Vegan leben ohne Mangelerscheinungen (aus der Sicht der westlichen Medizin)

In Deutschland leben rund sechs Millionen Vegetarier. Davon ernährt sich etwa jeder Zehnte vegan, verzichtet also auf jegliche tierische Produkte. Hinter der veganen Ernährung stehen nicht nur ethische und weltanschauliche Gründe. Auch Allergiker, Personen mit Laktoseunverträglichkeit oder Menschen, die sich ganz besonders gesund ernähren wollen, streichen Milch, Ei und/oder Fleisch von ihrem Speiseplan. Zudem haben Massentierhaltung, Fließbandschlachtung und Tiertransporte unter quälerischen Bedingungen u.ä.m. vielen den Appetit auf Fleisch verdorben. Für manche ist es so nur noch ein weiterer, konsequenter Schritt zu veganer Ernährung, denn Milch- und Eierproduktion sind untrennbar mit der Fleischwirtschaft verbunden. Damit eine Kuh Milch gibt, muss sie jedes Jahr kalben, und gewöhnlich landet (zumindest) der männliche Nachwuchs früher oder später auf der Schlachtbank. Ähnlich ist es auch bei Legehennen, weshalb in Deutschland jährlich rund 45 Millionen männliche Küken nach dem Schlüpfen getötet werden.

Zahlreiche Studien belegen mittlerweile, dass Vegetarier und insbesondere Veganer (Menschen, die sich vegan ernähren) seltener an Übergewicht, Bluthochdruck und erhöhten Blutfettwerden leiden. Purine, Cholesterin und tierisches Fett in Fleisch, Milch und Eiern wirken sich hier problematisch auf die Gesundheit aus. Zivilisationskrankheiten wie Herzinfarkt, Krebs und Diabetes treten deshalb bei Menschen, die sich ausschließlich pflanzlich ernähren, deutlich seltener auf. Neben der gezielten Nahrungsauswahl liegt dies aber auch an ihrer insgesamt gesünderen Lebensweise. Veganer trinken im Durchschnitt weniger Alkohol, rauchen seltener, bewegen sich regelmäßiger und konsumieren seltener Genussmittel und Drogen.

Gleichzeitig warnen Ernährungswissenschaftler aber auch vor den Gefahren einer veganen Ernährung, weil sich leicht ein Mangel einstellen kann. Davon betroffen sind vor allem Säuglinge und Kleinkinder sowie schwangere und stillende Mütter, aber auch alle anderen vegan lebenden Menschen, die nicht auf eine ausreichende Versorgung mit den Vitaminen B2, B12 und D, Eisen, Calcium, Jod und Zink achten. Wird die Nahrungsauswahl nicht bewusst vorgenommen, kann es zudem auch leicht zu einer Unterversorgung mit Energie und lebensnotwendigen Proteinen kommen.


Vitamin B12

Das für die Blutbildung unerlässliche Vitamin B12 (Cobalamin) ist ausschließlich in tierischen Lebensmitteln enthalten. Aber auch Bakterien, Pilze und einige Algen können Vitamin B12 produzieren. So finden sich in fermentierten (mit Mikroorganismen versetzten) Produkten wie Sauerkraut, Miso, Tempeh, Tamari und Shoyu wie auch in verschiedenen Blaualgen (z.B. Spirulina, Chorella oder AFA-Algen) geringe Mengen von Vitamin B12. Viele dieser Nahrungsmittel, die so genannte B12-Analoga enthalten, sind für den Menschen aber nicht verwertbar.

Unser Körper benötigt Vitamin B12 nur in geringen Mengen, und das auch nicht täglich, weil unser Körper das Vitamin speichert. Ein gefüllter Vitamin-B12-Speicher (2 bis 3 mg) reicht für etwa 3 bis 15 Jahre. Bei einem Mangel an Vitamin B12 erscheinen Betroffene zunächst blass und energielos. Sie fühlen sich schwach und schwindlig. Diese so genannte perikunäre Anämie ist allerdings noch nicht wirklich gefährlich und kann durch die Aufnahme von Vitamin B12 wieder beseitigt werden. Irreversibel sind jedoch die Schäden am Nervensystem, die im weiteren Verlauf eines Mangels entstehen.

Ob ein Mangel an Vitamin B12 vorliegt, ist nur schwer zu erkennen. Insbesondere bei Veganern, die in der Regel gut mit dem Vitamin Folsäure[1]Folsäure ist Koenzym, das für die Bildung von körpereigenem Protein und Hämoglobin benötigt wird und der Vitamin-B-Gruppe zugerechnet wird. versorgt sind, kann eine Unterversorgung mit Vitamin B12 lange verborgen bleiben. Folsäure übernimmt nämlich teilweise ähnliche Funktionen wie Vitamin B12.

Bei den meisten Veganern liegt der Vitamin-B12-Spiegel im Blut weit unter den Werten von Mischköstlern. Selbst erste zelluläre Mangelzeichen wie erhöhte Werte von Methylamonsäure und Homocystein zeigen sich bei mehr als der Hälfte der vegan lebenden Menschen (Untersuchung an der Uniklinik Saarland). Die Durchschnittswerte für Vitamin B12 liegen bei 170 bis 1130 Piktogramm je Milliliter Blutserum (pg/ml). Langjährige Veganer zeigen oft niedrigere Werte als 100 bis 200 pg/ml. Ab einem Spiegel von unter 200 pg/ml können bei zusätzlich schlechter Versorgung mit Folsäure erste Mangelsymptome auftreten. Dauerhafte Schäden treten ab Werten von weniger als 30 pg/ml auf.


Vitamin D

So wie Vitamin B12 kommt auch Vitamin D ausschließlich in tierischen Produkten vor. In Kohlarten, Spinat, Pilzen und Hefen finden sich allerdings größere Mengen des Provitamin D2. Unter Sonneneinstrahlung kann in der Haut daraus Vitamin D gebildet werden. Entsprechend ist der Vitamin-D-Status in den Sommermonaten günstiger als in den dunkleren Jahreszeiten und (auf der nördlichen Halbkugel) in den südlichen Regionen günstiger als in den nördlichen.

Insgesamt tritt ein Vitamin-D-Mangel bei Veganern relativ selten auf, auch wenn sie weniger Vitamin D aufnehmen – im Vergleich zu Ovo-Lakto-Vegetariern und Mischköstlern –, weil das Defizit wohl durch ausreichend lange Aufenthalte im Freien (und damit UV-Einwirkung) ausgeglichen wird.


Calcium

Calcium ist notwendig für das Knochenwachstum und für die Vorbeugung gegen Osteoporose. Ein Mangel zeigt sich bei Kindern durch nicht ausreichend mineralisierte Knochen (Rachitis) und in der zweiten Lebenshälfte durch brüchigere Knochen (Osteoporose). Milch- und Milchprodukte sind bei uns die Hauptquellen für Calcium, dennoch zeigen vegan lebende Menschen kaum auffällig erhöhte Anzeichen eines Calcium-Mangels.

Eine hohe Proteinzufuhr erhöht auch die Calciumausscheidung über die Nieren beträchtlich, weshalb die Aufnahme von 900 bis 1200 mg Calcium pro Tag empfohlen wird – mehr als der doppelte Tagesbedarf. Hier wirkt sich die geringe Proteinaufnahme vegan liebender Menschen positiv auf die Calciumbilanz aus. Die Annahme, dass Veganer weniger Calcium benötigen, wird auch durch Studien bestätigt, die zeigen, dass offenbar das Verhältnis von Protein und Calcium weitaus bedeutender ist als die Calciumzufuhr allein.[2]Verglichen wurden die Zahlen der Hüftfrakturen (ein Indiz für Osteoporose). Hier zeigte sich, dass ihre Zahl viel höher liegt in Ländern, in denen viel Calcium und tierische Lebensmittel … weiterlesen

Dennoch sollten Veganer auf ihre Calciumaufnahme achten, denn Ballaststoffe, Phytin- und Oxalsäure (z.B. aus Vollkornprodukten), Rhabarber und Spinat behindern die Aufnahme von Calcium. Gute pflanzliche Quellen hingegen sind dunkelgrüne Gemüse wie Brokkoli, Grünkohl und Fenchel sowie Mandeln und Haselnüsse. Auch calciumreiches Mineralwasser (mit rund 150 mg/l) trägt zur Calcium-Versorgung bei.


Eisen

Veganer nehmen durchschnittlich mehr Eisen auf als Nicht-Vegetarier. Das dreiwertige Eisen aus pflanzlichen Quellen ist allerdings nicht so gut verwertbar wie das zweiwertige aus Fleisch und Wurst. Zugleich hemmen pflanzliche Begleitstoffe wie Phytinsäure und Ballaststoffe die Aufnahme. Vitamin C und Fruktose können die Verfügbarkeit aus pflanzlichen Lebensmitteln allerdings erhöhen.

Eine deutsche Studie ergab, dass 42 Prozent der jüngeren und 13 Prozent der älteren Veganer die als „normal“ geltenden Blutkonzentrationen für Eisen unterschreiten. Überraschenderweise waren damit aber keine physiologischen Nachteile wie Blutarmut oder Leistungsschwäche verbunden. Im Gegenteil gibt es sogar Hinweise darauf, dass Normwerte im unteren Bereich möglicherweise vor Infektionskrankheiten und Arteriosklerose schützen.


Jod und Zink

Für Veganer, die keinen Fisch und keine Meerestiere essen, gilt die Empfehlung jodiertes Speisesalz zu verwenden.

Zink ist, ähnlich wie Eisen, aus pflanzlicher Nahrung weniger gut verfügbar als aus tierischer Nahrung. Dass es dennoch bei Veganern kaum Anzeichen eines Zink-Mangels gibt, dürfte daran liegen, dass langjährige Vegetarier Zink aus pflanzlicher Nahrung besser verwerten können als Nicht-Vegetarier. Kinder allerdings sind eher gefährdet, da sie dies Anpassungsfähigkeit noch nicht zu besitzen scheinen.

Da die für Lakto-Vegetarier und Mischköstler häufigste Zink-Quelle (Milch- und Milchprodukte) entfällt, sollten sie auf zinkreiche Lebensmittel achten. Vollkornprodukte, Sojabohnen und Erdnüsse sind gute pflanzliche Lieferanten. Günstig ist insbesondere auch Sauerteigbrot, da durch diese Teigführung Phytate abgebaut werden, die sonst die Verfügbarkeit des Zinks mindern können.


Vitamin B2

Durch den Verzicht auf Milchprodukte entgeht Veganern eine wichtige Quelle für Vitamin B2 (Riboflavin). Eine ausreichende Versorgung ist aber dennoch möglich, wenn auf Vitamin-B2-reiche Lebensmittel geachtet wird. Gute Lieferanten sind hier dunkelgrüne Blattgemüse wie Spinat und Grünkohl, aber auch Mais, Amaranth und Haferflocken.


Empfehlung der Ernährungswissenschaftler

Um Defizite zu vermeiden, ist bei veganer Lebensweise auf eine sorgfältige Auswahl der Nahrungsmittel besonders zu achten. Neben reichlich Obst und Gemüse – insbesondere dunkelgrünes Gemüse – sollten Vollkornprodukte und Hülsenfrüchte einschließlich Sojaprodukte auf dem Speiseplan stehen. Auch Nüsse, Samen und pflanzliche Öle sind von Bedeutung. Sinnvoll scheint zudem calciumreiches Mineralwasser zu wählen und eisenreiche Getreide- und Gemüsegerichte mit Vitamin-C-haltigem Obst oder Saft zu kombinieren.

Patienten mit erhöhtem Nährstoffbedarf, Säuglingen und Kleinkindern, Heranwachsenden, alten Menschen, Schwangeren und Stillenden wird allerdings von einer veganen Lebensweise abgeraten. Empfehlenswerter ist hier aus medizinischer Sicht eine ovo-lakto-vegetabile Ernährung, denn schon der gelegentliche Verzehr von Milch- und Milchprodukten schließt kritische Versorgungslücken an Vitamin B2, Vitamin B12 und Calcium.


Quelle

Stefan Weigt: „Vegane Ernährung. Geht´s auch rein pflanzlich?“ (UGB-Forum 6/2003, S. 296-299)

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Folsäure ist Koenzym, das für die Bildung von körpereigenem Protein und Hämoglobin benötigt wird und der Vitamin-B-Gruppe zugerechnet wird.
2 Verglichen wurden die Zahlen der Hüftfrakturen (ein Indiz für Osteoporose). Hier zeigte sich, dass ihre Zahl viel höher liegt in Ländern, in denen viel Calcium und tierische Lebensmittel konsumiert werden, als in Ländern, in denen wesentlich weniger Calcium und tierisches Protein auf dem Speiseplan stehen.