Placebos im Spiegel der Komplexitätsforschung

Der Plaecebo-Effekt, so zeichnet sich immer deutlicher ab, dürfte das mächtigste Wirkprinzip der Heilkunde überhaupt sein, denn alles kann als Placebo betrachtet werden, was möglicherweise einen positiven Effekt auf das Befinden hat, ohne dass dies auf einen geprüften Wirkstoff oder einer geprüften Methode beruht. Jede medizinische oder psychologische Zuwendung vermag die Selbstheilungskräfte des Körpers zu aktivieren. Erwartungshaltungen können, wie sich heute auch neurophysiologisch nachweisen lässt, Mechanismen in Gang bringen, die jenen ähneln, die von Arzneimitteln aktiviert werden, bewirken also nachweisbare, reale Veränderungen im Körper.[1]So konnten amerikanische Wissenschaftler nachweisen, dass Antidepressiva wie auch Placebos eine Änderung der Gehirn-Aktivität hervorrufen. In zwei neunwöchigen placebokontrollierten Studien … weiterlesen Und andererseits können selbst wissenschaftlich nachweisbare pharmakologische Wirkungen durch den Placebo-Effekt in ihr Gegenteil verkehrt werden. So wurde in einer Studie schwangeren Frauen gesagt, sie erhielten ein Mittel gegen ihre Übelkeit, was dazu führte, dass die meisten Frauen sich dadurch deutlich besser fühlten – in Wirklichkeit hatten sie jedoch ein Mittel erhalten, das zu Erbrechen führt.[2]Wichtig für die Wirkung eines Placebos ist die Erwartungshaltung – quasi der Glaube – des Patienten. Bei Asthmatikern, die eine harmlose Salzlösung inhalierten, konnte Thomas J. Luparello in … weiterlesen

Viele Studien belegen heute, dass es oftmals nicht die Methode der Behandlung ist, sondern die Behandlung an sich, die zu Heilung und Besserung führt. In den 1950er-Jahren war die Ligatur (das Abbinden einer bestimmten Schlagader, damit mehr Blut ins Herz fließt) bei Menschen, die an Angina pectoris litten, der Standard der Herzmedizin. Forscher der University of Kansas konnten jedoch zeigen, dass eine Scheinoperation denselben Effekt aufweist.[3]In der Studie von Edmunds G. Dimond (Universität von Kansas in Lawrence) in den späten 50er-Jahren wurden 13 Patienten operiert, 5 nur zum Schein. Von den regulär Behandelten verspürten 76 % … weiterlesen Seither ist diese Methode wieder aus dem Repertoire der Medizin verschwunden. Bekannt geworden sind auch die Erfahrungen des Orthopäden Bruce Moseley (Veterans Affairs Medical Center in Houston, Texas), der Patienten mit mittelschwerer Knie-Arthrose – ausgewählt nach dem Zufallsprinzip – entweder arthroskopisch operierte (Glätten rauer Oberflächen, Entfernen von lockerem Gewebe und Spülen des Kniegelenks) oder eine Scheinoperation durchführte – mit dem Ergebnis, dass sich keine Unterschiede im Behandlungserfolg zeigten. Aber obwohl die Ergebnisse der Untersuchung in der Fachzeitschrift „New England Journal of Medicine“ erschienen sind, werden auch heute noch in Deutschland jährlich mehr als 190.000 Knie arthroskopisch behandelt.

Bei den meisten Erkrankungen, so wird geschätzt, trägt der Placebo-Effekt zu 30 bis 40 Prozent zum Nutzen medizinischer Maßnahmen bei,[4]Eine Studie in den frühen Fünfziger-Jahre von Henry K. Beecher (Harvard-Universität in Cambridge, Massachusetts) zufolge verschafften Placebos etwa 30 bis 40 Prozent der Patienten bei diversen … weiterlesen und Studien des amerikanischen Ministeriums für Technologiebewertung zufolge haben nur 20 % der gebräuchlichen Heilmittel eine wissenschaftlich abgesicherte Wirkung. Die übrigen wurden nie im standardisierten Test daraufhin überprüft, ob sie die angegebenen Effekte erzielen – und wenn, wie. Nicht zu vergessen ist dabei, dass die meisten Methoden in der Geschichte der Heilkunst vor allem auf der Kraft der Suggestion gründeten. Und obwohl viele Methoden teilweise sogar schädliche Mittel oder Maßnahmen einsetzten, wie Elaine und Arthur Sharipo (Abteilung für Psychiatrie der Mount Sinai School of Medicine in New York) ausführen, wurden die sie anwendenden Ärzte im Gegenteil oftmals geradezu verehrt, denn sie selbst waren das therapeutische Agens.

 
Die Emfpänglichkeit für Placebowirkungen schafft einen Überlebensvorteil

Elaine und Arthur Sharipo vermuten, dass die Fähigkeit, positive Erwartungen in Genesung umzusetzen, sich im Laufe der Evolution im Erbgut der Menschen verankert hat. Wer mit dieser Fähigkeit geboren wurde, hatte einen Überlebensvorteil, denn Interaktionen zwischen Patient und Heiler können sehr effektiv die Selbstheilungskräfte wecken. Nachweislich wird dabei jenes System angeregt, über das sonst Opioide wirken. Gibt man Testpersonen Naloxon, ein Medikament, das einen bestimmten Opiatrezeptor im Gehirn blockiert, so unterdrückt man damit das Glücksgefühl, das Menschen nach der Einnahme von Opium verspüren. Ganz ähnlich fühlen sich Menschen durch die Einnahme von Naloxon ihrer guten Placebo-Gefühle und -Wirkungen beraubt.

Tor Wagner, Psychologe an der University of Michigan in Ann Arbor, konnte zeigen, dass sich die Placebo-Wirkungen vor allem über den Thalamus, den vorderen cingulären Kortex und die Inselrinde umsetzen. Funktionseinschränkjngen und -blockaden in diesen Bereichen wirken entsprechend auf Placebo-Effekte. Ein weiterer wichtiger Wirkfaktor von Placebos ist die Anegung der Produktion von Botenstoffen (Neurotransmitter), insbesondere Dopamin, das zum körpereigenen Motivationssystem gehört und – in Erwartung einer baldigen Besserung – zuversichtlich stimmt.

Um die Wirksamkeit einer Testsubstanz zu erkennen, bediente sich der Turiner Placebo-Forscher Benedetti einer automatischen Infusionsmaschine, die Patienten mit postoperativen Schmerzen heimlich ein gängiges Schmerzmittel verabreichte (ohne dass sich Pfleger oder Ärzte im Raum befanden). In einer Kontrollgruppe verabreichte ein Arzt die Medikation. Alle Patienten bekamen jeweils so viel Schmerzmittel bis die Pein auf die Hälfte gesunken war. Als Ergebnis zeigte sich, dass den ahnungslosen Patienten deutlich höhere Dosen notwendig waren. Sebst dann, wenn gar keine Placebo-Mittel eingesetzt werden, tritt ein Placebo-Effekt auf. Und auch das Immunsystem, so konnten Forscher um den Essener Psychologen Schedlowski zeigen, wird durch Placebos beeinflusst. Aber nicht nur bei Menschen, auch bei Tieren tritt dieser Effekt auf, und kann so massiv werden, dass Ratten in einem Versuch an gesüßtem Wasser starben, das wie Zellgift wirkte.


Akupunktur als Placebo

Schon der Anblick von Tabletten wirkt auf Patienten. Blaue Pillen haben eine einschläfernde und gelbe eine anregende Wirkung. Rote Tabletten wirken auf das Herz. Generell wirken Markentabletten besser als Generika (nachgeahmte Produkte). Eine viermalige Einnahme ist effektiver als eine nur zweimalige, und größere Kapseln versprechen eine stärkere Wirkung als kleinere. Noch stärker als Pillen und Zäpfchen wirken Spritzen und chirurgische Eingriffe. Sogar ein nicht eingeschalteter Herzschrittmacher ist deutlich effektiver als Placebo-Pillen. Besonders wirksam scheint aus dieser Sicht, so der Spiegel im Juni 2007, das Procedere der Akupunktur die Selbstheilungskräfte des Menschen zu beeinflussen. Ted Kaptchuk und Kollegen von der Harvard Medical School in Boston verglichen Scheinakupunktur („falsche“ Punkte und kein wirklicher Stich) mit Placebo-Tabletten bei schmerzhaften Sehnenscheidenentzündungen. Dabei zeigten sich die falschen Nadeln erheblich effektiver als die Placebo-Medikation.

Die bessere Wirkung der Akupunktur gegenüber den Standardverfahren der Schulmedizin zeigte sich auch in den „German Acupuncture Trias“ (GERAC), bei denen Akupunktur und Scheinakupunktur deutlich besser als die medizinischen Standardverfahren abschnitten. Akupunktur scheint, so die Interpretation von Heinz Endres (Universität Bochum), der an der Studie beteiligt war, durch eine Kombination von unspezifischen Faktoren ein „Super-Placebo“ darzustellen. Die im Spiegel-Artikel nahe gelegte Interpretation der Akupunktur als reines Placebo lässt sich daraus aber nicht ableiten. Wohl legen die Untersuchungsergebnisse nahe, dass Placebo-Wirkungen eine große Rolle spielen, doch sagt das nichts über andere Wirkmechanismen der Akupunktur aus, die durchaus auch wissenschaftlich nachgewiesen werden können.[5]Vergleiche z.B. die Untersuchungen von Gerhard Litscher, Lu Wang, Nai-Hua Yang und Gerhard Schwarz, die 1990 in “Neurological Research” veröffentlicht wurden und nachweisen, dass die … weiterlesen


Die Anwendung des Placebo-Effekts

Die gründliche Aufklärung über die Wirkungen von Medikamenten und Behandlungenscheint scheint von besonderer Wichtigkeit zu sein, denn einsetzen lässt sich der Placebo-Effekt durchaus auch, um die Wirkung anerkannter Behandlungsmethoden zu steigern. Von besonderer Bedeutung sind hierbei die von Ärzten und anderen Behandlern ausgestrahlte Fachkompetenz, bestimmte Behandlungsrituale, das Erscheinungsbild des Arztes, die Ausstattung der Praxis und für viele Patienten auch das Aushändigen eines Rezepts, Von zentraler Bedeutung sind zudem eine gründliche Untersuchung und Anamnese vor einer klaren Diagnosestellung und einem damit verbundenen Therapieplan. 


Quellen

  • Der Spiegel 16 / 2007      
  • Gehirn & Geist 5 /2004     
  • Spektrum der Wissenschaften. Digest 1/2003, Psyche und Verhalten

Anmerkungen

Anmerkungen
1 So konnten amerikanische Wissenschaftler nachweisen, dass Antidepressiva wie auch Placebos eine Änderung der Gehirn-Aktivität hervorrufen. In zwei neunwöchigen placebokontrollierten Studien verabreichten sie 51 depressiven Patienten entweder Fluoxetin oder Venlafaxin und maßen die Gehirnströme der Teilnehmer. 52 Prozent der Verum-Patienten sprachen auf die Medikation an, während es aus der Placebo-Gruppe 38 Prozent waren. Diese Placebo-Patienten zeigten eine erhöhte elektrische Aktivität im präfrontalen Kortex. Bei denjenigen Patienten, bei denen die Antidepressiva wirkten, war die Aktivität in diesem Bereich dagegen herabgesetzt.
2 Wichtig für die Wirkung eines Placebos ist die Erwartungshaltung – quasi der Glaube – des Patienten. Bei Asthmatikern, die eine harmlose Salzlösung inhalierten, konnte Thomas J. Luparello in einem ähnlichen Experiment zeigen, verstärkten sich die Atembeschwerden, wenn sie glaubten damit ein Reizmittel zu inhalieren. Vermeinten sie jedoch ein Asthma-Medikament zu inhalieren, weiteten sich die Atemwege und die Beschwerden wurden geringer.
3 In der Studie von Edmunds G. Dimond (Universität von Kansas in Lawrence) in den späten 50er-Jahren wurden 13 Patienten operiert, 5 nur zum Schein. Von den regulär Behandelten verspürten 76 % Erleichterung, bei den Scheinoperierten 100 %.
4 Eine Studie in den frühen Fünfziger-Jahre von Henry K. Beecher (Harvard-Universität in Cambridge, Massachusetts) zufolge verschafften Placebos etwa 30 bis 40 Prozent der Patienten bei diversen Erkrankungen (z.B. Schmerzzustände, Bluthochdruck, Asthma, Bronchitis) Erleichterung.
5 Vergleiche z.B. die Untersuchungen von Gerhard Litscher, Lu Wang, Nai-Hua Yang und Gerhard Schwarz, die 1990 in “Neurological Research” veröffentlicht wurden und nachweisen, dass die Akupunktur wissenschaftlich messbare Wirkungen hat, die von der westlichen Medizin mit dem heutigen Wissensstand allerdings nicht erklärt werden können (siehe Akupunkturwirkungen auf Gehirn und Auge).  
In Bezug auf die Gerac-Studien wird zwar immer wieder die Frage aufgeworfen, ob es nicht unerheblich sei, wo und wie akupunktiert wird (weil die Pseudo-Akupunktur fast so erfolgreich war wie die Verum-Akupunktur), doch wäre es – neben anderen Fragen zur Interpretation der Studie – auch interessant, den Sachverhalt genauer zu erforschen, warum die konventionelle medizinische Behandlung so viel schlechter abschneidet als selbst die Pseudo-Akupunktur. Denn selbst, wenn es “nur” daran läge, dass die Akupunktur wegen ihres “Super-Placebo-Effekts” so wirksam ist, wäre bei den untersuchten Beschwerden zu überlegen, mit welcher Berechtigung die im Vergleich wenig erfolgreiche konventionelle Medizin angeboten werden kann.