Shiatsu ist in erster Linie energetische Wegbegleitung. Antwort an Peter Itin (Frank Seemann)

Lieber Peter, obwohl Du einer der wenigen Shiatsu-Praktiker bist, den ich regelmäßig persönlich treffe – als ISN-Vertreter und inzwischen auch als Gast-Lehrer am ISOM Rhein/Ruhr – finde ich im Moment Gefallen daran, unseren Diskurs über Shiatsu als Beruf in dieser öffentlichen Briefform fort zu führen.

Im letzten Shiatsu Journal der GSD erschienen Dein Feedback zu unserer 2009er Fachtagung (“Shiatsu-TherapeutIn” ist ein Beruf und mehr als “Shiatsu im Anwendungsfeld Therapie”) und meine offene Antwort darauf (Dialog über das Berufsfeld von Shiatsu). Ich hatte darin versucht, Deine Befürchtung, Shiatsu könne GSD-seits als reine Methodenausbildung vermittelt werden und dabei methodenübergreifende Kompetenzen aus dem Blick geraten zu entkräften. Zentral ging es dabei auch um den Begriff „Therapie“, den Du gerne auf Shiatsu als Ganzes anwendest, den wir innerhalb der GSD aber nur in einem bestimmten Anwendungsbereich von Shiatsu verwenden – mit entsprechenden Folgen für den Geltungsbereich notwendiger, z.B. differential-diagnostischer Kompetenzen.


Was ist „Therapie“?

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Dein im gleichen Heft ebenfalls veröffentlichter Artikel „Das Gesunde fördern – Shiatsu ist mehr als Behandeln” macht mir einmal mehr deutlich, dass ein ganz zentraler Punkt in unserer Diskussion die Definition des Begriffes „Therapie“ ist.

Aus früheren Gesprächen und Veröffentlichungen weiß ich, dass Du Dich gerne auf die ursprüngliche, griechischen Bedeutung Therapeia = „Dienen“, „Begleiten“ beziehst. Dies wird auch in dem Journal-Artikel in Deiner Wortprägung „CARE-Prinzip“ deutlich:

Was Du hier als Shiatsu-Prinzipien beschreibst – Core = Kontakt mit einem inneren Kern/Herzen, Achtsamkeit = Präsenz im Hier und Jetzt, Ressourcen = Kraftquellen erschließen, Empowerment = eigene Kraft entfalten – möchte ich aus GSD-Sicht voll und ganz unterstützen. Genau hierum geht es u.a. im Shiatsu – wie in jeder guten Wegbegleitung, heiße sie nun psychologische Beratung, Coaching, Seelsorge, Selbsterfahrungstraining, spirituelle Begleitung, o.ä..


Therapeia ist nicht gleich Therapie

Hätten wir die Definitionshoheit über den Begriff „Therapie“, ich wäre mit der GSD wohl mehr als glücklich, wenn wir ihn als „dienende Wegbegleitung“ festlegen könnten. Shiatsu wäre dann eine bestimmte Form dieser „Therapeia“, gleich ob mit gesunden oder kranken Menschen. Die Früchte des CARE-Prinzips sind ja heilsam für alle Menschen, die wachsen, Schwierigkeiten überwinden oder nur einfach glücklich sein wollen.

Leider müssen wir aber anerkennen, dass der Begriff gesellschaftlich und rechtlich mit einer anderen Bedeutung, durchaus abweichend von seiner klassischen belegt ist.

Therapie wird staatlicherseits ganz überwiegend als Heilbehandlung verstanden. Dies spiegelt auch die rechtliche Einordnung wieder. Ebenso wird in umgangssprachlicher Verwendung hierunter „das Behandeln von Krankheiten“ verstanden.


Shiatsu ist in erster Linie energetische Wegbegleitung

Aus diesem Grunde und um rechtliche Missverständnisse zu vermeiden, haben wir als GSD Shiatsu als ein eigenständiges System energetischer Körperarbeit und Lebenskunde in verschiedenen Anwendungsfeldern definiert.

In allen Feldern begreifen wir Shiatsu als energetische Wegbegleitung (Therapeia), aber dort, wo das konkrete Behandeln von Krankheiten beabsichtigt ist, müssen weitere, medizinische Kenntnisse und Befugnisse hinzu kommen (Therapie). Dies ist in Deutschland eindeutig und rechtlich so geregelt – im übrigen auch bei unseren anderen ISN-KollegeInnen in Frankreich und Italien – sollte aber auch darüber hinaus selbstverständlich sein:

Denn nur wer sehr fundierte Kenntnisse über die Diagnose und Behandlung einer Erkrankung hat, kann diese u.a. auch mit Shiatsu und eventuell anderen Methoden zu behandeln versuchen. Eine Shiatsu-Ausbildung, auch die im Rahmen des Komplementär-Therapeuten erbringt diese Befähigung keinen Falls.

In anderen Anwendungsbereichen, insbesondere der Gesundheitsförderung bedeutet Shiatsu aber, zu helfen über das Feld der CARE-Prinzipien und shiatsuspezifische Berührung ein gesünderes Lebensfeld zu schaffen, in dem eventuell die Notwendigkeit für spezifische Probleme fortfallen oder diese vom Menschen selbst gelöst werden können.


Die Bedeutungshoheit über den Begriff wieder gewinnen

Wir müssen daher in der Verwendung des Begriffes „Therapie“ im grenzüberschreitenden Gebrauch eine gewisse Vorsicht und Deutlichkeit walten lassen und die jeweiligen Gegebenheiten verstehen und akzeptieren.

Denn eine Situation wie in der Schweiz, wo Ihr über den Begriff und den Beruf des Komplementär-Therapeuten die Möglichkeit habt, an einer anderen Begriffsbesetzung von „Therapie“ zu arbeiten, sehe ich z.Z. in Deutschland nicht. Dennoch könnt Ihr für uns und Europa wertvolle Vorarbeit leisten.

Denn es ist sicherlich eine sinnvolle und hilfreiche Aufgabe, sich im Diskurs des Begriffes wieder der etymologischen Herkunft des Begriffs zu bemächtigen und damit Einfluss auf einen Bedeutungswandel des Begriffes zu verschaffen, der dann auch über die Schweizer Grenze hinaus schwappen wird.

Daran arbeiten wir bereits gemeinsam z.B. in dieser unserer Diskussion und in unseren verschiedenen Dachverbänden. Es erinnert mich an unser Bemühen, dem etablierten Begriff CAM (Complemetary and Altenativ Medicin) den Begriff CAH (Complementary and Alternativ Health) zur Seite zu stellen.

Wenn im gesellschaftlichen Verstehen aus Therapie (Heilbehandlung) Therapeia (dienende Begleitung) geworden ist, haben wir einen erfolgreichen Beitrag zum Verständnis von Gesundheit und Gesundheitsförderung in Europa geleistet.


Quelle

  • Shiatsu Journal 62

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© Frank Seemann, Vorstandsmitglied GSD, Ressort nationale/internationale Kontakte