzentriert sich aber hauptsächlich auf die Symptome und bringt häufig unerwünschte Nebeneffekte bzw. schwere Abhängigkeitszustände mit sich.

Zu beobachten ist die Suche nach einer humaneren Medizin, die das menschliche Wesen in seiner Ganzheit und nicht nur seine Pathologie beachtet. Daher das Wiederaufleben des Interesses für die traditionellen Therapien und sanfteren Heilmittel, die weniger auf die Zerstörung eines Krankheitserregers abzielen als vielmehr darauf, dem menschlichen Körper seine Widerstandsfähigkeit gegen diesen Erreger wiederzugeben.

Dies bedeutet jedoch nicht, daß sich konventionelle und nichtkonventionelle medizinische Disziplinen gegenseitig ausschließen. Im Gegenteil, sie können einander sogar zum Nutzen des Patienten ergänzen.

Die nichtkonventionellen medizinischen Richtungen sind sehr zahlreich; es ist unmöglich, sie alle aufzuzählen. Dabei haben sie eines gemeinsam, nämlich, daß sie nicht oder in unterschiedlicher Form von den Gesundheitsbehörden anerkannt sind, obwohl im Verlauf der letzten Jahre Bestrebungen erkennbar wurden, sie einerseits von dem Ruch der wissenschaftlichen Irrationalität zu befreien und andererseits in der Praxis Versuche mit ergänzenden Behandlungen, die den Patienten von ihren Ärzten vorgeschlagen wurden, durchzuführen.


2. Rechtslage in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

Im Bereich der Gesundheitsfürsorge bestehen derzeit in der Europäischen Union zwei völlig entgegengesetzte Vorstellungen nebeneinander. Bei der ersten wird davon ausgegangen, daß ausschließlich die Schulmedizin (die Ärzte) im Gesundheitswesen tätig sein und Kranke behandeln können, mit Ausnahme einiger Berufe, die bestimmte medizinische oder paramedizinische Tätigkeiten ausüben dürfen. Abgesehen von diesen spezifischen Fällen gilt alles andere als unerlaubte Ausübung der Medizin. Diese Vorstellung hat sich in den südlichen Ländern sowie in Frankreich, Belgien und Luxemburg durchgesetzt.

Abgesehen davon hat das tatsächliche Bestehen einer Praxis nichtkonventioneller medizinischer Disziplinen in eben diesen Ländern sowie die wachsende Nachfrage der Patienten zu gewissen geduldeten Ausnahmen geführt, beispielsweise: in Frankreich darf die seit 1950 von der Medizinischen Akademie anerkannte Akupunktur von Ärzten legal praktiziert werden; homöopathische Heilmittel werden von den Krankenkassen auf Rezept erstattet.

Der zweite , in den nordeuropäischen Ländern vorherrschende Ansatz beruht auf einer entgegengesetzten Vorstellung: Jeder, der dies wünscht, kann Krankheitsbehandlungen durchführen, wobei jedoch bestimmte Tätigkeiten ausschließlich den Ärzten vorbehalten sind, die im übrigen für die Organisation des Gesundheitswesens und der Gesundheitspolitik zuständig und maßgeblich sind.

In Großbritannien und Irland kann aufgrund des Gewohnheitsrechts jede nicht qualifizierte Person, d.h. jeder Nichtmediziner eine Therapie durchführen, vorausgesetzt, daß er sich den Titel eines Doktors der Medizin nicht anmaßt. Diese Situation hat den großen Nachteil, daß angesichts der fehlenden rechtlichen Anerkennung der Ausbildung und Titel weder die seriösen und kompetenten Praktiker noch die Patienten vor wenig qualifizierten Personen oder Scharlatanen geschützt sind. Dieser Mangel wurde in Großbritannien durch den Osteopaths Act von 1993 und den Chiropracters Act von 1994 behoben.

In den Niederlanden wurde im November 1993 ein Gesetz für die Berufe im privaten Gesundheitswesen (BIG wet – Beroepen in de Individuele Gezondheidszorg) verabschiedet. Dieses Gesetz erlaubt grundsätzlich jedem die Ausübung der Medizin. Es werden jedoch bestimmte Behandlungen aufgezählt, die ausschließlich autorisierten Praktikern vorbehalten sind. Außerdem wird die Freiheit der Ausübung der Medizin durch eine Strafbestimmung ergänzt: Die Schädigung der Gesundheit eines Patienten ist strafbar.

In Deutschland existiert die Behandlungsfreiheit seit 1873 und der Beruf des Heilpraktikers ist seit 1939 anerkannt; hierfür ist zwar keine besondere Ausbildung erforderlich, doch ist eine Prüfung grundlegender medizinischer Kenntnisse sowie die Eintragung in ein Berufsregister vorgeschrieben.[5]Der Heilpraktiker kann, wenn er eine entsprechende Erlaubnis hat, nichtkonventionelle Medizinrichtungen ausüben. Außerdem umfaßt die nationale Pharmakopöe sowohl homöopathische als auch anthroposophische Medikamente (wobei 1978 ein besonderer Ausschuß eingesetzt wurde, dem Vertreter der betreffenden Disziplin angehören).

In Dänemark und Schweden schließlich können Mediziner und Paramediziner innerhalb bestimmter Grenzen, die in den Gesetzen vom 14. Mai 1970 bzw. Nr. 409 von 1960 festgelegt sind, nichtkonventionelle medizinische Disziplinen ausüben. Die Chiropraxis ist in Dänemark als Gesundheitsberuf anerkannt (Gesetz Nr. 415 vom 6.6.1991), desgleichen in Schweden (Gesetz Nr. 1988/89: 96) und in Finnland.


3. Das Gemeinschaftsrecht

Die Unterschiedlichkeit der Ansätze und der Rechtslage in den einzelnen Mitgliedstaaten führen zu einer ungleichen Behandlung der europäischen Staatsbürger. So kann ein in einem Land offiziell anerkannter Angehöriger eines Gesundheitsberufs in einem anderen Mitgliedstaat wegen illegaler Ausübung der Medizin gerichtlich belangt werden. Dies steht im Widerspruch zu den Grundsätzen des Vertrags von Rom, insbesondere was die Freizügigkeit für Personen und die Niederlassungsfreiheit anbelangt (Titel III Artikel 52 bis 66 des Vertrags).

Seit 1975 wurden für die medizinischen und paramedizinischen Berufe mehrere Richtlinien erlassen, nicht aber für die nichtkonventionellen medizinischen Disziplinen, es sei denn in indirekter Form durch die Verabschiedung der Richtlinie 92/73/EWG über homöopathische Medikamente.

Es ist in der Tat vorstellbar, daß die Interessen der Pharmaindustrie sich hier gegenüber denen der Bürger durchgesetzt haben. Denn wie ist es zu erklären, daß es noch nicht gelungen ist, eine spezifische Methodologie für die klinischen Versuche mit homöopathischen Heilmitteln zu entwickeln, obwohl die konventionelle Methodologie anerkanntermaßen nicht geeignet ist? Wie ist es ferner zu erklären, daß in der Verordnung 2309/93 zur Einsetzung der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln bei den dezentralisierten Genehmigungsverfahren die homöopathischen, anthroposophischen oder phytotherapeutischen Heilmittel nicht erwähnt sind?

Angesichts dieses Mangels muß das Parlament die Kommission auffordern, die erforderlichen Initiativen zu ergreifen, um gemäß Artikel 57 Absatz 3 des Vertrags “die Bedingungen für die Ausübung der ärztlichen, arztähnlichen und pharmazeutischen Berufe” zu koordinieren. Dies bedeutet nicht, daß die Bedingungen für die Ausübung der nichtkonventionellen medizinischen Disziplinen vereinheitlicht werden müssen, sondern daß unter Wahrung des Grundsatzes der Subsidiarität jedem Praktiker das Niederlassungsrecht gewährleistet sein muß, indem ihm die Möglichkeit zur Ausübung seines Berufs gegeben wird.

Zu diesem Zweck ist es unerläßlich, die Rechtsstellung der nichtkonventionellen Praktiker zu legalisieren und zu harmonisieren, die Ausbildungsbedingungen festzulegen und die entsprechenden Medikamente in die europäische Pharmakopöe aufzunehmen bzw. die Übernahme und Kostenerstattung der Behandlungen und Medikamente durch die Sozialleistungsbehörden vorzusehen.


4. Auf dem Weg zum Pluralismus im Bereich der Medizin

Anzustrebendes Ziel ist einerseits die Erfüllung der Forderungen des Vertrags über die Europäische Union und der legitimen Ansprüche der Praktiker der nichtkonventionellen medizinischen Disziplinen, und andererseits die Deckung einer wachsenden Nachfrage seitens der Patienten; es geht darum, Angebot und Nachfrage ausgehend von einem doppelten Freiheitsprinzip in Übereinstimmung zu bringen: Freiheit der Therapiewahl für die Patienten und Freiheit der Berufsausübung für die Praktiker.

Es versteht sich von selbst, daß dieses doppelte Prinzip für den Patienten die Garantie der Unbedenklichkeit sowie der Qualität der Behandlungen umfassen muß. Für die Disziplinen, die bereits auf die eine oder andere Art in einem oder mehreren Mitgliedstaaten bzw. von einem Berufsverband auf europäischer Ebene rechtlich anerkannt sind[6]Dies ist insbesondere der Fall für die Homöopathie, Phytotherapie, anthroposophische Medizin, Naturopathie, Akupunktur, traditionelle chinesische Medizin, Osteopathie und Chiropraxis., kann die Unbedenklichkeitsgarantie als erfüllt gelten, vorausgesetzt die Kompetenz des jeweiligen Praktikers. Was ihre Wirksamkeit anbelangt, so haben, wenn auch nicht in großer Zahl, Untersuchungen stattgefunden, die im allgemeinen auch zu schlüssigen Ergebnissen führten, wenn eingeräumt wird, daß die Beurteilung der Wirksamkeit nicht ausschließlich auf der Grundlage der Methodologie und der geltenden Kriterien im Rahmen der Schulmedizin (im wesentlichen klinische Doppelblindversuche) erfolgen kann.

Somit ist die Chiropraxis mittlerweile wissenschaftlich als therapeutische Methode anerkannt, und zwar im Anschluß an mehrere von öffentlichen Stellen, insbesondere dem Rat für medizinische Forschung in Großbritannien, einem von der Regierung finanzierten Gremium, in Auftrag gegebene Studien.[7]Randomised comparison of chiropractic and hospital outpatient treatment for low back pain of mechanical origin – T.W. Meade, Sandra Dyer, Wendy Browne, Joy Townsend, A.O. Frank, The Medical … weiterlesen

Für die Homöopathie liegen heute eindeutige Beweise ihrer Wirksamkeit vor[8]WALACH, H. (1992). Wissenschaftliche Homöopathische Arzneimittelprüfung. Doppelblinde crossover-Studie einer homöopathischen Hochpotenz gegen Placebo. Heidelberg : Haug. – LINDE K., JONAS … weiterlesen, obwohl die orthodoxe Wissenschaft noch nicht überzeugt ist. Man könnte auch zahlreiche Beispiele für die Akupunktur, die traditionelle chinesische Medizin, die Osteopathie und viele weitere Behandlungsmethoden anführen.

Wie die Kommission selbst schreibt, ist der “Nachweis ihrer therapeutischen Wirksamkeit nach den allgemein anerkannten wissenschaftlichen Methoden nicht zu erbringen oder ist zumindest Gegenstand scharfer Kontroversen”.[9]KOM (90) 72 end, S. 3 Diese Öffnung zum Pluralismus im Bereich der Medizin hat in der Annahme der Haushaltspläne für 1994, 1995 und 1996 bereits eine konkrete Fortsetzung erfahren. Denn durch die Haushaltslinie B6-8332 des Haushaltsplans der EG für das Haushaltsjahr 1994 wurde ein neuer Posten von 1 Million Ecu für die Forschung im Bereich der Homöopathie geschaffen; die Haushaltslinie B6-7142 vorletzter Absatz des Haushaltsplans der EG für das Haushaltjahr 1995 enthielt einen Betrag von 3 Millionen Ecu zur Fortsetzung der Erforschung der Wirksamkeit der Homöopathie, während in der Haushaltslinie B6-7142 des Haushaltsplans der EG für das Haushaltsjahr 1996 Absätze 4 und 5 1 Million Ecu für die “Forschungsbilanz zur Effektivität anderer therapeutischer Methoden wie Chiropraxis, Osteopathie, Akupunktur, Naturopathie, chinesische Medizin, anthroposophische Medizin, Phytotherapie usw. ” bereitgestellt wurde.

Es steht außer Zweifel, daß bei der Begleitung und Legitimierung des Prozesses der Anerkennung der nichtkonventionellen medizinischen Disziplinen weitergegangen werden muß: Organisation des Dialogs zwischen Universitätskreisen und den Sachverständigen der einzelnen Disziplinen; disziplinübergreifende Forschungsprogramme auf der Grundlage gemeinsam definierter Methodologien und angemessener Wirrksamkeitskriterien. Nimmt ein Patient eine Wirkung eines homöopathischen Heilmittels, einer osteopathischen Technik u.ä. wahr, so besteht nicht zwangsläufig eine direkte Kausalität. Die klinischen Studien, die Bewertungen der Behandlungsergebnisse und sonstige wissenschaftliche Untersuchungen oder akademische Forschungen sind notwendig, um das beobachtete Faktum in Beziehung zu setzen. Zugrunde liegt die Hypothese, daß ein homöopathisches Heilmittel, eine osteopathische Manipulation oder eine Akupunkturbehandlung eine nachweisbare Wirkung haben.

Diese Notwendigkeit des Nachweises der therapeutischen Wirkung darf jedoch nicht zu einer Diskriminierung der nichtkonventionellen Disziplinen gegenüber der Schulmedizin führen: Zahlreiche von ihr anerkannte medizinische Praktiken beziehen ihre Daseinsberechtigung eher aus in Medizinerkreisen herrschenden Meinungen als aus streng wissenschaftlichen Studien. Dennoch muß korrekterweise grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß eine Unterscheidung zwischen “Wissenschaft” und “Nichtwissenschaft” sowohl vernünftig als auch veränderungsfähig ist. In dem Maße, wie eine wachsende Zahl von Behandlungen und ganzen Systemen wissenschaftlich erhärtet werden, sind sie nicht mehr “nichtorthodox” und gehen in die tägliche Praxis ein, so daß sie dann nicht mehr zum Bereich der “nichtkonventionellen” Therapien gehören. Es ist also klüger, nicht einfach von einer starren Unterscheidung zwischen “Wissenschaft” und “Nichtwissenschaft” auszugehen, sondern von einem fluktuierenden Spektrum von Nachweisen und Anerkennung, wie dies im ganzen Verlauf der Wissenschaftsgeschichte vielfach festgestllt werden konnte.


5. Die Ausbildung der Praktiker

Die Qualitätsgarantie bei den nichtkonventionellen medizinischen Disziplinen muß durch eine angemessene Ausbildung der Ausübenden, die durch eine Diplomprüfung abgesichert ist, gewährleistet werden. Auch hier handelt es sich wiederum nicht um eine Vereinheitlichung, denn das für eine optimale Berufsqualifizierung erforderliche Ausbildungsniveau ist für die verschiedenen Disziplinen sehr unterschiedlich.

Eigenständige medizinische Systeme wie Homöopathie, anthroposophische Medizin, traditionelle chinesische Medizin oder Naturopathie sind grundsätzlich in ihrer Anwendung ebenso umfassend und vollständig wie die westliche Schulmedizin, auch wenn sich die von diesen verschiedenen medizinischen Disziplinen abgedeckten Krankheits- und Therapiefelder nicht genau decken. Eine wachsende Zahl von Praktikern dieser Systeme versucht, eine Autonomie der Diagnostik, der Behandlung und der Betreuung in jedem Krankheitsfall aufrechtzuerhalten oder zu entwickeln. Außerdem betrachten immer mehr Patienten, die diese Therapien in Anspruch nehmen, ihre Ärzte weniger als Spezialisten, die einen Schmerz oder ein Organ behandeln, sondern vielmehr als Generalisten, in deren Hände sie die Sorge für ihre Gesundheit legen. Dies sollte zwar eine intelligente Zusammenarbeit mit Schulmedzinern oder anderen Praktikern ergänzender medizinischer Disziplinen nicht ausschließen, erfordert jedoch ein Ausmaß an professioneller Autonomie, die mit einem hohen Verantwortungsniveau gegenüber dem Patienten einhergeht und eine ebenso strenge Ausbildung erfordert wie sie gegenwärtig für die Ausübung der westlichen Schuldmedizin vorgeschrieben ist. Zu diesem Zweck sollten und könnten die Studien, die zu einer vollständigen beruflichen Qualifzierung in diesen Systemen führen, entweder an einer Universität oder an einer privaten, von den nationalen Behörden anerkannten und bezuschußten Einrichtung absolviert werden. Sie müssen zur Erlangung eines staatlichen oder staatlich anerkannten Diploms führen.

Andere Disziplinen, wie die Reflexzonentherapie, die Aromatherapie, traditionelle orientalische Massagen, die Iridologie usw. werden ergänzend zu umfassenderen therapeutischen Techniken wie der westlichen Schulmedizin, der Homöopathie, der Phytotherapie, der Naturopathie usw. oder in gegenseitiger Ergänzung angewandt, und die Angehörigen dieser Berufe sehen sich im allgemeinen nicht als völlig autonome Praktiker. Die Diagnostik und die damit zusammenhängenden Kompetenzen sollten sich auf die Interpretation von Symptomen oder Zuständen beschränken, die bereits von einem Allgemeinpraktiker (der Schulmedizin oder einer anderen Richtung) identifiziert worden sind. Es wäre infolgedessen nicht angebracht, für solche Berufe eine vollständige Universitätsausbildung zu verlangen, doch ist zumindest eine Qualifizierung von hohem Niveau vorzusehen.

Schließlich gibt es, und dies wird auch noch einige Zeit der Fall sein, Ausübende der Homöopathie, der Phytotherapie, der Akupunktur und sonstiger größerer medizinischer Systeme, die sich eher in einer ergänzenden Rolle gegenüber umfassender oder besser qualifizierten Personen (häufig Ärzte der Schulmedizin) sehen. Diese Gruppe versucht nicht, autonom tätig zu sein, sondern überläßt Fragen der Diagnostik und der gesamtmedizinischen Betreuung der Patienten den Allgemeinmedizinern und verweisen die Kranken nötigenfalls an klinische Spezialisten. Auch hier erscheint es nicht angebracht, ein vollständiges Universitätsstudium zu verlangen. Es steht jedoch außer Zweifel, daß diese Praktiker ausgedehnte Kenntnisse des Systems, innerhalb dessen sie arbeiten wollen, besitzen müssen, da sonst ein System mit zwei Geschwindigkeiten entstehen und bei den Patienten Verwirrung stiften würde.


6. Legalisierung und Harmonisierung der Rechtsstellung der Praktiker

Abgesehen von der erforderlichen hochqualifizierten Ausbildung für die Ausübung der verschiedenen nichtkonventionellen Therapiearten mit einer maximalen Qualitätsgarantie für die Patienten ist es von wesentlicher Bedeutung, mit dem gleichen Ziel die Rechtsstellung der Praktiker zu kodifizieren.

Die Mehrzahl der nichtkonventionellen medizinischen Disziplinen, insbesondere der in diesem Bericht ausdrücklich genannten, sind bereits in den meisten Mitgliedstaaten bzw. auf europäischer Ebene organisiert. Dies bedeutet vor allem, daß ein Berufskodex besteht, in dessen Rahmen die von den aktiven Mitgliedern des Berufsstands einzuhaltenden Regeln definiert sind, und daß ein Register der Mitglieder des betreffenden Berufsstandes vorhanden ist. Bei Fehlen eines Rechtsstatus bestehen in manchen Mitgliedstaaten mehrere Berufsvereinigungen nebeneinander, jede mit ihrem eigenen Verhaltenskodex und Register. Zwischen den verschiedenen Mitgliedsataaten zeigen sich natürlich noch größere Unterschiede.

Eine europäische Initiative in der gleichen Richtung wie bei der Ausarbeitung der Richtlinien über die Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit für Ärzte, Krankenpfleger, Zahnärzte und Hebammen, muß nicht nur das Statut der Ausübenden nichtkonventioneller medizinischer Disziplinen innerhalb der Europäischen Union harmonisieren, sondern auch innerhalb der Mitgliedstaaten, in denen heute keinerlei rechtliche Anerkennung besteht. Diese Anerkennung kann nur insoweit im Rahmen der Ärzteschaft und ihrer nationalen und europäischen Vertretungsorgane erfolgen, als diese “neuen” medizinischen Disziplinen einen autonomen (ganzheitlichen) und spezifischen (unterschiedliche Kenntnisbereiche) Ansatz verfolgen.

Die Einsetzung von Sachverständigenausschüssen, in denen auf paritätischer Grundlage die Angehörigen der betreffenden Disziplin und die Vertreter der Ärzteschaft repräsentiert wären, erscheint als angemessener Rahmen für die Beurteilung der Wirksamkeit der therapeutischen Methoden, die Definition des Zuständigkeitsbereichs und der Behandlungsvorbehalte sowie für die Anerkennung der verschiedenen nichtkonventionellen medizinischen Disziplinen oder Therapieangebote. Was die interne Organisation anbelangt (Berufsethik, Standesregister, Schaffung eines gleichartigen Niveaus für die Ausbildung der gegenwärtig tätigen Praktiker) muß in das Ermessen jeder einzelnen medizinischen Disziplin gestellt werden.


7. Erweiterung des Handlungsrahmens der Sozialleistungssysteme

Das Fehlen eines Rechtsstatus der nichtkonventionellen Medizinrichtungen in den meisten Mitgliedstaaten erschwert deren Eingliederung in das bestehende Sozialleistungssystem. In diesem Zusammenhang haben sich in der Europäischen Union zwei Vorgehensweisen herausgebildet: Die erste besteht in der teilweisen Integration einiger dieser Medizinrichtungen, dies ist beispielsweise in Frankreich der Fall, wo homöopathische Heilmittel von den Krankenkassen erstattet werden, obwohl die Homöopathie keine rechtliche Anerkennung genießt und die Leistungen der Homöopathen nicht Gegenstand eines differenzierten Erstattungstarifs sind. Der zweite, wesentlich weiter verbreitete Ansatz, überläßt die Erstattung Privatversicherungen, die sich bereit erklären, ein paralleles Erstattungssystem einzuführen.

Keiner dieser beiden Ansätze kann auf Dauer befriedigen. Der erste wegen seiner Inkohärenz, der zweite, weil mit seiner allgemeinen Einführung eine Fortschreibung der Privatisierung der sozialen Sicherheit einhergehen würde, die eine Gefahr für die weitere gesellschaftliche Entwicklung darstellt.

Es ist logisch, daß, sobald eine Therapie als wirksam anerkannt ist, ihre Erstattung durch die Krankenkassen gewährleistet wird. Von einer freien Therapiewahl kann auch bei rechtlicher Anerkennung der nichtkonventionellen medizinischen Richtungen nicht die Rede seIn, wenn im Bereich der Erstattung durch die Krankenkassen diskriminiert wird.

Alle europäischen Sozialleistungssysteme sind stark defizitär. Dies darf allerdings nicht als Vorwand für die Ausgrenzung nichtkonventioneller Medizinrichtungen dienen, deren Berücksichtigung, unter anderem auch wegen ihrer vorbeugenden Aspekte, sich in den Rahmen einer umfassenden Reform der Sozialsysteme einfügen muß, innerhalb dessen ein Erstattungsmechanismus auf der Grundlage der absehbaren Gesamtkosten einer Krankheit und nicht nur der Behandlungen und Medikamente in Betracht gezogen werden könnte.

Schließlich muß sich jeder Therapeut, der sich in das System eingliedern möchte, den gleichen Verpflichtungen unterwerfen und die Krankenversicherungstarife sowie Kontrollen der Angemessenheit der Behandlung und Medikamentenverschreibung hinnehmen. Diese Kontrolle muß allerdings von Sachverständigen der betreffenden Medizinrichtung durchgeführt werden.

Mediziner und Praktiker der nichtkonventionellen Medizinrichtungen, die dies wünschen, müssen weiterhin die Möglichkeit haben, sich keinem krankenversicherungsrechtlichen System anzuschließen, sofern die Patienten hierüber klar und im voraus informiert werden. Andererseits darf die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, daß Patienten, die dies wünschen, bei Privatversicherungen Verträge zur Übernahme der nichterstatteten Gesundheitskosten abschließen.


8. Einbeziehung der Heilmittel der nichtkonventionellen Medizinrichtungen in die europäische Pharmakopöe

Die vom Europarat ausgearbeitete europäische Pharmakopöe muß auch für andere Pharmakopöen, insbesondere die Heilpflanzen der chinesischen Medizin, geöffnet werden. Es nützt nichts, Gesetze im Bereich der nichtkonventionellen Medizinrichtungen zu verabschieden, wenn man nicht gleichzeitig den Praktikern die Möglichkeit gibt, sich der Heilmittel zu bedienen, die sie für unerläßlich halten, zumal das geforderte hohe Ausbildungsniveau Befürchtungen im Zusammenhang mit der Gefahr einer mißbräuchlichen Verwendung dieser Medikamente ausräumen dürfte. Eine Revision der Richtlinien 65/65/EWG und 75/319/EWG drängt sich in diesem Zusammenhang auf. Diese Revision muß den freien Warenverkehr für alle Medikamente, gleich welcher Art, umfassen, vorausgesetzt, daß diese von einer der nichtkonventionellen Medizinrichtungen entsprechend ihren eigenen Kriterien anerkannt sind. Diese Revision muß sich auch auf den Inhalt der Protokolle zur Identifizierung der Grundstoffe, die bei der Herstellung der Arzneimittel verwendet werden, beziehen. Abgesehen von biologischen Tests ist es notwendig, mikroskopische und chromatographische Analysen durchzuführen. Andererseits muß in jedem Mitgliedstaat ein Beurteilungsausschuß, dem qualifizierte Praktiker der nichtkonventionellen Medizinrichtungen, Forscher, sachkundige Vertreter der Arzneimittelhersteller und der Verbraucherverbände sowie Vertreter der Kommission angehören, seine Zustimmung zu den Qualitätskriterien für die Erzeugnisse sowie zu den Wirksamkeits- und Unbedentklichkeitsnormen geben, auf denen die in der europäischen Pharmakopöe veröffentlichen Monographien beruhen. Ferner muß im gleichen Sinn die Verordnung 2309/93 zur Einsetzung der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln angepaßt werden.

Darüber hinaus muß das bestehende juristische Arsenal durch eine europäische Rechtsvorschrift über Nahrungsmittelzusätze ergänzt werden, die sich häufig auf der Grenzlinie zwischen Diätnahrung und Arzneimittel bewegen. Diese Rechtsvorschrift dürfte einen besseren Verbraucherschutz gewährleisten und es verhindern, daß aufgrund des derzeitigen Rechtsvakuums gegen die Hersteller bzw. Verkäufer dieser Nahrungsmittelzusätze Prozesse wegen illegalen Arzneimittelvertriebs angestrengt werden.

Allerdings muß die Gemeinschaft gegenüber Importen aus Drittländern, in denen für die gleichen Erzeugnisse andersartige Rechtsvorschriften gelten, wachsam bleiben. Es muß möglich sein, von den Importeuren Transparenz hinsichtlich der Bestandteile einer Arzneimittelspezialität und ihrer Qualität zu fordern, bei deren Fehlen die Gemeinschaft den Import von Erzeugnissen aus Ländern, die die unverzichtbaren Qualitäts- und Präzisionsvorschriften nicht beachten, verbieten muß.


9. Übergangszeitraum

Natürlich kann die Harmonisierung nicht von heute auf morgen stattfinden. Daher muß ein Moratorium beschlossen werden, das die Aussetzung der Gerichtsverfahren wegen illegaler Ausübung der Medizin, die in manchen Mitgliedstaaten (insbesondere in Frankreich) gegenwärtig gegen Praktiker der in diesem Bericht erwähnten nichtkonventionellen Medizinrichtungen angestrengt werden, ermöglicht. Andererseits können auch nicht alle ausgeschlossen werden, die bislang in einer Nische gearbeitet haben, und sich nun zu erkennen geben. Es muß also ein Äquivalenzausschuß aus Sachverständigen der betroffenen Richtung und akademisch qualifizierten Lehrern eingesetzt werden, der die Aufgabe hat, Fall für Fall die Situation der betroffenen Personen und ihre Diplome zu prüfen sowie über eine eventuell notwendig werdende Nachschulung zu entscheiden.


Anlage

Entschließungsantrag, eingereicht gemäß Artikel 45 der Geschäftsordnung von den Abgeordneten Pimenta, Dell’Alba, Diez de Rivera Icaza, Crowley, Ewing, Gonzalez Alvarez, und Lord Plumb zur alternativen (nicht unter den Begriff Schulmedizin fallenden) Medizin

Das Europäische Parlament,

A. unter Hinweis darauf, daß ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung (18-75% je nach Land) Zugang zu alternativen Behandlungsmethoden hat,

B. in der Auffassung, daß Schritte unternommen werden sollten, um Patienten freien Zugang zur Behandlung ihrer Wahl mit allen angemessenen Garantien zu gewährleisten,

C. unter Hinweis darauf, daß die gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften betreffend die legale Ausübung alternativer medizinischer Tätigkeiten zu diesen Garantien zählen,

D. unter Hinweis darauf, daß die freie Wahl der Behandlung wie andere Behandlungsmöglichkeiten von den Sozialversicherungssystemen umfaßt sein werden und es bei der Erstattung von Dienstleistungen und Arzneimitteln im Hinblick auf alternative Behandlungsformen keine Diskriminierung geben sollte,

E. unter Hinweis darauf, daß zur Gewährleistung der Niederlassungsfreiheit der Bürger Beschränkungen aufgehoben werden müssen, wie es Artikel 57 Absatz 3 des Vertrags vorsieht, und zwar durch Koordinierung der Bedingungen für die Ausübung der ärztlichen, arztähnlichen und pharmazeutischen Berufe in den einzelnen Mitgliedstaaten,

  1. fordert die Kommission auf, die zur Harmonisierung der Vorschriften für die verschiedenen Bereiche der alternativen Medizin erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen;
  2. fordert den Rat auf, diesbezüglich Rechtsvorschriften zu verabschieden, um den Patienten die freie Wahl der Behandlung mit allen angemessenen Garantien und den Ausübenden dieser Berufszweige die Niederlassungsfreiheit wirksam zu gewährleisten;
  3. fordert den Rat auf, den Mitgliedstaaten zu empfehlen, alternative medizinische Behandlungsformen in die Sozialversicherungssysteme einzubeziehen.


Stellungnahme

(Artikel 147 der Geschäftsordnung)

des Ausschusses für Recht und Bürgerrechte für den Ausschuß für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz

Verfasser der Stellungnahme: Herr Siegbert Alber

In seiner Sitzung vom 29. Oktober 1996 benannte der Ausschuß für Recht und Bürgerrechte Herrn Siegbert Alber als Verfasser der Stellungnahme.


Der Ausschuß hielt in seiner Sitzung vom 25. – 26. November 1996 einen Gedankenaustausch ab, prüfte den Entwurf einer Stellungnahme in seiner Sitzung vom 27. – 28. Januar 1997 und nahm bei der letztgenannten Sitzung die Gesamtheit der Schlußfolgerungen mit 13 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 0 Enthaltungen an.

Bei der Abstimmung waren anwesend: die Abgeordneten De Clercq, Vorsitzender; Alber, Verfasser der Stellungnahme; Añoveros Trias de Bes, Berger, Cassidy, Cot, Crowley, Gebhardt, Herman (in Vertretung des Abgeordneten Ferri), Hory, Martin D., Thors, Ullmann, Valverde López (in Vertretung der Abgeordneten Palacio Vallelersundi) und Zimmermann.

Der Bericht Lannoye will die Anerkennung der nichtkonventionellen Medizin erreichen. Vor allem für 7 namentlich genannte Heilmethoden fordert er den Erlaß von Richtlinien.


I. Allgemeine Überlegungen


1) Gemeinschaftskompetenz und Rechtsgrundlage

Die grenzüberschreitende Dimension der nichtkonventionellen Medizinrichtungen bezieht sich auf die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit von nichtkonventionellen Medizinern, auf den Warenverkehr (insbesondere Arzneimittel), und auf den Dienstleistungsverkehr der Patienten (Patienten begeben sich zum Arzt; freie grenzüberschreitende Auswahl).

Der EGV erwähnt die Gesundheit in den Artikeln 3 Buchstaben o) und s)[10]Verbraucherschutz; dieser kann sich auf Arzneimittel beziehen , 36, 56, 100 a (3) und 129. Gemeinschaftliche Rechtsakte sind zwar in Artikel 129 nicht vorgesehen, doch kann aus den gehäuften Hinweisen auf die Gesundheit geschlossen werden, daß der Gesundheitsschutz ein Anliegen der Union ist.

Ohne auf Artikel 235 einzugehen, kommen als Rechtsgrundlagen Artikel 54 (2), 57 (1) und (2), 63 (2) und Artikel 100 a[11]Die Richtlinie 92/73 (ABl L 297 vom 13.10.1992, S. 8) war auf Artikel 100 A gestützt. in Betracht.

Aufgrund der Spezialität seines Absatz 3 (arg.:”arztähnliche Berufe”) erscheint Artikel 57 im systematischen Zusammenhang als die geeignetste Rechtsgrundlage. Nach Absatz 1 ist die gegenseitige Anerkennung von Diplomen, nach Absatz 2 die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten erfaßt. Die Formulierung des Absatz 1 ist allgemein gehalten, daher können Diplome auf dem Gebiet der nichtkonventionellen Medizin, die in den Mitgliedstaaten bereits existieren, darunter subsumiert werden. Auch die Formulierung des Absatz 2 ist allgemein gehalten. Es gibt keine Anhaltspunkte, daß Tätikeiten der nichtkonventionellen Medizin davon ausgeschlossen sein sollten.

Da die in Betracht kommenden Artikel keine engen Formulierungen besitzen, kann bei der Frage nach der Rechtsgrundlage von einem weiten Ermessensspielraum der am Gesetzgebungsprozeß beteiligten Organe ausgegangen werden.

Die Harmonisierungskompetenz nach Art. 57 (2) ist aus folgenden Gründen nicht auf bestehende Rechts- und Verwaltungsvorschriften begrenzt: Erstens trifft der Wortlaut des Art. 57 (2) keine Unterscheidung in bestehende und zu schaffende Rechts- und Verwaltungsvorschriften. Zweitens kann das gänzliche Fehlen von Vorschriften je nach Regelungszusammenhang als völliges Verbot oder als völlige Liberalisierung der betreffenden nichtkonventionellen Medizin gedeutet werden. Diese Vorschriften können dann jedenfalls harmonisiert werden. Drittens spricht ein teleologisches Argument gegen eine enge Auslegung des Art. 57 (2): Es wäre unsinnig, eine hinreichende Divergenz in den nationalstaatlichen Regelungen abzuwarten, um erst dann die gewünschte Einheit wiederzuherstellen!


2) Subsidiarität

Zunächst ist eine enorm große Disparität zwischen den Regelungen der Mitgliedstaaten im Bereich der nichtkonventionellen Medizin zu vermerken. Dies führt dazu, daß die Wettbewerbsbedingungen für nichtkonventionelle Mediziner in den Mitgliedstaaten nicht annähernd gleich sind. Von diesem Blickwinkel her ist ein europäischer Handlungsbedarf grundsätzlich gegeben. – Andererseits bedürfen Eingriffe in die Organisation und die Beitrags- und Erstattungspflichten der Krankenkassen der Mitgliedstaaten keiner europäischen Regelung; diese Regelungen verbleiben nach dem Subsidiaritätsprinzip den Mitgliedstaaten.


3) Abstrakte Definition oder abschließende Aufzählung?

Zu den Definitionsansätzen von Herrn Lannoye sind die folgenden Ergänzungen vorzunehmen:

Unter dem Begriff der nichtkonventionellen Medizin sollten die nicht oder noch nicht der Schulmedizin angehörenden Heilverfahren verstanden werden, die zum einen die von ihnen versprochene Heilung mit hoher Wahrscheinlichkeit herbeiführen und deren Vermittlung zum anderen nicht notwendigerweise an die Erlangung eines staatlichen Grades in der medizinischen Wissenschaft (Arztdiplom) gebunden ist.

Eine abstrakte Definition ist vor einer enumerativen Aufzählung zu bevorzugen, weil es ungerechtferigt wäre, neue Entwicklungen auf dem Gebiet der nichtkonventionellen Medizin einzuschränken oder gar zu unterbinden.

Außerdem wären einzelne Richtlinien für jede nichtkonventionelle Medizinrichtung unzweckmäßig. Einer einheitlichen Richtlinie – wie in der Schulmedizin – ist der Vorzug zu geben.

Die Nichtexistenz eines Berufsbildes in einem Mitgliedstaat darf bei Vorliegen einer europäischen Richtlinie nicht die Ausübung dieses Berufes in diesem Mitgliedstaat unterbinden.


4) Einsetzung von Ausschüssen

Die Einsetzung der von Herrn Lannoye geforderten Ausschüsse ist grundsätzlich sinnvoll, sie müssen sich in den Grenzen des Beschlusses des Rates vom 13. Juli 1987[12]ABl L 197 vom 18.7.1987, S. 33 halten. Ein Verwaltungsausschuß (Typ II b) wird auch im Bericht Fontaine (A4-0268/96) über die Freizügigkeit der Ärzte und die gegenseitige Anerkennung ihrer Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise gefordert.


5) Patientenschutz

Ein wichtiger Aspekt eines effizienten Gesundheitsschutzes ist der Schutz der Patienten. Dieser kann durch höchstmögliche Qualifikation, Aufklärungspflichten und adäquate Kompensationsmechanismen erreicht werden.          


Zum Qualifikationsniveau für nichtkonventionelle Mediziner

a) Schulmediziner, die sich einer nichtkonventionellen Medizin zugewandt haben, verfügen über diejenigen Kenntnisse, die es ihnen ermöglichen, die im Bedarfsfall nötigen schulmedizinischen Therapieschritte einzuleiten. Ein solches Qualifikationsniveau ist zu begrüßen, die Bedenken sind bei dieser Personengruppe am geringsten. Ausgebildete Ärzte, die sich mit der nichtkonventionellen Medizin befassen, können demnach bedenkenlos als nichtkonventionelle Mediziner tätig werden.

b) Nichtkonventionelle Mediziner ohne Arztdiplom besitzen von ihrem Ausbildungsgang her oft nicht die nötigen Grundkenntnisse. Es ist daher danach zu trachten, ein möglichst hohes Qualifikationsniveau zu erreichen. Dies kann durch berufsständische Selbstregulierung gewährleistet werden: Berufsständische Organisationen könnten über die Zulassung zur und über Ausübung der jeweils in Betracht gezogenen Disziplin wachen. Unter der Voraussetzung einer ausreichenden Ehrhaftigkeit der Mitglieder des Berufsstandes wären diese am ehesten dazu berufen, über ihre Kollegen zu urteilen. Man kann dabei davon ausgehen, daß die Berufsstände einen strengen Maßstab anlegen werden, um die Konkurrenz gering zu halten. Diese berufsständischen Organisationen sollten öffentlich kontrollier bar sein. Als Mindestmaß ist dasjenige Qualifikationsniveau zu fordern, welches sich in einem Mitgliedstaat für den Beruf des Heilpraktikers herausgebildet hat. Es ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß dieses Qualifikationsniveau nicht abstrakt umschrieben ist, sondern in weitem Ermessen von Fall zu Fall von den zuständigen Behörden als gegeben oder nicht gegeben angesehen werden kann.[13]Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz) vom 17. Februar 1939 (RGBl I S. 251; BGBl III 2122-2); Erste Durchführungsverordnung zum Gesetz über … weiterlesen Für nichtkonventionelle Mediziner sind jedenfalls Grundkenntnisse in der Schulmedizin plus vertiefte Kenntnisse in der betreffenden nichtkonventionellen Medizinrichtung zu fordern.


Präventionsmechanismen und Kompensationsmechanismen

Als solche kommen zum Schutz der Patienten einerseits vor allem Aufklärungspflichten und andererseits verpflichtend vorgeschriebene Haftpflichtversicherungen in Betracht. Die Aufklärung sollte verpflichtend vom Behandelnden selbst möglichst umfassend durchgeführt werden. Aufklärungskampagnen können ebenfalls Abhilfe schaffen. Der Inhalt der Aufklärung ist von den Standesorganisationen aufzustellen und zu kontrollieren. Eine verpflichtend vorgeschriebene Haftpflichtversicherung sollte mit der verpflichtenden Mitgliedschaft in der berufsständischen Organisation einhergehen. Sie darf nicht schwächer ausgestaltet werden als Haftpflichtversicherungen für Schulmediziner.


II. Rechtliche Schlußfolgerungen und Änderungsvorschläge


A) Schlußfolgerungen

1. Die nichtkonventionellen Medizinen sind abstrakt zu definieren. Unter dem Begriff der nichtkonventionellen Medizin sollten die nicht oder noch nicht der Schulmedizin angehörenden Heilverfahren verstanden werden, die die von ihnen versprochene Heilung mit hoher Wahrscheinlichkeit herbeiführen und deren Vermittlung nicht notwendigerweise an die Erlangung eines staatlichen Grades in der medizinischen Wissenschaft (Arztdiplom) gebunden ist.

2. Das Bestehen einer Gemeinschaftskompetenz auf dem Gebiet der nichtkonventionellen Medizinen ist grundsätzlich zu bejahen. Regelungen auf diesem Gebiet können insbesondere auf Artikel 57 (1) und (2) gestützt werden. Zu diesem Zweck muß der Hinweis auf Artikel 138b Absatz 2 des Vertrags ausdrücklich in der Entschließung enthalten sein.

3. Jede Gemeinschaftsregelung muß als vorrangiges Ziel haben, die freie Therapiewahl der Patienten sicherzustellen, sie umfassend über die Vorteile, Grenzen und Risiken der Inanspruchnahme von nichtkonventionellen Medizinrichtungen zu unterrichten und sie gegen Scharlatane zu schützen.

4. Bei nichtkonventionellen Medizinern ist von einem möglichst hohen Qualifikationsniveau auszugehen. Es ist ein Qualifikatonsniveau zu fordern, das zumindest zum Beispiel demjenigen entspricht, welches sich für Heilpraktiker herausgebildet hat.

5. Als Präventions- und Kompensationsmechanismen sind im allgemeinen die verpflichtende Mitgliedschaft in öffentlich kontrollierbaren berufsständischen Organisationen und im besonderen ausführliche Aufklärung sowie der verpflichtende Abschluß einer Haftpflichtversicherung durch die die nichtkonventionelle Behandlung ausführende Person vorzusehen.


B) Folgende Punkte sollten im Bericht Lannoye geändert werden:

6. Der in Hinweis 2 des Berichtsentwurfes erwähnte Entschließungs antrag der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 28. Januar 1994 muß mit dem Vermerk gekennzeichnet werden, daß dieser Text nur die Meinung der unterzeichnenden Antragsteller wiedergibt und keine von der Parlamentarischen Versammlung angenommene Stellungnahme ist. Deshalb ist Hinweis 2 zu streichen.

7. Der Passus von den “Verpflichtungen, die sich für die Mitgliedstaaten aus dem Vertrag und insbesondere aus Artikel 57, Absatz 3 ergeben, durch den die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, die Bedingungen für die Ausübung von medizinischen und paramedizinischen Berufe zu koordinieren” in Erwägungsgrund F, letzter Teilsatz, ist zu streichen, da sich aus Art. 57 (3) keine Verpflichtung ergibt.

8. Die Kostenübernahme durch die Sozialversicherungssysteme fällt nicht in die Zuständigkeit der Gemeinschaft. Erwägung L ist deshalb in diesem Sinne zu ändern.

9. Getrennte Richtlinien über die einzelnen nichtkonventionellen Medizinrichtungen dürften nicht wünschenswert sein. Die Kommission sollte in Abstimmung mit den Experten in den verschiedenen Fachrichtungen prüfen, ob als diesbezüglichen Rechtsvorschrift einer einheitlichen Richtlinie der Vorzug zu geben ist.

10. Der Passus über die Einreichung der Untätigkeitsklage in Ziffer 2 des Resolutionsentwurfs ist angesichts des Wortlautes von Artikel 175 (2) unhaltbar und daher zu streichen.

11. Ausschüsse, wie sie in Ziffer 6 des Berichtsentwurfs angeregt werden, können nur durch verbindliche Rechtsakte eingesetzt werden. Diese Rechtsakte müssen auf Rechtsgrundlagen des Vertrages fußen. Im übrigen stellen die paritätische Zusammensetzung des in Ziffer 6a) vorgesehenen Sachverständigenausschusses und das Prinzip der Selbstregulierung für den in Ziffer 6b) vorgesehenen Beurteilungsausschuß nicht die erforderlichen Garantien zum Schutz der Patienten dar. Deshalb sind diese Bestimmungen zu streichen.

12. Das in Ziffer 7 des Berichtsentwurfs geforderte Moratorium ist rechtsstaatlich bedenklich und ein Eingriff in die einzelstaatliche Strafrechtskompetenz. Alle darauf abzielenden Passagen des Resolutions-teiles des Berichtes Lannoye sollten daher gestrichen werden.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 ABl. C 183 vom 15.07.1991, S. 322
2 ABl. L 297 vom 13.10.1992, S. 8
3 ABl. C 350 vom 30. Dezember 1995, S.6
4 Unter nichtkonventioneller Medizin sind im Gegensatz zu den Begriffen alternative und/oder ergänzende Medizin, die im Rahmen der Schulmedizin verwandt werden (beispielsweise wird der Ausdruck “alternativ” üblicherweise zur Bezeichnung einer medikamentösen Behandlung benutzt, die an die Stelle einer chirurgischen Behandlung treten kann und umgekehrt) medizinische Disziplinen oder Praktiken wie Anthroposophie, Homöopathie, chinesische Medizin oder Naturopathie zu verstehen, d.h. eigenständige oder durch theoretische bzw. philosophische Konzepte untermauerte medizinische Systeme, die in der Krankheit weniger eine Folge externer Einwirkungen als vielmehr ein Ungleichgewicht des Organismus sehen.
5 Der Heilpraktiker kann, wenn er eine entsprechende Erlaubnis hat, nichtkonventionelle Medizinrichtungen ausüben.
6 Dies ist insbesondere der Fall für die Homöopathie, Phytotherapie, anthroposophische Medizin, Naturopathie, Akupunktur, traditionelle chinesische Medizin, Osteopathie und Chiropraxis.
7 Randomised comparison of chiropractic and hospital outpatient treatment for low back pain of mechanical origin – T.W. Meade, Sandra Dyer, Wendy Browne, Joy Townsend, A.O. Frank, The Medical Research Council Epidemiology and Medical Care Unit, Northwick Park Hospital, Harrow, England, published in the British Medical Journal, Volume 300, 2 June 1990. – Randomised comparison of chiropractic and hospital outpatient treatment for low back pain: results from extended follow-up – T.W. Meade, Sandra Dyer, Wendy Browne, Joy Townsend, A.O. Frank, The Medical Research Council Epidemiology and Medical Care Unit, Northwick Park Hospital, Harrow, England, published in the British Medical Journal, Volume 311, 5 August 1995.
8 WALACH, H. (1992). Wissenschaftliche Homöopathische Arzneimittelprüfung. Doppelblinde crossover-Studie einer homöopathischen Hochpotenz gegen Placebo. Heidelberg : Haug. – LINDE K., JONAS W.B., MELCHAT D., WORKU F., WAGNER H., EITEK F. (1994). Human and Experimental Toxicology. in : Critical review and meta-analysis of serial agitated dilutions in experimental toxicology, nº 13, pp. 481-492. – KLEIGNEN J., KNIPSCHILD P., ter RIET G. (1991). Clinical trials of homeopathy : a meta analysis. In British Medical Journal, nº 302, pp. 316-323.
9 KOM (90) 72 end, S. 3
10 Verbraucherschutz; dieser kann sich auf Arzneimittel beziehen
11 Die Richtlinie 92/73 (ABl L 297 vom 13.10.1992, S. 8) war auf Artikel 100 A gestützt.
12 ABl L 197 vom 18.7.1987, S. 33
13 Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz) vom 17. Februar 1939 (RGBl I S. 251; BGBl III 2122-2); Erste Durchführungsverordnung zum Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz) vom 18. Februar 1939 (RGBl I S. 259; BGBl III 2122-2-1); siehe § 1 des Heilpraktikergesetzes sowie §§ 3 (1), 3 (2) und 4 der Durchführungsverordnung. Für die Ausbildung zum Heilpraktiker stehen private Schulen zur Verfügung, deren Besuch aber nicht obligatorisch ist. Gesundheitsämter führen aufgrund von “Leitfäden” eine Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten von Heilpraktiker-Anwärtern durch, bevor eine Erlaubnis zur Ausübung der Tätigkeit als Heilpraktiker erteilt wird. Die Heilpraktiker sind in mehreren Verbänden privatrechtlich organisiert.