Shiatsu in Österreich. Die Anfänge, die Gegenwart und die europäische Dimension

Autoren: Dr. Eduard Tripp & Chris McAlister
Deutsche Adaptierung: Dr. Eduard Tripp
© April 2019

Die Anfänge von Shiatsu in Österreich reichen bis in die späten 1970er Jahre zurück. Damals waren die Ausbildungen im Vergleich zu den heutigen Standards noch weniger umfangreich und weniger strukturiert. Professionalität im heutigen Sinne entstand erst mit der Gründung des Österreichischen Shiatsu Verbandes (ÖDS) im Herbst 1993. Sieben Shiatsu-Schulen schlossen sich zusammen, um in dieser gemeinsamen Stiftung verbindliche Strukturen zu schaffen. Eduard Tripp, Mitautor dieses Textes, war einer von ihnen.

Die Grundlage war damals eine zweieinhalbjährige Ausbildung mit mindestens 300 Ausbildungsstunden. Aufgrund der unterschiedlichen Stile wurde der Lehrplan mit Blick auf Gemeinsamkeiten, aber auch auf die Wahrung individueller Unterschiede gestaltet. Damals waren alle Anbieter mehr oder weniger von Masunaga beeinflusst, dennoch gab es eine große inhaltliche Vielfalt, z.B. von stark TCM-geprägt bis fast TCM-frei. Dieses Prinzip wurde auch zum bestimmenden Merkmal für das Curriculum der European Shiatsu Federation (ESF), die 1994 vom Österreichischen Shiatsu Verband mitbegründet wurde. Der ÖDS ist auch heute noch Mitglied.

Nachdem Shiatsu zunächst in einer Art “Grauzone” praktiziert wurde, etablierte es sich um die Jahrtausendwende als eigenständiger Beruf innerhalb der Massagebranche. Seit 2003 können Shiatsu-Praktiker*innen daher Shiatsu als eigenständige Form der Massage gewerblich ausüben. Österreich war damit das erste Land in Europa, in dem Shiatsu nicht nur geduldet wurde, sondern ein eigenständiger, gesetzlich definierter und geschützter Beruf war.

Die ESF spielte eine bedeutende, wenn auch indirekte Rolle bei dieser Entwicklung. Dank der ESF wurden die Standards im Shiatsu europaweit vereinheitlicht und Shiatsu wurde in die Liste der empfohlenen CAM-Therapien im Lannoye-Bericht aufgenommen – ein direktes Ergebnis der ESF-Lobbyarbeit. Dies wiederum stärkte die Position des österreichischen Verbandes in seinen Verhandlungen erheblich.

Erstaunlicherweise schien es damals realistischer als heute, dass Shiatsu direkt in den Gesundheitssektor der Europäischen Union Einzug halten würde. Der Grund für diesen Optimismus war, dass das Gesundheitsverständnis in der EU als vergleichsweise modern empfunden wurde und nicht in dem ansonsten einheitlichen Verständnis von Ärzt*innen als den alleinigen Spezialist*innen in Sachen Gesundheit und Krankheit feststeckte. In einigen Bereichen waren die Gesundheitsansätze tatsächlich revolutionär und haben mit Kampagnen wie „Health in all Policies“ das Gesundheitsdenken in den Mitgliedsstaaten beeinflusst. Das hat auch hier in Österreich die Hoffnung geweckt, dass CAM-Methoden in das offizielle Gesundheitssystem Einzug halten und sich dort weiterentwickeln würden.

Diese Hoffnungen haben sich jedoch in der aktuellen Gesundheitspolitik in Österreich noch nicht erfüllt. Im Gegenteil, die Dinge scheinen restriktiver geworden zu sein, vor allem mit der Forderung nach „evidenzbasierter Medizin“. Diese Tendenz zeigte sich sehr deutlich im letzten Entwurf des Ärztegesetzes, der im Herbst 2018 Ärzt*innen als alleinige Anwender und Vermittler von CAM in Österreich etablieren wollte.

Aufgrund dieser gesellschaftlichen Entwicklungen in Österreich und anderen europäischen Ländern, aber auch in der Europäischen Union selbst, schlägt die ESF nun einen neuen Weg ein. Der Strategiewechsel führt weg von der direkten Anerkennung im Gesundheitsbereich hin zu einem grundsätzlichen Recht auf Arbeit für Shiatsu und andere CAM-Praktiker*innen.

Gemäß den Gründungsurkunden der EU ist das Recht, Handel im gesamten geografischen Gebiet der Europäischen Gemeinschaft auszuüben, als unantastbarer Grundsatz verankert. Tatsache ist jedoch, dass diese Grundprinzipien nie in konkrete Gesetze gegossen wurden. Das bedeutet, dass Shiatsu-Praktizierende zwar im Prinzip in jedes Land innerhalb der EU ziehen und ihren Beruf frei ausüben können sollten, dies in der Praxis aber nicht der Fall ist. Der Hauptgrund dafür ist die Tatsache, dass es in der EU nach wie vor Beschränkungen für verschiedene Arten von Gesundheitspraktiken gibt, was in den meisten Ländern auf ein Monopol der „klassischen“ medizinischen Berufe hinausläuft, in denen es keine Freiheit für komplementäre Methoden gibt.

Shiatsu ist in einigen europäischen Ländern als Beruf anerkannt (Österreich, wie oben erwähnt, die Schweiz und in gewissem Maße auch Frankreich). Diese Anerkennung hat jedoch unterschiedliche Grundlagen. Während Shiatsu in der Schweiz offiziell im Gesundheitsbereich als komplementäre Therapiemethode verankert ist, ist die Situation in Österreich rechtlich so, dass Shiatsu nur der Erhaltung von Gesundheit und Wohlbefinden dienen darf. Die Behandlung kranker Menschen zum Zwecke der Wiederherstellung ihrer Gesundheit ist gesetzlich nicht erlaubt. In Frankreich ist es noch delikater formuliert.

Das bedeutet, dass kranke Menschen in fast ganz Europa keinen freien Zugang zu Shiatsu-Behandlungen haben und aufgrund des medizinischen Monopols einerseits und der Kosten, die sie aus der eigenen Tasche zahlen müssen, andererseits nicht von unserer Unterstützung profitieren können. Darüber hinaus sind Informationen über unsere Behandlungen und ihre möglichen Vorteile für EU-Bürger*innen kaum zugänglich.

In dieser Situation hat die ESF, wie bereits erwähnt, seine aktuelle Strategie formuliert, mit der es in erster Linie das Handelsministerium (und andere) auffordert, Bestimmungen für die Anerkennung eines spezifischen Rechts auf Arbeit für CAM-Praktiker*innen in der gesamten EU zu erlassen und unsere Dienstleistungen den Bürger*innen der EU frei zugänglich zu machen.

Zurück zur Situation in Österreich: Während Shiatsu um die Jahrtausendwende noch recht unbekannt war, löste die Etablierung von Shiatsu als eigenständiger Beruf einen wahren Hype aus und die Ausbildungsstätten erlebten einen ausgesprochenen Boom. Die Kurse waren oft Monate im Voraus ausgebucht und die Ausbildung zum*zur Shiatsu-Praktiker*in wurde in bestimmten Kreisen so bekannt, dass sogar Kabarettisten das Thema in ihren Auftritten aufgriffen!

In der Spitzenzeit gab es in Österreich bis zu 18 Schulen, davon allein 10 in Wien. Das ist eine sehr hohe Dichte, wenn man bedenkt, dass Österreich nur 8,8 Millionen Einwohner hat und Wien 1,9 Millionen.

Der Hype und die Vielzahl an Ausbildungsangeboten hatten letztlich zwei unterschiedliche Auswirkungen: Einerseits stieg die Zahl der „hauptberuflichen Shiatsu-Praktiker*innen“, die ausschließlich von ihrer Arbeit mit Shiatsu leben können, und es wurden Bevölkerungsgruppen erreicht, die bisher überhaupt keinen Kontakt zu Shiatsu hatten. Auf der anderen Seite ging die Nachfrage nach den vielen Ausbildungsangeboten allmählich zurück, der Hype um die Shiatsu-Ausbildung löste sich auf und einige Schulen mussten schließlich ihre Pforten schließen. Heute gibt es in Österreich 14 Schulen, darunter nur noch vier der ursprünglichen Gründungsschulen.

Auch wenn sich Shiatsu etabliert hat, sind das berufliche Selbstverständnis und die Sicherheit immer noch Themen, die den österreichischen Shiatsu-Praktiker*innen und ihrem Verband einige Sorgen bereiten. Solange Shiatsu nicht europaweit etabliert ist, bleibt die berufliche Position im eigenen Land fragil. Dies ist eine der vordringlichsten Aufgaben, mit denen sich der ÖDS – in Zusammenarbeit mit der ESF – auf berufspolitischer Ebene weiterhin beschäftigt.

Dass den Shiatsu-Praktiker*innen an ihrer Positionierung gelegen ist, zeigt die stetig steigende Zahl der ÖDS-Mitglieder, die kürzlich die 1000er-Marke überschritten hat. Seit dem Austritt der UKSS ist Österreich nun die mitgliederstärkste Shiatsu-Organisation in der ESF.

Dies ist auch deshalb wichtig, weil die Anzahl der Mitglieder in jeder nationalen Shiatsu-Organisation entscheidend für die Höhe der dem ESF zur Verfügung stehenden Mittel ist. Einfach ausgedrückt: Je mehr Mitglieder, desto mehr Ressourcen stehen für die erfolgreiche Umsetzung der gewählten Strategie zur Verfügung, die die Kontaktaufnahme mit EU-Beamt*innen, Mitgliedern des Europäischen Parlaments, anderen CAM-Organisationen, spezifischen Akteur*innen in NGOs und die Teilnahme an Sitzungen in Brüssel und anderswo beinhaltet.

Es gibt natürlich noch zwei weitere wichtige Bereiche der ESF-Aktivitäten – Bildung und Forschung. Beide erfordern Zeit und Energie, aber das Thema Forschung ist dasjenige, das am dringendsten die Frage nach der Finanzierung für die Realisierung von substanziellen Forschungsprojekten in Europa aufwirft. Kein anderes Thema bewegt die Shiatsu-Praktizierenden derzeit so sehr wie die Forschung, zumal die Politik zunehmend nach evidenzbasierten Daten fragt.

Was die berufliche Positionierung betrifft, so wird Shiatsu in Österreich derzeit der gewerblichen Massage zugeordnet, ein Status, der einigen Praktiker*innen nicht gefällt, weil sie sich nicht als Masseur*innen sehen (vielleicht wäre der neutralere Begriff „Bodyworker“ eine Lösung). Darüber hinaus schafft dieser gewerbliche Status eine eigene Grauzone, da gewerbliche Anwendung bedeutet, dass offiziell nur gesunde Menschen Shiatsu erhalten dürfen. Die Realität ist natürlich, dass viele Menschen gerade wegen ihrer Beschwerden zu Shiatsu kommen.

Shiatsu-Praktizierende und der ÖDS sind daher gezwungen, einen Spagat zu machen und zu argumentieren, dass Menschen in ihrer Genesung unterstützt, aber Krankheiten nicht behandelt werden (das ist dem medizinischen Personal im Gesundheitssystem vorbehalten). Dies erfordert die Zusammenarbeit mit aufgeschlossenen Ärzt*innen, die ermutigt werden sollen, Shiatsu-Behandlungen als Ergänzung und Unterstützung und nicht als Konkurrenz zu sehen. Gleichzeitig stellt diese Situation auch eine Herausforderung für die Ausbildungszentren dar, die ihre Schüler*innen auf die Möglichkeiten und Grenzen vorbereiten müssen, die durch diese spezifischen beruflichen und geschäftlichen Umstände vorgegeben sind.

Vor diesem Hintergrund veranstaltet der ÖDS im Juni seine jährlichen ÖDS-Tage. Eine Vielzahl internationaler und österreichischer Dozent*innen wird an drei Tagen Kurzseminare zu verschiedenen Themen anbieten. Diese können von allen ÖDS-Mitgliedern gegen eine geringe Gebühr besucht werden.

Ein besonderes Ereignis und einer der Höhepunkte der ÖDS-Tage wird die Einführung in eine Forschungsstudie von Achim Schrievers sein, die in Österreich, Deutschland und der Schweiz stattfinden wird. Es handelt sich dabei um den zweiten Teil einer Studie zur Beobachtung der Auswirkungen von Shiatsu in der Achtsamkeitspraxis. Im Rahmen der Veranstaltung findet ein spezieller Workshop für Praktiker statt, die an der Studie teilnehmen möchten.

Darüber hinaus wird es eine internationale Diskussionsrunde geben, an der Shiatsu-Praktizierende mit besonderem Interesse an der Forschung teilnehmen. Sie wird in englischer Sprache abgehalten und ist für alle Shiatsu-Praktizierenden in Europa über die Direktübertragung auf www.okitalk.com (Internetradio) zugänglich. Nach der Veranstaltung wird ein YouTube-Clip erscheinen, der von der ESF mitfinanziert wird.


Dr. Eduard Tripp
Psychotherapeut und Leiter der Shiatsu Austria in Wien
Schulen- und ESF-Vertreter im Österreichischen Shiatsu Verband (ÖDS)

Chris McAlister
Shiatsu- und Akupunktur-Praktiker, Leiter der Isshin Gakkai Schule für Energiestudien
ESF-Präsident.