Shiatsu in Österreich. Eine Bestandsaufnahme der beruflichen Situation von Shiatsu-PraktikerInnen im Jahr 2000 (Eduard Tripp)
Bis Ende 1998 war Shiatsu in Österreich als freier Beruf gänzlich ungeregelt. Jeder, der sich berufen fühlte, konnte – unabhängig von Dauer und Qualität einer Shiatsu-Ausbildung, ja auch ganz ohne eine solche – Shiatsu als Beruf ausüben. Die Position des Dachverbandes war dementsprechend schwach: Das Diplom des Dachverbandes wurde zwar als Qualitätsmarke propagiert, eine darüber hinaus geltende berufspolitische Stellung war – unbeschadet der Aufnahme von Shiatsu in den Connors-(Lannoye-)Report – jedoch kaum gegeben.
Im Dezember 1998 änderte sich die Rechtsstellung von Shiatsu schlagartig und – aus der Sicht des Dachverbandes – auf drastische Art und Weise. Shiatsu wurde vom Wirtschaftsministerium nunmehr seiner bisherigen Stellung als freier Beruf enthoben und als Teil der gewerblichen Massage zugerechnet. Mit dieser Erkenntnis des Wirtschaftsministeriums unterlag die berufliche Ausübung von Shiatsu nun völlig der Kontrolle der Massage-Innung. Der Dachverband, seine Kriterien und seine Vorstellungen waren nicht mehr wirklich gefragt.
In der anschließenden Zeit der Krise versuchten wir mit Druck, die Möglichkeiten von Shiatsu (mit den uns wichtigen Qualitätskriterien) sowohl im gewerblichen wie auch im Gesundheitsbereich auszuloten. Eine, vor allem schnelle Lösung in unserem Sinne stellte sich im Gesundheitsbereich als nahezu unmöglich heraus, und entsprechende informelle Kontakte mit Mitgliedern der Massage-Innung ließen uns auch von dieser Seite her keine wirkliche Unterstützung erwarten.
Eine Lösung dieser prekären Situation fand sich dann in Gesprächen im Wirtschaftsministerium selbst. Der Dachverband konnte seine Position und Anliegen derart darstellen und vertreten, dass in einem ergänzenden Schreiben des Ministeriums festgehalten wird, dass sich Shiatsu nicht in Massagetechniken erschöpft. Deshalb – und da eine wirklich passende berufliche Positionierung von Shiatsu ohne Gesetzesänderung nicht möglich war (und ist) – wurde Shiatsu drei Berufsgruppen zugeordnet: den Masseuren, den Sozial- und Lebensberatern und den Psychologen/Psychotherapeuten. Für alle Shiatsu-PraktikerInnen, die keinem dieser drei Quellberufe zugehören, wird (per Dispensansuchen) als berufliche Basis ein auf Shiatsu eingeschränkter Massage-Gewerbeschein gewährt. Zugleich wurde die Berufsberechtigung an die Ausbildungskriterien des Dachverbandes gebunden, und der Abschluss der Ausbildung entsprechend den Kriterien des Dachverbandes bildet nun die Grundlage für die berufliche Ausübung von Shiatsu.
Da die Mehrzahl der Shiatsu-PraktikerInnen keiner der drei vom Ministerium angeführten Quellberufe (Masseur, Sozial- und Lebensberater, Psychologe) angehört, erfolgt die berufliche Ausübung von Shiatsu vor allem über den auf Shiatsu eingeschränkten Gewerbeschein. Das dazu nötige Dispens-(Nachsichts-)Ansuchen war auch schon die erste Hürde in der Praxis, denn es dauerte geraume Zeit bis Ansuchen mit dem Dachverbands-Diplom problemlos genehmigt wurden. Ein wesentlicher Grund dafür liegt in dem – zumindest für Österreich – außerordentlichen Umstand, dass von der Gewerbebehörde das Diplom einer privaten Organisation, eben des Dachverbandes, anerkannt werden muss.
In den unterschiedlichen Hintergründen – einerseits die Kriterien und Vorstellungen des Dachverbandes und andererseits das für uns nun ebenfalls geltende Gewerberecht – liegen auch die Ursachen für so manches “Problem im Detail”. Eines dieser Probleme ist, dass gewerbliche Masseure gemäß dem Gewerberecht auch Shiatsu ausüben und anbieten können, selbst dann, wenn sie keine “Dachverbands-Ausbildung” vorweisen können. In dieser Problemstellung liegt die Zielrichtung des Dachverbandes – solange keine anderen gesetzlichen Vorlagen gelten – vor allem in der Etablierung der “Qualitätsmarke Shiatsu” und in einem “qualitativen Konsens” mit den Innungen.
Ein anderes Problem ist die Praxis der angehenden Shiatsu-PraktikerInnen. Den Richtlinien des Dachverbandes zufolge müssen Shiatsu-PraktikerInnen während ihrer Ausbildung praktische Erfahrungen mit Shiatsu erwerben und nachweisen (zumindest 150 protokollierte Sitzungen sind Voraussetzung für das Dachverbands-Diplom), das Gewerberecht sieht jedoch – ausgehend von einer Lehrlingsausbildung im Betrieb – eine eigenständige berufliche Ausübung von Shiatsu vor der Gewerbeanmeldung nicht vor.
Insgesamt gibt es also einige Bereiche, die zum Teil noch offen, zum Teil aus unserer Sicht noch nicht befriedigend gelöst sind. Ein besonders wichtiger Aspekt ist deshalb das für alle Beteiligten (Gewerbebehörde, Innungen und Dachverband) befriedigende und konstruktive Miteinander, das im Moment zumindest immer wieder auch noch einmal von Berührungsängsten und Ressentiments beeinträchtigt ist. Grundsätzlich zeichnet sich jedoch eine zunehmend gute Zusammenarbeit ab.
Für bereits praktizierende und zukünftige Shiatsu-PraktikerInnen hat sich mit der neuen Regelung, die sich seit der Neuregelung zunehmend “eingeschliffen” hat, die Situation weit reichend geändert. Es gibt nun ein größeres Maß an beruflicher und rechtlicher Sicherheit, dem aber auch größere Kosten (z.B. durch Versicherungspflicht und Kammerumlage) und Unfreiheiten (Ausübung von Shiatsu nur nach Gewerbeanmeldung möglich) gegenüberstehen. Zugleich aber ermöglicht die Etablierung von Shiatsu als Beruf nun auch, dass Shiatsu-PraktikerInnen berufspolitisch klarer und aktiver in Erscheinung treten können – als Mitglieder der Innungen, in denen sie mitarbeiten und die sie in Zukunft mitgestalten können.
Rückblickend betrachtet zeitigte der Schock im Dezember 1998 positive Veränderungen in Hinblick auf die inhaltliche und organisatorische Entwicklung des Dachverbandes. War bis zu diesem Zeitpunkt der Dachverband von untergeordneter Bedeutung und das, was er geschaffen und angestrebt hat, von nur geringer Wirkkraft (was sich auch darin zeigte, dass wir von der gesetzlichen Änderung zu Shiatsu nicht einmal informiert wurden), so wurde unsere Existenz und Expertenrolle für Shiatsu jetzt quasi amtlich bestätigt.
Der vorherige nahezu “Dornröschenschlaf” wurde durch das Wirtschaftsministerium abrupt beendet, und die Shiatsu-Praktizierenden wurden vehement daran erinnert, dass nur das Miteinander etwas verändern und bewirken kann. Eine deutliche Sensibilisierung für die beruflichen Belange war die Folge, Beunruhigung, aber auch die konstruktive Suche nach einer brauchbaren Lösung. Und als wohl wichtigstes Ergebnis kann man die stärkere Einbindung und Mitarbeit von PraktikerInnen und SchülerInnen im Dachverband werten. Dieses verstärkte Engagement der PraktikerInnen zeigt sich auch in der Zunahme der Mitgliederzahl des Dachverbandes – für die Erlangung des Dachverband-Diploms und das Dispens-Verfahren ist die Mitgliedschaft kein notwendiges oder auch begünstigendes Kriterium -, die sich von Ende 1998 bis September 2000 mehr als verdoppelte.
Insgesamt besteht – seit sich die berufliche Situation beruhigt hat – ein größeres Interesse an Shiatsu, was sich in vielen interessierten Anfragen im Dachverband und in den Schulen, in steigenden Interessenten- und SchülerInnenzahlen der Shiatsu-Ausbildungen zeigt, ebenso wie auch in der größeren Nachfrage nach Shiatsu-Behandlungen. Shiatsu hat insgesamt an “Marktwert” gewonnen. Schwierig an der Entwicklung der letzten eineinhalb Jahren war jedoch der Umstand, dass durch die veränderte Rechtslage viele, zum Teil weitreichende und schwerwiegende Entscheidungen in kurzer Zeit getroffen werden mussten – und die Größe des in die diversen Thematiken eingearbeiteten Personenkreises sehr klein war – und immer noch klein ist.
Viel Arbeit war zu tun und ist auch weiterhin zu tun. Das Interesse an Shiatsu ist allgemein größer geworden, ebenso das Interesse der (auch angehenden) Praktizierenden an der beruflichen Situation. Und genau darin liegt unsere Chance als Verband: dass die Basis breiter wird, die Verbindung, der Austausch zwischen Basis und Vorstand besser und schneller (unterstützt auch durch moderne Kommunikationsmedien wie Mail und Internet) und insgesamt mehr Engagement von den PraktikerInnen und SchülerInnen kommt – was vom Vorstand begrüßt wird und höchst erwünscht ist.
Verändert haben sich wohl auch Ausrichtung und Struktur des Dachverbandes insgesamt. Er wurde effektiver und professioneller, den Belangen der SchülerInnen und PraktikerInnen wurde ein höherer Stellenwert eingeräumt, und die Orientierung erfolgte hin auf eine auch gesamteuropäische Positionierung von Shiatsu, d.h. hin zu einem verstärkten Engagement in die Arbeit der European Shiatsu Federation (ESF). Und das sowohl aus der Erfahrung, dass die Arbeit der ESF uns in Österreich den Rücken gestärkt hat, wie auch aus der Einschätzung der weiteren Entwicklung des Gesundheitsbereiches (in Österreich wie auch europaweit), dass langfristig die berufliche Positionierung von Shiatsu vor allem von einer gesamteuropäischen Lösung geprägt und wohl auch abhängig sein wird.
———————————————————————–
© Dr. Eduard Tripp, Shiatsu Senior Teacher, Psychotherapeut und Supervisor (www.eduard-tripp.at).