Soziokulturelle Faktoren wirken auf Wechselbeschwerden

Matthias David, Oberarzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der Charité Berlin, untersuchte 940 in Deutschland lebende Frauen aus unterschiedlichen Kulturkreisen (Deutschland, Türkei, China, Japan und Korea) in Hinblick auf Wechselbeschwerden. Dabei zeigte sich generell, dass die meisten befragten Frauen die Wechseljahre als eine natürliche Lebensphase betrachten. Ihr Wissens- und Informationsstand über die Menopause, ebenso wie ihre Einstellung zu Hormontherapien aber zeigte sehr unterschiedlich und hing stark vom Bildungsgrad ab.

Einer der Forschungsschwerpunkte war der Einfluss von Soja-Produkten (Phyto-Östrogene) auf das Auftreten bzw. die Schwere der Beschwerden. Asiatische Frauen, so wird vermutet, haben auf Grund ihres Soja-Konsums keine Wechselbeschwerden. Das aber ist, Matthias David zufolge, nicht der Fall. Es zeigen sich bei ihnen nur andere Leitsymptome, nämlich vor allem Kopf- und Rückenschmerzen. Hitzewallungen (aufsteigende Hitze), ein charakteristisches Wechseljahresymptom in Europa und Nordamerika, ist in Asien zwar ebenfalls bekannt, hat aber nicht diese Verbreitung und Bedeutung. Weder bei asiatischen noch bei deutschstämmigen Frauen fanden sich deshalb Zusammenhänge mit einer Soja-reichen Ernährung. Eine solche führt der Studie zufolge nicht zu weniger Beschwerden, weder körperlichen noch psychischen.

Die Studie zeigt, dass türkischstämmige Frauen stärker als andere unter den Wechselbeschwerden leiden, wobei ihre Beschwerden nicht schichtspezifisch sind – ein Ergebnis, das sich auch in einer Vergleichsbefragung in Istanbul zeigte. Matthias David geht davon aus, dass die Menopause als das Ende der Fruchtbarkeit von diesen Frauen dramatischer gesehen werden dürfte. Zudem scheint auch schwere körperliche Arbeit ein Einflussfaktor zu sein.

Generell zeigte sich, dass für das Auftreten der Wechselbeschwerden soziokulturelle Faktoren von großer Bedeutung sind, hier vor allem die Lebensumstände, die Lebenszufriedenheit, die gesellschaftliche Rolle, der gesellschaftliche Umgang mit dem Altern und die Schönheitsideale, die beeinflussen, wie stark sich eine Frau von den Wechseljahren beeinträchtigt fühlt. Dabei ist kaum von Bedeutung, in welchen wirtschaftlichen Verhältnissen sie lebt, auch nicht, ob sie einen Partner hat oder schon länger allein lebt. Vielmehr verschlimmern häufiger Streit mit den Kindern oder dem Partner, eine Trennung oder sexuelle Probleme die Wechselbeschwerden. Ein eng geknüpftes soziales Netz und eine positive Grundeinstellung können die Probleme mit der körperlichen Umstellung im Gegenteil geradezu auf Null reduzieren.

Die meisten befragten Frauen sehen die Wechseljahre als Synonym für Altern und nur wenige als neue Chance. David vertritt deshalb vor allem einen adäquaten Umgang mit den verschiedenen Lebensphasen (er spricht in diesem Zusammenhang von psycho-somatisch-vulnerablen Phasen). Frauen, die stark unter diesen Beschwerden leiden, sollte deshalb geholfen werden – gegebenenfalls auch mit Hormontherapie, vor allem aber auch mit Gesprächen.


Quelle

Der Standard, 6. 12. 2010