Kochen hat den Menschen zum Menschen gemacht

Die Frage, woher wir als Menschen kommen, ist uralt. Alle Kulturen der Welt haben darauf ihre Antwort gegeben. haben Mythen und Schöpfungsgeschichten, die sehr häufig von übernatürlichen Wesen und Mächten handeln. Mittlerweile wissen wir zwar, dass sich der Mensch, so wie er heute ist, durch natürliche Selektionsvorgänge herausgebildet und entwickelt hat und dass sein „Geburtsort“ Afrika ist, aber was hat den Menschen zum Menschen gemacht?

Die Vorfahren des „modernen“ Menschen, so weiß man heute, die so genannten Austalopithecinen, waren etwa so groß wie Schimpansen, waren gute Kletterer und hatten affenartige Schnauzen. Sie waren den Menschenaffen ähnlicher als den heutigen Menschen und dennoch waren sie insofern menschenähnlich, als sie aufrecht gingen. Ihre Gehirne aber waren kaum größer als die von Schimpansen.

Der nächste Wandel erfolgte vor ca. 2,3 Millionen Jahren mit dem Auftauchen der ersten Menschen, die auch Habilinen (vom lateinischen habilis, handwerklich geschickt) genannt und als Bindeglieder zwischen Affen und Menschen betrachtet werden. Die ersten Habilinen waren wahrscheinlich ebenso klein wie die Austalopithecinen, hatten noch lange Arme und ein vorspringendes Gesicht, weshalb manche Fachleute sie noch als Menschenaffen klassifizieren. Dennoch geht man davon aus, dass sie schon Steinklingen verfertigt haben und dass ihr Gehirn doppelt so groß war wie das heutigen Menschenaffen. Insofern sind sie schon menschlich und der Gattung Homo zuzurechnen.

Vor etwa 1,9 bis 1,8 Millionen Jahren erfolgte dann der nächste einschneidende Schritt der Menschwerdung: Der Homo erectus betrat die Bühne. Dieser hat eine wesentlich größere Ähnlichkeit mit uns heutigen Menschen als der Homo habilis. Man nimmt an, dass der Homo erectus dieselbe Statur und Körperform aufgewiesen hat wie seine Nachfolger, ebenso die typisch menschliche Gangart, weshalb ihn manche Anthropologen dem Homo sapiens zurechnen. Über seine geistigen Fähigkeiten allerdings, z.B. ob er schon eine einfache Sprache benutzte, ist wenig bekannt.

Die Frage nach dem Ursprung des Menschen führt letztlich zur Frage, welche Umstände dazu geführt haben, dass sich aus den Austalopithecinen der Homo erectus entwickelte. Die Antwort der Anthropologen darauf ist die von den meisten akzeptierte Vermutung, dass der Verzehr von Fleisch der entscheidende Faktor war. Darauf lassen nicht nur Beobachtungen von Hunderten von Jäger- und Sammler-Kulturen schließen, sondern auch archäologische Funde. Unter den Primaten (Menschenaffen) – auch Schimpansen essen mitunter Fleisch – ist der Mensch der einzige entschiedene Fleischesser und zudem der Einzige, der sich auch an großen Kadavern bedient.

Unsere Vorfahren mit den noch kleineren Gehirnen konnten sich Fleisch aber (fast) nur verschaffen, indem sie sich mit ihren letztlich unzulänglichen Kräften gefährlichen Tieren entgegenstellten. Ihre Zähne und Gliedmaßen waren schwache Waffen und auch ihre Jagdwerkzeuge dürften anfänglich nur Steine und Äste gewesen sein. Wahrscheinlich haben Einfallsreichtum und eine größere körperliche Gewandtheit den Jagderfolg begünstigt. Und doch, so der Anthropologe Richard Wrangham („Feuer fangen“), kann man sich gut vorstellen, dass die aufkommende Gewohnheit, Fleisch zu essen, mehrere menschliche Merkmale förderte, so dass die Fleischesser-Hypothese („Man the Hunter“) als Erklärung für den Übergang zur Gattung Homo sehr beliebt ist.

Vernachlässigt wird dabei aber, so Wangham, der Umstand, dass das Sammeln von Nahrungsmitteln die Jagd überhaupt erst ermöglichte. Vor allem die Frauen, so zeigen Vergleiche mit lebenden Jäger- und Sammlerkulturen, übernahmen einen wesentlichen, etwa 50%igen Anteil an der Ernährung durch das, was sie an Gesammeltem (Beeren, Kräuter, Samen, Wurzeln etc.) ins Lager brachten. Wann und warum aber kam das Sammeln auf?

Wrangham geht deshalb von drei Veränderungen aus, die den Weg zum Mensch kennzeichnen und Hunderttausende von Jahren auseinander liegen. Der erste Schritt zum Menschen kam vor etwa zweieinhalb Millionen Jahren in Gang, als aus schimpansenartigen Austalopithecinen mit Steinklingen gerüstete und mit größeren Gehirnen ausgestattete Habilinen wurden. Dieser Schritt, so Wrangham, läßt sich gut mit dem Übergang zur fleischlichen Kost erklären.

Nicht erklären läßt sich damit aber der Übergang zum – vergleichsweise modernen – Homo erectus, dessen schmale Kiefer und kleine Zähne sich nicht wirklich zum Zerkauen von zähem rohen Fleisch erlegter Tiere eigenen. Es muß deshalb einen anderen Grund für die Veränderung geben, und der dürfte, folgt man Wrangham, in der Verwendung von Feuer liegen, darin dass die Menschheit begonnen hat, ihr Essen zu kochen. Das Kochen läßt Gifte zerfallen, beugt dem Verderben vor, ermöglicht das leichtere Zerkleinern und Pürieren von im Rohzustand zähen Nahrungsmitteln und – vor allem – erhöht die Energiemenge, die beim Verzehr der Nahrung aufgenommen wird.

Diese zusätzliche Energie verlieh den ersten Köchinnen und Köchen biologische Vorteile. Sie lebten länger und reproduzierten sich erfolgreicher – und ihre Gene breiteten sich stärker aus. Der Körper reagierte auf die zusätzliche Energiezufuhr, indem er sich an die gekochte Nahrung anpaßte und wurde durch die natürliche Selektion über die Jahrtausende so geformt, dass er aus der neuartigen Nahrung den größtmöglichen Nutzen zog. Es kam es am Übergang zwischen den Habilinen und zum Homo erectus zu Veränderungen des Körperbaus, der Physiologie und der Gesellschaft, denn mit dem Kochen wurde zugleich, weg vom Kampf um den besten Platz bei der Nahrungsgewinnung, die menschliche Sozialisation in der gemeinsamen Sorge um ihre Zubereitung und ihren gemeinsamen Genuß gefördert.

Zusammengenommen bilden diese Aspekte die Kochhypothese („cooking hypothesis“) und besagen, dass er Mensch dafür angepasst ist, gekochte Nahrung zu sich zu nehmen, so wie Kühe für Gras oder Flöhe dafür, Blut zu saugen. Wir sind, so Wrangham, an die für uns adäquate Nahrung (vor allem) in gekochter Form gebunden, und die Folgen dieses Umstandes durchdringen unser ganzes Dasein, vom Körper bis zum Denken: „Wir Menschen sind die kochenden Affen, Geschöpfe des Feuers“.

Erinnert sein an dieser Stelle an die Aussage der Traditionellen Chinesischen Medizin, die als wesentliches Merkmal des Menschen den hohen Stellenwert des Feuer-Elements betont. Das Feuer-Element unterscheidet den Menschen vom Tier, weshalb der Mensch – durch seinen im Vergleich zu Tieren großen Anteil an Feuer – auch mehr Geist besitzt (d.h. Bewusstsein und Erkenntnisfähigkeit) Und zugleich bedeutet das ganz konkret, dass er gekochte Nahrung benötigt, um das Feuer-Element und damit das Gleichgewicht der Elemente in ihm zu stärken und zu bewahren.