Shiatsu bei Kopfschmerzen (Wilfried Rappenecker)

Die energetischen Muster körperlicher und seelischer Schmerzen sind bei aller möglichen Komplexität des subjektiven Schmerzerlebnisses grundsätzlich sehr einfach. Das ist gut so, denn es erlaubt dem Shiatsu-Therapeuten, die schwierigen Probleme, die unsere Klienten uns u.U. schildern, auf der Ebene des subjektiven Erlebens des Klienten zu belassen. So wird es leichter für uns, nach dem Einfachen und Übersichtlichen Ausschau zu halten, was diesem Erleben zugrunde liegt.

Das einfache Grundmuster von Kopfschmerzen besteht darin, dass die freie Verbindung zwischen Kopf und dem Rest des Körpers beeinträchtigt ist. Als Folge davon ist Ki im Kopf gefangen. Meist ist es eine energetische Fülle, die die Schmerzen auslöst – Ki kann hinein aber nicht heraus. Seltener kann auch eine relative Ki-Leere als lokales Muster dem Kopfschmerz zugrunde liegen.

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Die Shiatsu-BehandlerIn wird also bei Kopfschmerzen immer danach schauen, wo eine Unterbrechung der Verbindung zwischen Kopf und Körper wahrnehmbar ist. Auf diesem Weg beantwortet sie eine von vier wichtigen Fragen in der Kopfschmerz-Behandlung.

Diese vier Fragen sind:

  • Welche Kraft führt dazu, dass Ki in den Kopf steigt und – was in unserem Zusammenhang wichtig ist – dort nicht frei schwingt, sondern blockiert?
  • Welches Stagnationsmuster finde ich im Kopf meines Klienten?
  • Wo finde ich die deutlichsten (und damit die wichtigsten) Unterbrechungsmuster in der Verbindung vom Kopf zum Rumpf – bzw. umgekehrt?
  • Welche Bereiche im Körper stehen in deutlicher Resonanz zu dem Kopfschmerzmuster – und machen es dadurch erst möglich?

Im folgenden möchte ich diese 4 Faktoren der Reihe nach besprechen.


Wenn Energie nach oben steigt und blockiert

In den meisten Fällen liegt dem Kopfschmerz eine Kraft zugrunde, die Ki nach oben steigen lässt. Die hochsteigende Kraft alleine bewirkt aber noch keine Kopfschmerzen. Da die Voraussetzung für jegliches Schmerzerleben eine Stagnation von Ki ist, muss noch ein Festhalten der Energie hinzukommen, damit Kopfschmerz entstehen kann.

Leber und Gallenblase sind die energetischen Organe, welche im Menschen sowohl das Aufsteigen der Energie erzeugen als auch für ihre Kontrolle (Kanalisierung) zuständig sind und durch Überkontrolle eine Blockade bewirken können. Es ist also kein Wunder, dass die meisten Kopfschmerzen mit der aufsteigenden und der kontrollierenden Aktivität von Leber und Gallenblase zusammenhängen und entsprechend im Shiatsu über diese Organe bzw. ihre Meridiane behandelt werden können.

Am deutlichsten zeigt sich eine solche Imbalance im Holz im Bild einer Migräne: die Tatsache, dass eine Migräne in aller Regel ein Halbseitenkopfschmerz ist, macht einen Bezug zur auf den Seiten des Körpers und des Kopfes präsenten Gallenblasenenergie deutlich. Die häufig bestehende Übelkeit bis hin zum Erbrechen wird durch die aufsteigende Energie des Holzes verursacht, die die normalerweise absteigende Energie des Magens quasi in eisernem Griff hält und mit nach oben zieht. Die große Anspannung, unter der sich der an Migräne Leidende von anderen zurückzieht, und die ihn die notwendigen Dinge nur noch mit großer Anstrengung tun lässt, ist auf eine übersteigerte Anspannung und Kontrolle im Holz zurückzuführen. Eine ebenfalls häufig bestehende Lichtscheu weist darauf hin, dass die übergroße Spannung auch in den Ästen des Lebermeridians vorherrscht, die zum Auge führen.

Jedoch besitzen andere Arten des Kopfschmerzes auch andere Charakteristika und weisen damit auf andere involvierte energetische Organe hin. Solche anderen Organe, die ebenfalls mit dem Hochsteigen des Ki und der Stagnation verbunden sein können, sind z.B. die Dreifache Wärmer-, Dickdarm-, Magen- oder die Blasen-Energie (siehe auch weiter unten die Hinweise, die sich in der Lokalisation der Schmerzen finden) …

Diese Yang-Organe bringen das Ki nur in Jitsu-Manier nach oben und verschließen es dort, wenn sie einen Auftrag dazu bekommen. Den erhalten sie von anderen Organen, von Organen, die sich in Not wähnen. Das mag z.B. die Herz-Energie sein, wenn der Mensch sich verletzt oder in Angst fühlt, oder die Energie der Lunge, wenn er das Gefühl hat, dass bestimmte Lebensumstände zu eng und bedrohlich werden u.s.w.

Schmerz entsteht immer, um ein bestimmtes Erleben zu vermeiden. Schmerz selber ist (von einigen Ausnahmen abgesehen) Vermeidung. Die Arbeit mit den Organen, die dieses zu vermeidende Gefühl tragen (häufig eine Kyo-Situation), kann darum auch in der Arbeit mit Kopfschmerzen sehr hilfreich sein. Die Orte, wo sich der spezifische Zustand eines solchen energetischen Organs am deutlichsten zeigt, sind nicht selten die Schlüsselpunkte für eine effektive Behandlung der Neigung zu Kopfschmerzen.

Dann aber sollte der Blick noch weiter gehen:

Denn alle Lebensumstände, Persönlichkeitszüge, Verhaltensweisen, Emotionen, Ernährung und äußere Ereignisse, die den Yang-Aspekt des Holzes, d.h., ein Aufsteigen der Yang-Kraft stimulieren und gleichzeitig die Stagnation im Holz fördern (denn ohne die Stagnation wäre – wie bereits dargelegt – ein vorübergehend aufsteigendes Yang völlig in Ordnung), können theoretisch auch Kopfschmerzen auslösen. Und alle Faktoren, die die Not im Kyo-Organ auslösen, können bei entsprechender Neigung zu Kopfschmerzen den Auftrag dazu auslösen.

Alles, was den Menschen ”auf die Palme bringt” (d.h. sein Ki nach oben lenkt) bzw. seine Neigung dazu verstärkt, alles, was ihn ”anheizt” und dabei verkrampfen und festhalten lässt, trägt dann zum Kopfschmerz bei. Z.B. Stress, Zeitmangel, Druck von außen oder von innen, Ernährung, die aufheizt, z.B. zuviel Gebratenes, zuviel Salz, Essig, scharfe Gewürze (letzteres kann u.U. die festgehaltene Situation auch in Bewegung bringen), Mangel an frischem Gemüse und Obst, anheizende Getränke wie z.B. Kaffee, wenn der Mensch aufgrund einer angespannten Lebersituation gerade das nicht verträgt …

Es muss weiter eine Disposition zu Kopfschmerzen vorliegen, sonst wird sich die aufsteigende Aktion an einer anderen Stelle (z.B. den Schultern, den Augen oder den Ohren) zeigen. Disposition bedeutet, dass aus welchen Gründen auch immer es für das innere “System” dieses Menschen von Vorteil sein muss, bzw. eine Lösung bedeutet, Kopfschmerzen zu bekommen.

Zuverlässige Informationen über all das finden sich in der Begegnung mit dem Menschen, im Gespräch mit ihm sowie mit seinem Körper, z.B. in der Hara-Diagnose. Zunehmende Erfahrung in der therapeutischen Arbeit mit Shiatsu lässt das Verstehen immer klarer werden.

Aus dieser Auflistung von Kopfschmerzen begünstigenden Lebensfaktoren wird auch klar, dass es in unserer Arbeit nicht darum gehen kann, die Neigung zu Kopfschmerzen zu beseitigen. Es handelt sich vielmehr immer um einen Prozess des Lernens, des Verstehens, des In Sich Neue Wege Findens, auf den sich der Klient begeben muss. Wir können ihn mit Shiatsu auf einem Stück des Weges begleiten und unterstützen. Manchmal kann Shiatsu den entscheidenden Anstoß für einen solchen Weg geben.

Letzten Endes ist aus unserer Warte betrachtet der Entwicklungsprozess des Klienten sogar wichtiger als die so sehr gewünschte Erlösung von den Kopfschmerzen.


Die Behandlung des akuten Anfalls von Kopfschmerzen

Die bisher kurz dargestellten Prinzipien sind vor allem wichtig in der Arbeit mit der Neigung zu Kopfschmerzen, z.B. in den Tagen oder Wochen zwischen den Kopfschmerzattacken. Die differenzierte Arbeit mit den energetischen Organen und ihren Meridianen entsprechend den Informationen aus Begegnung und Körperdiagnose ist ein Schlüssel zu einer Veränderung der Lebenssituation eines Menschen, die dazu führen kann, dass die Neigung zum Kopfschmerz sich verändert.

Anders verhält es sich in einem akuten Anfall z.B. von Migräne. Auch hier kann ein derartiges Vorgehen sehr hilfreich sein. Allerdings wird im akuten Kopfschmerz die eher globale Herangehensweise der Meridianbehandlung oft nicht ausreichen, weil sie den eigentlichen Ort der Schmerzen und seine schwingende Beziehung zum ganzen Körper nicht direkt genug anspricht. Die unmittelbare Arbeit mit dem lokalen Beschwerdemuster ist meist Voraussetzung für die erfolgreiche Behandlung einer akuten Kopfschmerzattacke.

Ein direktes Shiatsu in diesem Sinne wird möglich mit der Wahrnehmung der energetischen Stagnations- und Unterbrechungsmuster im näheren Umfeld der Schmerzen und ihrer unmittelbaren Berührung. Das möchte ich im Folgenden skizzieren.


Wenn Ki sich trennt

Ki blockiert nie homogen, sondern erzeugt in seiner Stagnation immer Muster von Fülle und Leere. Die festgefahrene Trennung in Fülle und Leere ist ein Synonym für Stagnation.

Allerdings bedeuten anders herum Fülle und Leere allein keineswegs Trennung. Die entgegengesetzten energetischen Pole entstehen und vergehen meistens, indem sie sich aufeinander beziehen. Diese Dynamik ist Ausdruck des pulsierenden Lebens.

Trennung, Blockade und Schmerz entstehen, wenn das beständige Entstehen, Vergehen und Sich-Aufeinander-Beziehen quasi erstarrt. In der Trennung geht das, was vorher eins war, getrennte Wege. Andauernde Kyo- und Jitsu-Muster entstehen, weil unterschiedliche Seiten im Menschen, die eigentlich zusammengehören, in gewisser Weise nicht mehr mit einander sprechen möchten. Dies ist ein Prozess, den der betroffene Mensch selber aktiv hervorbringt – in der Regel aus Gründen seiner inneren Balance. Die Erzeugung und Aufrechterhaltung solcher Stagnationsmuster ist dabei energieaufwendig.

So wie sie entstanden ist, kann sich eine Stagnation jederzeit auch wieder auflösen. Beispielsweise kann dies geschehen durch Erfahrungen, die ein Mensch macht und die die Trennung überflüssig werden lassen.

Ebenso ist eine Auflösung durch Berührung z.B. in einer Shiatsu-Behandlung möglich – durch körperliche Berührung (z.B. mit den Händen) ebenso wie durch Berührung mit der Aufmerksamkeit. In der direkten Arbeit mit energetischen Stagnationsmustern ist die Berührung mit der Aufmerksamkeit mindestens ebenso wichtig – wenn nicht sogar wichtiger – als die körperliche Berührung.

Berührung wirkt, indem sie dem betroffenen Menschen eine andere Lösung für eine bestimmte Lebenskonstellation anbietet als dieses schmerzhafte und trennende Festhalten. Durch die unmittelbare und entspannte Anwesenheit der behandelnden Person im Kyo oder im Jitsu erfahren Blockademuster quasi mehr Raum und damit die Freiheit, wieder Kontakt zu einander aufzunehmen, wieder miteinander zu reden und zu beginnen, sich aufzulösen. Dies ist keine hypothetische Möglichkeit, sondern eine effektive Behandlungsmethode.


Hinhören, hinschauen und in die Hand nehmen

Wie bei allen körperlich lokalisierbaren Schmerzzuständen ist es auch im Fall von Kopfschmerzen notwendig, sich den Ort der Schmerzen genau beschreiben zu lassen. Wenn möglich sollte die Klientin mit dem Finger dorthin zeigen und den Ort auf 2-3 mm genau lokalisieren. Weiter sollte man sich ebenso genau die Art der Schmerzen schildern lassen, und wann und unter welchen typischen Umständen sie auftreten, des weiteren alle anderen Dinge im Leben dieses Menschen, die wie eingangs beschrieben mit den Kopfschmerzen in Zusammenhang stehen könnten.

Diese Informationen sollte man sich auch dann geben lassen, wenn sie zunächst nicht weiter bedeutsam zu sein scheinen. Es ist auch überhaupt nicht nötig, frühzeitig Schlussfolgerungen daraus zu ziehen oder gar das, was man erfahren hat, sofort in ein Handlungskonzept zu formulieren. Zunächst einmal sind wir nichts als Sammler, Sammler von Informationen, die im Laufe der Behandlung bzw. einer Behandlungsserie jede zu einem wertvollen Hinweis für das weitere Vorgehen werden kann, und die zusammen erst das für ein effektives Arbeiten notwendige Bild des Menschen in uns entstehen lassen.

Auch kann die Lokalisation des Kopfschmerzes einen gewissen Hinweis auf das in dieses Muster im besonderen involvierte energetische Organ geben. So habe ich bereits zuvor den Halbseitenkopfschmerz als der Gallenblase zugeordnet beschrieben. Ausdruck einer Spannung in der Leber ist der Kopfschmerz, der sich in der Mitte unter dem Schädeldach zeigt und ein Gefühl verursachen kann, als würde ein großer Druck oder Hitze unter dem “Deckel” herrschen. Spannungskopfschmerz, der sich z.B. wie ein Würgegriff vom Nacken über das Hinterhaupt nach oben ziehen kann, wird der Energie der Blase zugeschrieben.

Im Stirnkopfschmerz zeigen sich vor allem die Energien von Dickdarm und Magen, ein Schmerz in den Stirnhöhlen allerdings wird mit der Gallenblasenenergie assoziiert. Und ein Druck, der den ganzen Kopf erfasst, so dass dieser sich anfühlen kann, als sei er in einen Taucherhelm eingezwängt oder auch, als sei ein viel zu eng gezogener Gürtel um den Kopf gelegt, weist auf eine Ki-Schwäche in Milz-Pankreas hin. In alle Kopfschmerzen aber ist das Holz-Element involviert.

Es liegt in der Natur des Energetischen, dass diese Zuordnungen keine absoluten Wahrheiten darstellen. Sie können wertvolle Hinweise für die Behandlung bieten, ersetzen jedoch niemals die genaue Betrachtung sowie die sinnlichen Eindrücke, die sich während der Behandlung in der Berührung zeigen. Theorie ist immer nur eine Krücke, sie gibt nur Hinweise, entscheidend für das konkrete Vorgehen im Shiatsu muss meiner Erfahrung nach immer die unmittelbare Wahrnehmung sein.

Zu Beginn der eigentlichen Behandlung kann es dann empfehlenswert sein, den Kopf des Klienten in den Händen zu halten und hineinzuschauen. Was manchen, die das zum ersten Mal erleben, wie Voodoo erscheinen mag, ist nichts weiter als die Nutzung der Fähigkeiten des Inneren Auges. Ebenso wie jeder Mensch in den eigenen Körper hineinzuschauen vermag, kann jeder auch in den Körper eines anderen schauen und dort energetische Muster entdecken. Physisch betrachtet, ist der Körper ein festes Gebilde, aus energetischer Sicht jedoch ist er ein Raum, in dem die Aufmerksamkeit wandern kann.

In diesem Fall geht es darum, zu “sehen”, welche Muster am Ort der Kopfschmerzen vorliegen. Muster bedeutet dabei, dass der Ort dem Inneren Auge nicht gleichmäßig homogen erscheint, dass es vielmehr Unterschiede gibt, Unterschiede z.B. in der Helligkeit, in der wahrgenommenen Dichte oder Schwere oder in einer der unzähligen anderen subjektiven Möglichkeiten von Wahrnehmung. Wenn man ein wenig wartet, werden immer Muster auftauchen, man muss nur erkennen, dass das Gefundene real ist – und dann damit arbeiten als könne man es mit den Hände greifen.


Das Spiel

Mit den wahrgenommenen Unterschieden (die man auch nach Kyo und Jitsu klassifizieren kann, aber nicht muss) kann ich nun gezielt arbeiten. Ich habe an anderer Stelle beschrieben, wie das mit der Reinen Aufmerksamkeit und mit physischer Berührung geschehen kann (siehe Beitrag in “Kyo und Jitsu” von Holger Greinus (Hrg.), Verlag Edition Vitalis 2001). Immer geht es darum, auffällige Bereiche direkt zu berühren und eintretende Veränderungen wahrzunehmen. Oder ich setze Orte gegensätzlicher Qualität miteinander in Verbindung, in Kommunikation. Das sind Angebote, die diese Orte annehmen können oder auch nicht. Wenn sie es tun, wandelt sich die Situation u.U. in wenigen Sekunden.

Wenn ich so in den Kopf hineinschaue und unmittelbar berühre, ist es wichtig, dass ich zumindest für die nächsten Augenblicke alles vergesse, was ich jemals über Kopfschmerzen und ihre energetischen Ursachen und Muster gehört oder gelesen habe. Dieser Augenblick gehört alleine dem Schauen und dem Sich-Überraschen-Lassen. Denn jedes Muster, das man entdeckt und dann berührt, ist einzig und noch nie da gewesen. Jede vorgeformte Ansicht darüber, was hier sein sollte oder wahrscheinlich sein wird, schränkt meiner Erfahrung nach die Wahrnehmung und damit die Möglichkeiten dieses Shiatsu drastisch ein.

Zum Beispiel kann nach einer alten Unfallverletzung das aktive und deutlich mit dem Kopfschmerz in Verbindung stehende Muster überraschenderweise abseits der alten Bruchlinie liegen, vielleicht nur Millimeter daneben, vielleicht aber auch einige Zentimeter. Man muss eben genau hinschauen.

Und man ist sich wie bei allen energetischen Geschichten nie ganz sicher. Immer bleibt ein Rest an Unsicherheit, ob dies wirklich der entscheidende Ort ist, immer bleibt es ein Ausprobieren, ein Experimentieren, Überraschung darüber, wie es weiter geht. Gelegentliches Nachfragen beim Klienten bringt oft Klarheit.

In solch einer Berührung können sich die vorgefundenen Muster rasch verändern. Es braucht eine hohe Aufmerksamkeit, um den Veränderungen zu folgen. Dabei wird man belohnt mit immer neuen Entdeckungen und Möglichkeiten des Verstehens.

Nachdem das Zentrum der Kopfschmerzen sich für mein “Auge” mehr oder weniger stark verändert hat, schaue ich nun in die nähere Umgebung, schaue, welche Auffälligkeiten für das Innere Auge sich dort als Kommunikationspartner für das Muster im Zentrum anbieten.

Ich verbinde gefundene Bereiche mit meiner Aufmerksamkeit und mit meinen Händen, lasse dadurch Räume entstehen, taste, spiele, probiere aus, lasse Bewegungen zu, kleine, kaum wahrnehmbare unter meinen Fingern oder größere, die den ganzen Kopf in Bewegung setzen. Ich weiß nie, was als nächstes geschehen wird, immer ist es Neuland, immer etwas noch nie da gewesenes und immer bin ich aktiv beteiligt. Es ist dies das Spiel, das jenem Ort mehr Freiheit und Weite, neue Möglichkeiten anbietet, das der Stärke und der Kraft dieses Menschen die Möglichkeit gibt, sich neu zu orientieren und zu zeigen.


Der Nacken-Schulter-Bereich – Verbindung vom Kopf zum Rumpf

Der nächste Schritt in der Behandlung könnte die genaue Erforschung der Region der Schulter, des Nackens und des Halses sein. Dies könnte übrigens auch der erste Behandlungsschritt direkt nach dem anfänglichen Sammeln der Informationen sein. Denn oft erscheint es nicht sinnvoll, sogleich am Zentrum der Kopfschmerzen zu arbeiten, vielleicht wird man z.B. im Fall von sehr starken Schmerzen den Kopf sogar in der gesamten Behandlung nur einmal kurz berühren, weil mehr nicht sinnvoll erscheint.

In anderen Fällen wird man nach einem kurzen Kontakt im Ort der Schmerzen gleich zum Nacken oder sogar noch entfernteren Bereichen gehen, um vielleicht erst gegen Ende der Behandlung zum Kopf zurückzukehren und hier gezielt zu behandeln. Jede Behandlung ist einzigartig und wir haben immer viele verschiedene Möglichkeiten, sie entstehen zu lassen.

Woher weiß ich, welchen Weg ich in einem konkreten Fall nehmen sollte? Ich habe dafür kein anderes Kriterium als mein in jahrelanger Praxis geschultes Gefühl! Das ist mein sehr subjektives Gefühl, keine wie auch immer geartete objektive Einschätzung. Jede/r andere wird es anders machen als ich und manche werden das, was ich tue, für seltsam, unmöglich oder gar falsch ansehen. Aber niemand wird es so tun können wie ich – und ich auch niemals so wie all die anderen.

Dass ich an dieser Stelle das Shiatsu mit dem Schulter-Nacken-Bereich beschreibe, hat also seinen Grund nicht darin, dass es der folgerichtige nächste Schritt in einer Kopfschmerzbehandlung wäre. Es liegt lediglich an dem Aufbau dieses Artikels, in dem ich mich in meiner Beschreibung aus didaktischen Gründen vom Kopf, dem Ort der Schmerzen, zur Peripherie hin bewege.

Wie ich oben bereits beschrieben habe, kommt dem Nacken als der Verbindung zwischen Kopf und Rumpf im Falle von Kopfschmerzen besondere Bedeutung zu. Nahezu immer ist bei Kopfschmerzen diese Verbindung eingeschränkt (eine Ausnahme können z.B. Kopfschmerzen im Rahmen einer akuten hochfieberhaften Erkrankung sein). Indem ich den Nacken mit weitem, leichtem Blick betrachte und dabei in meine Hände nehme, sehe ich die Besonderheiten dieses Nackens. Energetische Unterbrechungen äußern sich meistens auch körperlich, und die körperlichen Auffälligkeiten führen mich zu dem darunter liegenden energetischen Muster. Dabei sollte man keine Scheu vor scheinbar allzu banalen und offensichtlichen äußeren Auffälligkeiten haben, gerade die führen oft zu den wichtigen Stellen.

In der gleichen Weise wie mit dem Kopf beschrieben, spiele ich mit diesen Mustern, einmal ausschließlich auf den Nacken konzentriert, ein anderes Mal in Verbindung setzend mit dem Muster des Kopfes oder der Schultern, des Rumpfes, der Arme. So mag z.B. der Bereich des Überganges vom Hals zum Kopf sehr angespannt und dicht erscheinen, vielleicht fühlt sich der Dornfortsatz des zweiten Halswirbels wie ein in Beton gegossener Fremdkörper an. Oder bei der Berührung des Querfortsatzes des ersten Halswirbels entsteht ein schwaches quasi elektrisches Gefühl von Stagnation, welches der BehandlerIn die Gewissheit gibt, dass sie hier mit einem wichtigen Punkt des Kopfschmerzgeschehens in Kontakt gekommen ist..


“Wer macht heute das Kyo für mich?”

Der untere Hals erscheint hingegen vielleicht auffallend leer und kraftlos, oder es finden sich in der Schulter zwischen all den angespannten Muskelknoten erstaunlich tiefe “Löcher”. Es ist auch möglich, dass die Leere sich ganz nah der dichten und angespannten Stellen findet, z.B. vielleicht nur 2 mm daneben, zwischen dieser und dem Schädelrand.

Solche Orte von energetischer Leere bzw. Unteraktivität sind manchmal zunächst recht versteckt – vor allem bei physisch kräftigen Menschen. Mit fortschreitender Behandlung zeigen sie sich aber oft deutlicher, enthüllen ihre “leere” Natur. Werden sie richtig berührt, kann z.B. das Jitsu von weiter oben plötzlich loslassen und wegschmelzen, ein Zwischenhinweis auf effektive Arbeit.

Auch die Muskelknoten oben in den Schultern, z.B. im Bereich von Dreifacher Wärmer 15 oder Gallenblase 21, die so typisch sind für Kopfschmerzsituationen, haben korrespondierende Leere-Partner. Vielleicht findet der Behandler sie weiter oben in halber Höhe des Nackens, in der Leere der Lungenzone vorne auf dem Brustkorb oder im Verlauf des Oberarmes oder gar der Handgelenke und Hände.

Wieder sollte die unmittelbare Umgebung nicht übersehen werden. Immer findet sich ein korrespondierendes Kyo auch in unmittelbarer Nähe des Jitsu-Knotens (manchmal so dicht daneben, dass die Spitzen zweier aneinander liegender Finger schon weiter voneinander entfernt sind als dieses Kyo und dieses Jitsu). Die nahe liegenden Kyos sind sehr interessant, und ihre Verbindung mit dem jitsu ist oft besonders wirksam. Man beginnt zu verstehen, dass Jitsu und Kyo keine voneinander getrennte Erscheinungen sind, dass sie vielmehr tatsächlich eins sind, dass sie zusammen gehören.

Kyo und Jitsu stellen immer zwei Seiten derselben Sache dar. Das Eine kann ohne das Andere nicht existieren. Wenn aus welchen individuellen Gründen auch immer Ki im Kopf zum Kopfschmerz zusammengeballt und festgehalten werden soll, so kann die hierzu benötigte Energiekonzentration, das Jitsu, nur entstehen, wenn an anderer Stelle ein Kyo entsteht. Und nicht nur ein Kyo – es entstehen immer mehrere Gegenpole an verschiedenen Stellen des Körpers.

Es ist so als würde das Jitsu aufstehen und sagen: “Ich muss heute Jitsu sein. Wer macht mir das Kyo dazu?” Und an vielen Stellen des Körpers erheben sich die Arme von freudigen Kyos, die selber wiederum an anderen Stellen Jitsus entstehen lassen. In dieser Weise ist der gesunde Mensch und sein Körper ein lebendiges Muster von wechselnder Fülle und Leere. Im lebendigen Wechsel liegt Gesundheit.

Aber erst wenn Ki sich in diesem Kyo-Jitsu-Muster quasi dauerhaft einrichtet, kann Kopfschmerz entstehen. Leiden und Schmerzen manifestieren eben sich als Ausdruck von verfestigten (bzw. sich an gleicher Stelle in immer gleicher Weise formierenden) energetischen Strukturen.

Noch ein Wort zur direkten Arbeit mit einem Jitsu am Nacken: Im Augenblick des Kontaktes mit einem ausgesprochenen Jitsu findet sich im Körper eines Shiatsu-Behandlers häufig eine reflexartige Anspannung, die sich am stärksten im Bereich der Schultern zeigt. Es scheint sich dabei um eine Schutzreaktion zu handeln, die sich nicht willentlich verhindern lässt. Sie kann stark ausgeprägt sein oder auch von außen kaum wahrnehmbar.

Jede Anspannung im Behandler ist aber ein Hindernis in der Arbeit mit Jitsu, weil dieses wiederum auf die Spannung im Behandler mit Abwehr reagieren kann. Im Fall von Kopfschmerzen kann sich – abhängig von der Persönlichkeit von Behandler und Behandeltem – eine solche Kommunikation der Anspannung ungünstig auswirken. Im Einzelfall können auch einmal die Kopfschmerzen deutlich verstärkt werden.

Aus diesem Grunde empfehle ich, die meisten Jitsu, besonders aber solche im Nackenbereich mit Inneren Techniken wie der des Freien Ki-Fluss zu behandeln. Man arbeitet dabei mit der Vorstellung, dass die berührte Stelle unter Daumen oder Finger alle Freiheit hat, frei zu schwingen oder zu fließen und Kontakt mit anderen Körperbereichen aufzunehmen. Mit dieser Vorstellung wird sich in der Regel die Anspannung im Behandler lösen, das Jitsu wird leichter reagieren und eine negative Reaktion wird sehr selten sein.


Schwingungsräume

Nach der intensiven Arbeit im näheren Umkreis der Beschwerden wird es notwendig, den weiter werdenden Blick über den ganzen Körper streifen zu lassen, und dort korrespondierende Bereiche zu entdecken, mit denen die lokale Arbeit in Beziehung gesetzt werden kann.

Diese Phase der Behandlung ist von großer Wichtigkeit und hat mehrfache Bedeutung. Zum einen liegen an entfernten Orten des Körpers immer auch wichtige Resonanzstellen, meist von entgegengesetzter energetischer Qualität als der unmittelbare Ort der Beschwerden. Mit ihnen kann in der bereits skizzierten Weise zur Befreiung der festgesetzten Energie im Kopf gearbeitet werden.

Zum anderen ist es ratsam, die Behandlung eines Menschen mit Kopfschmerzen nicht am Kopf selber zu beenden. Berührung lenkt immer die bewusste oder unbewusste Aufmerksamkeit des Körpers auf sich und zieht damit Energie an. Im Falle einer Fülle im Kopfbereich bei Kopfschmerzen kann es so geschehen, dass die letzte Berührung am Kopf noch einmal Ki dorthin führt und die vorherige Arbeit teilweise oder ganz aufhebt. Es ist darum anzuraten, gegen Ende der Behandlung mit peripheren Bereichen zu arbeiten, um die Verbindung dorthin zu unterstreichen und dem Energiefeld des Kopfes den ganzen Körper als Schwingungsraum anzubieten.

Schließlich sollte in der Phase der Integration eine mit Shiatsu behandelte lokale Region mit entfernten Bereichen verbunden werden, um dem beginnenden lokalen Prozess den benötigten Raum für eine Wirkung auf den ganzen Menschen anzubieten. Eine Veränderung im ganzen Menschen hat eine weiter reichende Wirkung als die bloße örtliche Veränderung.

Für unser Beispiel von Kopfschmerzen kann nun grundsätzlich jeder Bereich des Körpers einen solchen Resonanzraum darstellen. In der Tat steht ja auch jede Stelle des Körpers mit der Blockade in Kopf und Nacken in unmittelbarer lebendiger Verbindung. Insofern kann die Arbeit an jedem Ort des Körpers eine Auswirkung auf die Kopfschmerzen eines Menschen haben.

Es gibt aber Bereiche, die wichtiger und in unserer Arbeit effektiver sind als andere. Genau wie die Unterbrechungen im schwingenden Raum an Kopf oder Schulter-Nacken-Bereich kann die behandelnde Person diese Orte “sehen”. Körperliche Besonderheiten weisen äußerlich optisch darauf hin. Wichtiger aber noch ist das subjektive Gefühl, dass ein Bereich in einem konkreten Zusammenhang von Bedeutung ist. Ein solches Gefühl, das bei aller Gewissheit wie schon erwähnt immer auch eine Unsicherheit beinhaltet, entwickelt sich mit der Shiatsu-Praxis.

Typische wichtige Resonanzbereiche sind bei Kopfschmerzen z.B. die Arme, insbesondere Handgelenke und Hände, die Beine, hier besonders die Fußgelenke und Füße, sowie am Rumpf die Situation von Brustkorb, Hara und (vor allem der untere) Rücken.


Die Arme und Hände

Jeder Schmerz bedeutet Einschränkung des frei schwingenden Raumes. Im Kopfschmerz wird nicht nur die Verbindung vom Kopf in den Rumpf erschwert, sondern darüber hinaus auch in alle anderen potentiellen Bereiche des Körpers. Dabei erweist sich der Weg in die Arme und Hände nicht selten als Schlüsselbereich einer Kopfschmerzbehandlung.

Auf dem Weg in die Arme finden sich schon im Schulterbereich vielfältige Unterbrechungen des schwingenden Raumes. An diese kann sich potentiell jede Stelle in den Armen anschließen. Sie können in dem Meridian liegen, den man gerade verfolgt. Sie können sich aber auch in einem anderen Meridian oder gar abseits der Meridiane finden. Sie können auf der Außen (Yang-) Seite des Armes auffallen, ebenso gut aber auch auf den Innen (Yin-) Seiten. Alles ist möglich und darum ist es bedeutsam, in der praktischen Arbeit entspannte, zentrierte Ruhe zu bewahren, sich auf weniges zu beschränken und nicht durch die Vielzahl der Möglichkeiten in einen peripheren Aktionismus zu verfallen.

Typischerweise sind es (manchmal versteckte) Kyo-Qualitäten, auf deren Berührung das Jitsu im Schmerzbereich bzw. andere Jitsus an Nacken und Schultern reagieren, indem sie weicher werden. Es können jedoch auch Jitsu-Stellen sein, die am Arm den Weg zu weiter peripher liegenden Bereichen blockieren. Werden sie berührt, spürt auch die BehandlerIn, wie die Stimmung im Behandlungsraum freier wird.

Die wichtigsten Orte aber liegen in den Händen. Die ruhige und tiefe Arbeit mit den Handgelenken und Händen enthüllt oft ein typisches Muster bei Kopfschmerzen, nämlich dass dieser Ort leer und starr geworden ist, um die Jitsu-Konzentration im Kopf und damit den Schmerz dort zu ermöglichen.

Insbesondere die Räume zwischen den Mittelhandknochen, (v.a. zwischen dem 2. u.3. sowie zwischen dem 3. u. 4. MHK) wirken häufig eng zusammengezogen. (Ein solches Muster findet sich auch bei vielen anderen Anspannungszuständen im Holz.) In den muskelgefüllten Räumen zwischen den Knochen fallen immer auch Jitsu-Punkte ins Auge. Auf die direkte Berührung reagieren sie mitunter nur unwillig. Verbunden mit nahen Kyos im Raum zwischen den Mittelhandknochen, zwischen den Fingergrundgelenken oder im Bereich der Handgelenke oder Unterarme schmelzen sie jedoch in der Regel dahin.

Mit einer solchen Arbeit werden die Unterarme und Hände wieder freier. Sie werden besser in den Gesamtkörper eingebunden, der schwingende Raum wird größer. Dies ist meist nur möglich, wenn die hiermit korrespondierende Blockade in Nacken und Kopf loslässt, was dann auch meist geschieht. In der Regel wird die behandelte Person auf Befragen bestätigen, dass es nun im Kopf freier oder einfach “besser” wird.


Der Brustkorb

Ebenso wie die Bewegung in die Arme ist bei Kopfschmerzen häufig auch die Bewegung in den Brustkorb erschwert. Der Brustkorb ist der Ort des emotionalen Erlebens im Menschen. In dem man dort hinschaut oder dort berührt, erfährt man oft etwas über die tieferen seelischen Zusammenhänge, in denen die Kopfschmerzen entstehen.

Damit will ich keineswegs sagen, dass Kopfschmerzen primär seelische Ursachen hätten. Wohl aber ist meist ein seelischer Zusammenhang wahrnehmbar. Zusammenhang bedeutet, dass das emotionale Erleben einen wichtigen Faktor im vieldimensionalen Netz der Realität eines Menschen darstellt. Keiner der vielen in dieses Netz eingebundenen Faktoren ist als die alleinige Ursache für ein Problem anzusehen, aber jeder kann ein wichtiger Aspekt sein, vielleicht sogar einmal der Schlüsselfaktor, dessen genauere Betrachtung zu einer Lösung des Knotens führen kann.

Nicht selten scheint es so, als sollten die Kopfschmerzen ein tiefes Erleben des hier anklingenden seelischen Themas geradezu verhindern. Wenn wir effektiv mit solchen Mustern arbeiten, kann es entsprechend geschehen, dass unser Klient schmerzhafte emotionale Phasen durchläuft. Ahnt die Shiatsu-PraktikerIn eine solche Situation, so kann es hilfreich sein, ihn achtsam – ohne es übermäßig zu betonen – auf diese Möglichkeit hinzuweisen. Man sollte dabei klar machen, dass es sich – wenn es denn so sein sollte – um eine positive Entwicklung handelt.

In jedem Fall ist es erforderlich, den Brustkorb in der Behandlung aufmerksam zu betrachten. So kann er z.B. insgesamt eng und starr wirken als Ausdruck einer Neigung, diesen Bereich unter guter Kontrolle zu halten und ein unerwünschtes tieferes emotionales Erleben nur nach vorheriger “Inspektion” zuzulassen. In einem solchen Fall der Starre ist es besonders wichtig, (wie ja auch sonst immer) die Existenzberechtigung des gefundenen Musters anzuerkennen und keinen Versuch zu unternehmen, es zu beseitigen. Die Kraft des Inneren Systems des Klienten ist im Zweifelsfalle immer stärker als alle Möglichkeiten des Behandlers, es gegen Widerstand zu verändern. Wird das Muster jedoch entspannt wahrgenommen und gewürdigt, wird ihm Weite und damit neue Möglichkeiten angeboten, so ist die Bereitschaft zu Veränderungen um einiges größer.

Vielleicht bemerkt man auch eine hilflos wirkende Leere im oberen Brustkorb, wo sich die Situation der energetischen Lungen widerspiegelt. Dieser Bereich ist bei Kopfschmerzen häufig auffällig, tendenziell eher als relative energetische Leere. Oder die Mitte des Brustkorbes äußert sich deutlich als Ausdruck einer bedrückenden Situation des energetischen Herzens.

Indem wir direkt mit diesem Ausdruck auf einer körperlichen wie auch auf einer energetischen Ebene arbeiten, wird vorübergehend die emotionale Notwendigkeit des eingeschränkten Schwingungsraumes im Brustkorb aber auch in der Verbindung zum Kopf vermindert. Der relativ abgeschnittene Bereich von Kopf und Hals erhält sein altes “Hinterland” zurück und kann entspannen. Die Klientin atmet vielleicht mehrmals tief durch und berichtet, dass des Kopfschmerz nachlasse.

Ob damit über diesen Augenblick in der Behandlung hinaus eine Lösung des Kopfschmerzes eingeleitet wird, hängt von vielen Faktoren ab. Entscheidend ist, ob das “Innere System” der Klientin diese Lösung zulassen, annehmen kann, was ja immer auch weitere, vielleicht nicht so einfach anzunehmende Veränderungen an anderer Stelle nach sich zieht. Ebenso wichtig ist die Offenheit des Behandlers, der mit einer gewissen Distanz das Geschehen beobachtet, jeden Weg, den die Klientin einschlägt, als berechtigt anerkennt, und jedem Impuls widersteht, sie in eine bestimmte Richtung zu drängen.


Das Hara

Kopfschmerzen sind wie alle anderen “druckmachenden” schmerzhaften Probleme auch als ein Phänomen des Mittleren Wärmers anzusehen. Die sich dort manifestierenden energetischen Organe des Holzes und der Erde sowie des Dreifachen Wärmers sind im Kopfschmerz – in der Regel auch darüber hinaus – meist angespannt. Erscheinen sie im oberen Hara leer, so haben sie sich häufig nur in die Tiefe zurückgezogen, um dort mit umso größerer Entschiedenheit an einer Entscheidung festzuhalten.

Entsprechend wird man das obere Hara unter den Rippenbögen bis zum Zwerchfell hinauf bei Kopfschmerzen häufig als angespannt erleben. Eine solche Anspannung ist meist der Ausdruck eines bereits länger andauernden Musters, welches sich dem Versuch einer raschen Beeinflussung durch die behandelnde Person u.U. lange erfolgreich widersetzt. Auch spiegeln sich in der Anspannung oft brisante emotionale Themen wider. Die Behandlung der Dichte des Mittleren Wärmers ist ein Thema für sich, erfordert viel Geduld, Phantasie und Kreativität auf seiten der BehandlerIn.

Im Prinzip geht es wieder darum, der Dichte über die Berührung von Leerebereichen z.B. im unteren Hara oder in Beinen und Füßen, einen größeren Raum anzubieten. Ebenso kann die intensive und klare Arbeit mit Jitsu-Bereichen, die den Weg zu den peripheren Kyo-Quellen verlegen, hilfreich sein. Die Meridianen der Organe des Mittleren Wärmers können den Weg in die Peripherie vorgeben, die Unterbrechungen des schwingenden Raumes auf diesem Weg können die wichtigen Etappen zur Lösung markieren.

Das untere Hara spiegelt das Wasser-Element und die untere Körperhälfte wider. Bei Menschen mit Neigung zu häufigen Kopfschmerzen besteht wie bereits erwähnt eine Tendenz des aufsteigenden (Leber-) Ki. Diese Tendenz lässt den Oberkörper, die Schultern und den Kopf angespannt-voller erscheinen, während die untere Körperhälfte einen wahrnehmbaren relativen Mangel an Ki entwickelt. Das untere Hara wird dann ebenso wie Beine, Fußgelenke und Füße, auch wenn sie angespannt sein sollten, relativ leer, kyo erscheinen.

Manchmal besteht ein solcher Zustand bereits seit Jahren oder gar Jahrzehnten. Die tiefe Arbeit mit den Kyo-Bereichen des unteren Haras kann den Körper an vergangene Zeiten erinnern, auch daran, wie gut es sich anfühlt, hier aktiver zu sein, sich lebendiger zu fühlen. Da das Hara in vieler Hinsicht, den “eigentlichen” Menschen widerspiegelt, braucht es auch hier viel Geduld, denn Veränderungen solcher energetischer Muster werden sich in der Regel nur langsam einstellen.

Das Hara wird sich dauerhaft nur ändern, wenn der Klient selber einen aktiven Veränderungsprozess durchläuft. Dieser erfordert regelmäßige körperliche und andere Übungen, den Mut, mit Unterstützung auch u.U. zunächst bedrohlich erscheinende Wege einzuschlagen (die Neigung zu Kopfschmerzen mag ihn bisher gerade hiervor bewahrt haben) und eben Zeit. Andererseits wird ohne ein aktiveres Wasser, ohne eine lebendigere untere Körperhälfte das Gegengewicht zum aufsteigenden Ki fehlen und die Tendenz zur Bindung von Ki im Kopf wird weiter bestehen.


Der Rücken

Ein weiterer Weg, den die gefangene Energie im Kopf beschreiten kann, um mit dem ganzen Körper wieder in Verbindung zu kommen, läuft über den Rücken. Sei es, dass die Verspannung des Rückens eine der Ursachen für die Entstehung von Kopfschmerzmustern darstellt, sei es, dass der Rücken sich im Erleben des Kopfschmerzes anspannt. Dies gilt in erster Linie für den Spannungskopfschmerz, der sich primär im Hinterkopf äußert, letzten Endes jedoch auch für jede andere Form des Kopfschmerzes.

Shiatsu mit der Spannung des Rückens wird immer den unterschiedlichen Aktivitätszustand der verschiedenen Etagen des Rückens wahrnehmen und gezielt darauf eingehen. So mag der obere Wärmer im Rücken sehr angespannt sein als Ausdruck der Vermeidung eines bestimmten emotionalen Erlebens im Brustkorb. Vielleicht ist der Bereich der Lungenzone bei aller Spannung eingesunken und leer.

Der mittlere Rücken spiegelt mit den Diagnosezonen und Yu-Punkten den Mittleren Wärmer wider und wird sich meist angespannt und voll präsentieren. Und der untere Rücken wird – nicht selten in Zusammenspiel mit dem oberen Kreuzbein – als relativ leer erscheinen.

Im Shiatsu geht es darum, der Spannung des Blasenmeridians im Rückenstrecker aber auch im umgebenden Bindegewebe zu begegnen und die entgegengesetzten Qualitäten der verschiedenen Etagen zur Kommunikation aufzufordern und diese zu erleichtern.


Die Beine und die Füße

Schließlich bietet der Shiatsu-Behandler seinem Klienten an, den schwingenden Raum über Rücken und Rumpf hinaus bis in die Beine und die Füße ausdehnen zu lassen.

Wichtiger Übergang in die Beine ist das Becken mit den Aspekten von Kreuzbein, Gesäß und Leisten. Manchmal sind es gerade die Blockaden hier, deren Lösung eine Befreiung in Schuler-Kopf-Bereich möglich machen.

Die Beine unserer Kopfschmerzklienten können sich dann auf verschiedene Weise zeigen. Da sind zum Beispiel die schwer und voll wirkenden Beine, die als Ausdruck einer relativen energetischen Schwäche z.B. von Milz-Pankreas das leichte Schwingen des Ki beeinträchtigen. Ziel des Shiatsu kann hier z.B. eine ruhige und gleichmäßige Stimulierung der Tiefe sein, um unter der energieleeren Fülle der Beine Verbindungen stattfinden zu lassen.

Oder die Beine wirken dünn und leer wenn auch sehr angespannt – ein häufiges Muster bei Kopfschmerzen. Ebenso wie die Enge in anderen Bereichen des Körpers kann dies der sinnfällige äußere Ausdruck des energetischen Versuches sein, die eigene Lebendigkeit zu kontrollieren und nur in ausgesuchten Aspekten zuzulassen. Natürlich ist dies ein allgemein menschliches Phänomen, hier aber ist es wahrscheinlich stärker ausgeprägt.

Enge und Starre binden sehr viel Ki (es wurde hierfür auch der Begriff “Leber-Ki-Stagnation” geprägt). Ki, welches lange Zeit in einer solchen Enge gebunden ist, erzeugt eine u.U. starke Aufwärtstendenz der Energie, die auch wiederum aufwendig kontrolliert werden muss (daher die Starre), damit sie nicht nach oben rauscht und den Menschen u.U. unfähig macht, klar zu denken und zu handeln.

Eine derartige kontrollierte starke Aufwärtstendenz über eine lange Zeit kann sich dem Betrachter in dünnen und eher leer wirkenden Beinen darstellen. Oberkörper und Kopf werden voller und dichter, u.U. – jedoch längst nicht immer – entsteht die Tendenz zu Kopfschmerzen, während das untere Hara, der untere Rücken, Beine und Füße relativ dünn und leer zurückbleiben.

Wird diese kontrollierte und unter hoher Spannung stehende Energie in einer Lebensphase frei, so sollte das langsam und Schritt für Schritt geschehen (meist lässt das energetische System eines Menschen auch gar nichts anderes zu), zu destruktiv kann das plötzlich freigesetzte und nach oben schießende Ki im Körper wirken.

Wie an Armen und Händen können auch an den Beinen an jeder Stelle wichtige Kyo- oder Jitsu-Punkte sein, die mit den auffälligen Zonen in den oberen Körperbereichen kommunizieren bzw. deren Verbindung zu den Füßen erschweren. Die Meridianarbeit kann hier die wichtigen Kyo-Jitsu-Unterbrechungen zutage treten lassen. Nicht selten finden sich wesentliche Orte aber auch abseits der theoretischen Meridianverläufe.

Im Extremfall können bei starken Kopfschmerzen die Meridiane z.B. von Magen, Dreifacher Wärmer oder Gallenblase so angespannt sein, dass sie kaum berührt werden können. Wenn sie sich dann allerdings lösen, kann dies eine starke erlösende Wirkung auf den Oberkörper haben.

Und wie in den Händen sind auch die Anspannungen in den Räumen zwischen den Mittelfußknochen (MFK) nicht selten Schlüsselpunkte für ein Lösen der Spannung im Kopf. Auch sie reagieren gerne mit Kyo-Stellen ganz in der Nähe zwischen den MFK, im Bereich der Zehengrundgelenke oder mit Kyo-Bereichen am Fußgelenk bzw. Unterschenkel.

Die tiefe und ruhige Behandlung der Fußsohlen kann – vor allem wenn dieser Bereich unlebendig und kyo wirkt – erlösend sein, stellen sie doch einen der wesentlichen Verbindungswege des Körpers zum Boden dar. Schmerzen und vor allem Kopfschmerzen bedeuten immer, dass der betroffene Mensch sich nicht nur innerlich abtrennt sondern auch die Verbindung zu bestimmten Bereichen seiner Umwelt einschränkt. Die Verbindung zum Boden ist im Falle von Kopfschmerzen deshalb von so großer Bedeutung, weil sie das Gegengewicht und den Rettungsanker für nach oben steigende Energie darstellt.


Wie wir unseren Klienten sonst noch helfen können

Shiatsu-Behandlungen stellen eine effektive Behandlungsmöglichkeit bei Kopfschmerzen dar. Die Behandlung selber findet jedoch nie in einem quasi leeren Raum statt. Immer befindet sich unsere Klientin in einem konkreten Lebenszusammenhang, der die Wirkung unserer Behandlung entweder unterstützen oder ihr entgegenwirken kann.

Es ist darum wichtig, diese Lebenszusammenhänge zumindest zum Teil kennen zu lernen. Dies gibt uns die Möglichkeit, in den Gesprächen mit unseren Klienten auch zu beraten. So können Hinweise zur Ernährung für unsere Klienten sehr wichtig sein, ebenso Unterstützung in Fragen der Strukturierung des Arbeitstages.

Hinweise und Tipps für den Alltag, die wir geben, mögen uns selber manchmal selbstverständlich erscheinen, für unsere Klienten aber sind sie vielleicht eine Offenbarung. Es ist auch möglich, dass sie das alles schon wussten, alles, was es braucht, ist nur eine Person, der sie vertrauen und die es ihnen einfach noch einmal sagt.

In aller Regel sind auch für Kopfschmerzklienten wichtig, regelmäßige Übungen zu machen. Das mögen z.B. einfache aber effektive Do-In-Übungen für den Kopf-Schulter-Nacken-Arm bereich sein. In aller Regel wird es dabei sinnvoll sein, schließlich den ganzen Körper einzubeziehen.

Körperübungen aus dem Hatha-Yoga und verwandten Systemen sind hilfreich, weil sie mittelfristig über den Effekt der spezifischen Stimulierung bestimmter ggf. unlebendiger Körperbereiche hinaus auch die Präsenz der Wahrnehmung des Klienten in seinem eigenen Körper fördern. Mangelnde Präsenz der Wahrnehmung lässt den schwingenden Raum schwächer werden, erleichtert Unterbrechungen und auch die Zusammenballung von Ki im Kopf. Solche Übungen hingegen machen den Körper durchlässiger für das schwingende Ki, erleichtern die Entstehung von Tiefe und Raum und wirken so dem Kopfschmerz entgegen.

Wahrnehmungsübungen (z.B. “Körperreisen” wie etwa am Ort der Schmerzen und in dessen Verbindung zu entfernteren Bereichen des Körpers) lassen mehr Bewusstheit und damit Raum entstehen. Atemübungen und -therapie erreichen das gleiche potenziert durch die Entspannung. Die neuen Räume, die hier entstehen, wirken jeglichem Schmerz entgegen, denn Schmerz ist immer Begrenzung und Einengung. Meditation kann in die gleiche Richtung wirken.

Die Selbstmassage des eigenen Haras ist kinderleicht und wirkt wohltuend, weil sie der Tendenz zum Festhalten im Oberbauches und zur unbewussten Leere des Unterbauches entgegenwirkt. Bestimmte Kneipp’sche Anwendungen für Arme und Beine ziehen Ki dorthin und wirken so der Aufwärtsbewegung und der Konzentration im Kopf entgegen.

Dies ist eine etwas willkürliche und völlig unvollständige Auflistung einiger Möglichkeiten, die unsere Klienten haben, um neben den Shiatsu-Behandlungen etwas für sich selber zu tun. In jedem Fall sollte man nur Übungen empfehlen, die man selber auch kennen gelernt hat. Unterrichten sollte man nur, was man selber einige Zeit praktiziert hat und womit man entsprechend Erfahrungen sammeln konnte.

dass aber solche Übungen sehr wichtig sind, steht außer Frage. Das, was man aus Interesse für sich selber und für die eigene Gesundheit in eigener Aktivität macht, wirkt langfristig viel stärker als alle Behandlungen, die man erhalten kann. Shiatsu-Behandlungen und unsere Beratung können die Initialzündung für eine solche Entwicklung im Leben unserer Klienten sein.


Schlussbemerkung

In diesem Artikel habe ich die Aspekte beschrieben, die mir in meiner Arbeit mit Kopfschmerz-KlientInnen besonders wichtig sind. Eine derartige Zusammenstellung sollte nicht als Aufforderung verstanden werden, nach Möglichkeit alle Aspekte aufzugreifen, also z.B. in einer Behandlung alle beschriebenen typischen Resonanzsorte im Körper zu behandeln.

Würde man in einem Rundumschlag alle theoretisch wichtigen Körperbereiche und Meridiane behandeln, so würde der Geist der BehandlerIn seine Klarheit verlieren. Die Informationen, die “das System” des Klienten in der Behandlung erhält, wäre unklar und verwaschen, die Wirkung darum – von Zufallstreffern abgesehen – eher schwach.

Shiatsu gewinnt jedoch seine Wirksamkeit gerade in der Beschränkung auf eine möglichst klare Leitlinie, in deren Folge man eine Auswahl der zu behandelnden Bereiche nach dem Eindruck trifft, den man heute von diesem einen Klienten erhalten hat. In der nächsten Woche kann es schon ganz anders aussehen.

Es ist darum hilfreich, sich auf die intuitive und subjektive Wahrnehmung des Klienten einzulassen, sie – ggf. mit Unterstützung guter Lehrer – zu lernen und ihr zu vertrauen. Dann werden die Themen und Bereiche klar sichtbar, und es wird leicht und macht Freude, ihnen zu folgen. Und wie gesagt, eine gewisse Unsicherheit, ob man auf dem richtigen Weg ist, bleibt immer bestehen. Und: aus Fehlern lernt man bekanntlich am meisten.

Viel Freude beim Shiatsu!

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© Wilfried Rappenecker, geb. 1950 in der Nähe von Köln, ist Leiter der Schule für Shiatsu Hamburg (D-22769 Hamburg, Oelkersallee 33, http://www.schule-fuer-shiatsu.de), Mitbegründer der GSD und Autor zweier Bücher zum Thema Shiatsu. Als Arzt für Allgemeinmedizin arbeitet er dort überwiegend mit Shiatsu.