Tabus über Brustkrebs brechen (Pamela Ellen Ferguson)

Übersetzung: Anne Frederiksen

Es ist eine Kunst, Krebspatienten zu behandeln. Diese Behandlungen gehen weit über die Meridiane und die Auswahl von Punkten hinaus. Sie brechen alte Tabus und machen es nötig, sich umfassend mit der ganzen Person und ihrer Familie zu beschäftigen. Bei der Arbeit mit Krebspatienten ist es wichtig, gut informiert zu sein über die vielfältigen Behandlungsmöglichkeiten der Schulmedizin und der alternativen Medizin, über Lang- und Kurzzeitwirkungen von Chemotherapie und Bestrahlungen. Auch Selbsthilfegruppen vor Ort sind hilfreich, und man sollte sich unbedingt mit ihnen in Verbindung setzen. Wichtig ist natürlich vor allem, mit den subtilen Möglichkeiten, das Jing wieder aufzubauen, vertraut zu sein.

Dr. Med Isabel Selassie demonstrating breast cancer exercises

Ich habe meine persönlichen Erfahrungen als Krebsüberlebende in einen lebendigen Unterricht eingebracht und biete diese Art von Workshops in den USA, Deutschland, der Schweiz und Österreich an. Ich glaube, dass diejenigen von uns, die in Heilberufen arbeiten und den Krebs überlebt haben, die Pflicht haben, sich auf diesem Gebiet zu spezialisieren zum Nutzen unserer Krebspatienten, unserer Studenten, deren Patienten und Familien. In der amerikanischen Zeitschrift “Acupuncture Today” habe ich zwei Artikel über Krebs geschrieben (Busting Tabus About Breast Cancer, Part One & Busting Tabus About Breast Cancer, Part Two), die man auch im Internet unter www.Acupuncturetoday.com findet. Hier einige Auszüge.

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Meine persönlichen und professionellen Erfahrungen haben folgendes ergeben:

  • Mit anderen Krebspatienten und deren Familien zusammenarbeiten, Krebspatienten als Individuen behandeln und keine Verallgemeinerungen über Krebs verbreiten.
  • Besondere Ki- und Zen Shiatsu-Behandlungsprotokolle vor und nach der Operation erstellen.
  • Kreativ mit den Überlebenden arbeiten.
  • Den Patienten helfen, eine gute Auswahl an Informationen zu finden, besonders eine Kombination aus herkömmlichen und alternativen Behandlungsmethoden und anderen förderlichen Therapien.
  • Kreativ mit den Kranken, die sich im Endstadium befinden, arbeiten.


Einige Ratschläge für Shiatsu-Therapeuten, die beabsichtigen, mit Brustkrebspatienten zu arbeiten:

  • Wende nur wenige Techniken an. Praktiziere die Kunst des „Weniger ist mehr“. Verwende mehr Zeit für Deine eigene Ki-Vorbereitung. Vermeide tiefgehenden Druck bei den Patienten. Praktiziere Ki-Arbeit, ohne den Körper zu berühren, um im Bereich der Zonen, die gerade operiert wurden, arbeiten zu können (off-body-work).
  • Es kann sehr wichtig sein, den Magenmeridian zu behandeln – nicht nur wegen der Lage und Funktion. Der Magenmeridian spielt eine große Rolle im „Ki-Gerüst“ der Brust. Ich half Peggy J., einer Patientin, deren beide Brüste entfernt worden waren, ihre sogenannten Phantomschmerzen zu überwinden, indem ich mit ihr über die Rolle des Magenmeridians sprach und sie bat, ihre Hände über die Narben zu legen, wo sie den Schmerz fühlte und wo sie ihre physischen Brüste verloren hatte. Ich arbeitete den Magenmeridian herunter und vollführte in Zeitlupe einen „Skisprung“ über ihren Händen, indem ich dem Verlauf des Meridians folgte. Peggy fühlte nicht nur die Ki-Linie, sondern erzählte mir am folgenden Tag, dass die Schmerzen verschwunden waren. Sie konnte wieder Auto fahren und es gar nicht mehr erwarten, wieder auf den Golfplatz zu gehen.
  • Auch die Milz- und Perikard-Meridiane verlaufen durch den oberen äußeren Quadranten der Brust, wo die meisten Tumore sitzen. Deine diagnostischen Techniken werden Dir natürlich helfen, die passendsten Meridiane und Akupunkturpunkte für eine Behandlung auszuwählen, aber einfache Arbeit, ohne den Körper zu berühren, indem man der Linie der betreffenden Meridiane durch die Zone der Operation folgt, wird das Meridian-Ki wiederherstellen, das durch die Tumore und die Skalpelle durcheinander gebracht worden ist.
  • Es ist immer nützlich, Deine Patienten zu bitten, Dir ihren Bewegungsradius zu zeigen, so dass Du jegliche unangemessene Bewegung oder Behandlungsposition während einer einfachen Dehnung vermeiden kannst. Ob Du nun auf einem Behandlungstisch oder auf einer Matte arbeitest, bitte Deine Patienten immer, sich selber in eine bequeme Lage zu bringen. Eine meiner Patientinnen, Lisa N., konnte ihren Arm ohne ein Kissen als Unterlage in der Rückenlage kaum ausstrecken.
  • Wenn Du ein helles, farbiges Tuch über die Zone, in der der Eingriff erfolgte, legst, wirst Du an die genaue Lage erinnert.
  • Ich bitte meine Patienten oft, ihre Narben auf einen Körperumriss zu zeichnen, damit ich die genaue Lage weiß. Als Alternative schlage ich oft vor, dass sie Linien aus farbigen Fünf-Elemente-Klebepunkten auf ihrer Kleidung anbringen, damit ich die Narben verfolgen kann. Ich kann dann die Meridiane und Punkte genau bestimmen, die örtlich oder an entfernterer Stelle durch die Operation betroffen waren. Es macht besonders Kindern jeden Alters Spaß, wenn Du ihnen im Spiegel zeigst, wie Dehnungen die Narben zum „Lächeln“ bringen.
  • Wenn ein Patient sich einer Chemotherapie unterzieht, hilft der Perikard sehr, Übelkeit zu verringern, besonders P6 und P8. Arbeite mit wenig Bewegung, um Schwindel zu vermeiden, besonders im Nacken- und Schulterbereich.
  • Denke daran, dass eine Chemotherapie das Jing angreift (sie greift das Knochenmark an, verursacht Haarausfall und führt in einigen Fällen zu einem vorzeitigen Beginn der Menopause). Man kann während des eigentlichen chemotherapeutischen Prozesses eine subtile Art von Shiatsu anwenden, um Schmerz und Übelkeit zu verringern, was der sensible Shiatsu-Therapeut Wayne Mylin, AOBTA-Mitglied, in einer Krebsklinik in Philadelphia praktiziert.
  • Das Jing und das Immunsystem nach der Chemotherapie wieder aufzubauen, ist überlebensnotwendig. Humor, Lebensziele, ein starkes System der Unterstützung, eine Auswahl von herkömmlichen und alternativen Therapien und wirtschaftliche Sicherheit sind von wesentlicher Bedeutung zwischen Leben und Tod. (…)


Nützliche Tipps für die Behandlung von Krebspatienten:

  • Ermutige die Patienten, sich umfassend zu informieren, bevor sie sich in Entscheidungen bezüglich einer Operation und hilfreichen Therapien (ob „mainstream“ oder alternativ) stürzen. Patienten geraten in Panik, wenn sie hören, dass sie Krebs haben. Beruhige und unterstütze sie. Es ist wenig hilfreich, sie mit „New Age“-Theorien zu bombardieren, warum sie Krebs bekommen haben.
  • Ermutige Familie und Freunde der Patienten, ein Unterstützungsnetzwerk aufzubauen, so dass ganz praktische Bedürfnisse von verschiedenen Gruppenmitgliedern übernommen werden können, z. B. durch Telefonketten, Gruppenfahrten, Abholen der Kinder von der Schule, Einkaufen etc. Das gibt den Patienten freie Zeit und wertvolles Ki für die unmittelbaren persönlichen Bedürfnisse.
  • Behandle Deine Patienten so oft wie möglich vor der Operation mit Fernöstlicher Körpertherapie und Meridiandehnungen oder Fernöstlicher Körpertherapie und Akupunktur. Du hilfst ihnen, ihr Ki zu erhöhen, wenn Du sie ermutigst, am Tag vor der Operation entsprechende Übungen zu machen. Vor meiner Brustoperation ging ich mit meinen Lieben zum Rudern auf den See im Central Park in New York, um mein Ki im Oberkörper zu erhöhen.
  • Ermutige Deine Patienten, immer wieder ein positives Bild von diesen Übungen in ihrem Geist und auch von Deinen Behandlungen entstehen zu lassen, wenn sie in die OP gefahren werden und aus der Narkose erwachen. Das vermindert nicht nur die Schmerzen, sondern regt den Ki-Fluss an, der für die Genesung so wichtig ist.
  • Rate weiblichen Patienten davon ab, die Operation während des Eisprungs durchführen zu lassen, weil das Immunsystem dann schwach ist. Ein Epidemiologe vom New Yorker Sloan-Kettering Krankenhaus hat eine starke Verbindung zwischen den Zyklen und der Genesung festgestellt.
  • Versuche es einzurichten, dass Du einen Tag nach der Operation mit Deinen Patienten arbeitest. Selbst leichte Druckpunktarbeit an Händen und Füßen oder einfaches, sanftes Palmieren zu beiden Seiten des Blasen-Meridians hilft, das Ki und die Peristaltik zu stimulieren.
  • Denke daran, dass Krebs durch eine Reihe von Faktoren verursacht wird, einschließlich Umwelt- und Industrieverschmutzung, außerdem durch Pestizide, Stress, Gene, Rauchen etc. Ebenso ist das Überleben von einer Reihe von Faktoren abhängig, wie zum Beispiel Teamarbeit. Der berühmte Radrennfahrer Lance Armstrong hatte seine Jugend, seine Begeisterung für das Radfahren auf seiner Seite. Das alles hat ihm geholfen zu überleben und die verschiedenen Rekorde während der Tour de France zu brechen.


Hilfreiche Punkte bei der Chemotherapie

Hilfreiche Punkte, die mein Shiatsu-Kollege Wayne Mylin, der auf eine 17 Jahre lange Erfahrung in einer psychiatrischen Abteilung zurückblicken kann, während seiner Arbeit mit Chemotherapie-Patienten, anwendet:

  • Yu Punkte (hilfreich bei einer Vielzahl von Problemen)
  • Übelkeit und Erbrechen: Perikard 6, Herz 7, Magen 36 und allgemeine Arbeit an den Füßen
  • Angst: Perikard 6, Herz 7, Shen-Ohrpunkte, Lenkergefäß 20 und 24, Kreuzbein, im Grunde jede unterstützende Berührung und Arbeit an den Füßen
  • Depression: Unterstützung (sowohl mündlich als auch körperlich), Yu Punkte, die ausgleichen und tonisieren
  • Schwindel: Dickdarm 4 und Arbeit an den Füßen
  • Yin-Mangel: Magen 36
  • Aufsteigende Hitze: Leber 2
  • Schlafstörungen: alle Yu Punkte, Magen 36, Gallenblase 12 und 20, Lenkergefäß 20 und 24, Herz 7, Perikard 6 und Dickdarm 4

Wayne Mylin über seine Arbeit in der Chemotherapie: „Ich wurde jeden Mittwoch für einen Drei-Stunden-Block engagiert.“ Dies bedeutete große Anpassungsfähigkeit. Während dieser Zeit musste er fünf verschiedenen Patienten Shiatsu-Sitzungen von 35 Minuten Dauer auf dem Stuhl geben, und zwar vor, während und nach der Chemotherapie. „Es war eine besondere Herausforderung, nachdem ich die Diagnose (Puls, Zunge, Frage nach Medikamenten etc.) gestellt hatte, zu überlegen, wie ich die Sitzungen in der begrenzten Zeit auf dem Stuhl gestalten sollte.“

Die häufigsten Symptome, die er behandelte, waren Müdigkeit, körperliche Schmerzen, Übelkeit, Schlafstörungen, Depression, Angst, erkältungsähnliche Symptome, Wut, Frustration und Furcht. Bescheiden wie immer über seine Talente als Shiatsu-Therapeut, sagte Wayne „Ich habe mit Patienten gearbeitet, bei denen ich nur meine Hände mit minimalem Druck auf ihren Rücken legen oder nur ihre Hände behandeln konnte und spürte dennoch, dass das, was ich machte, eine große, manchmal sogar enorme Linderung brachte.“ Sein psychologischer Hintergrund war äußerst wertvoll: „Während der Behandlungen beginnen viele Patienten zu sprechen und sich zu öffnen“, sagte er und fügte hinzu, dass er oft der einzige im Behandlungsteam sei, der den Patienten 35 Minuten lang seine ungeteilte Aufmerksamkeit gab.

Ein weiterer wichtiger Punkt, den Wayne erwähnte: „Es ist für jeden Shiatsu-Therapeuten, der in einer Krankenhausabteilung arbeitet, wichtig, dass er die westliche medizinische Behandlung, die der Patient bekommt, unterstützt. Wenn wir Chemotherapie oder Bestrahlungen nicht befürworten, sollten wir gar nicht erst in einer solchen Einrichtung arbeiten. Das wäre den Patienten gegenüber einfach unfair.“

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© Pamela Ellen Ferguson, Dipl. ABT (NCCAOM), CI (AOBTA, GSD-Germany), RMT; Austin, Texas. Erstveröffentlichung auf Acupuncture Today; Veröffentlichung der deutschen Übersetzung in Shiatsu Journal Nr. 39, Winter 2004

Abbildung: Dr. Med . Isabel Selassie demonstriert “breast cancer exercises” aus Pamela Fergusons (c) Buch “Shiatsu” erschienen im Trias Verlag. Photograph: Alison Russell