Shiatsu in Österreich und eine Vision für die Zukunft von Shiatsu in Europa
Autor: Eduard Tripp
© Oktober 2020
Seit weit über einem Jahrzehnt ist die berufliche Stellung der Shiatsu-Praktiker*innen in Österreich durch ein gesetzlich verankertes Berufsbild stabil. Dies ist jedoch kein ausreichender Grund für den Österreichischen Shiatsu-Verband (ÖDS) untätig zu bleiben und sich auf seinen Lorbeeren in vermeintlicher Sicherheit auszuruhen. Um diese Aussage zu begründen, möchte ich kurz auf die Hintergründe der aktuellen Situation eingehen.
Alles begann 1993 mit der Gründung des Österreichischen Shiatsu Verbandes (ÖDS). Trotz eines unfreundlichen Übernahmeversuchs durch die Massagebranche Ende der 1990er Jahre konnte der ÖDS 2003 endlich eine eigenständige Position für Shiatsu erlangen. Seitdem ist Shiatsu ein staatlich geregeltes „ganzheitlich geschlossenes (Massage-)System“, für dessen Ausübung der erfolgreiche Abschluss eines gesetzlich festgelegten Curriculums mit einer mindestens dreijährigen Ausbildung erforderlich ist. Die Qualitätskontrolle dieser Ausbildung liegt de facto in den Händen des ÖDS, dessen Kriterien in vielerlei Hinsicht deutlich höher sind als die staatlichen Anforderungen.
Der Berufsstand der Shiatsu-Praktiker*innen ist also gut abgesichert, solange der Massageberuf in seiner jetzigen Form bestehen bleibt. Letztlich ist dieses Fundament aber nicht so sicher, wie wir es uns wünschen, denn die politische Deregulierung ist eine ständige Bedrohung. Im Falle einer Deregulierung würden die derzeitigen Regelungen für den Zugang zur Massagepraxis wahrscheinlich zugunsten „freier Marktbedingungen“ fallen. Das würde bedeuten, dass der bestehende Shiatsu-Beruf mit seinem rechtsverbindlichen Lehrplan Geschichte wäre. Die gleiche Gefahr droht Shiatsu in Österreich im Falle einer erzwungenen europäischen Harmonisierung – die derzeit hohen Gewerbebestimmungen und Standards in Österreich würden absehbar zwangsweise gesenkt werden.
Aus diesen Gründen und um für seine rund 1.400 Mitglieder (eine Mitgliedschaft ist in Österreich nicht verpflichtend) weiterhin berufliche Sicherheit (und transparente Qualitätskontrolle für Konsument*innen) zu gewährleisten, strebt der ÖDS derzeit die Zulassung des Berufes “Qualified Shiatsu Practitioner” (QSP) auf Niveau 6 des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) an. Damit wäre die durch die ÖDS-Shiatsu-Ausbildung erworbene Qualifikation rechtlich abgesichert.
Darüber hinaus bedeutet eine Qualifikation auf Stufe 6 auch die Gleichwertigkeit mit einem Bachelor-Abschluss. Hintergrund sind die aktuellen Bemühungen Österreichs, handwerkliche Berufe auf das Niveau akademischer Berufe zu heben. In diesem Sinne wurden 2018 pauschal alle Meisterabschlüsse (z.B. Elektromeister*innen, Spenglermeister*innen, Kfz-Meister*innen etc.) auf Stufe 6 bewertet. Die europäische Zielsetzung der österreichischen Strategie ist im Rahmen der European Shiatsu Federation (ESF), deren Gründungsmitglied Österreich ist, fest verankert. Hier geht es darum, eine vergleichbare Ausbildung in anderen EU-Ländern zu etablieren, um die Voraussetzungen für einen nationalen Beruf des Qualified Shiatsu Practitioner zu schaffen, der dann europaweit ausgeübt werden kann.