Huang Di Nei Jing historisch
Die für die gesamte Medizintradition des Fernen Ostens grundlegende Lehre von Yin und Yang wurde erstmals etwa 700 v. Chr. im „Buch der Wandlungen” (Yi Jing) beschrieben. Und das älteste medizinische Fachwerk, das „Buch des Gelben Kaisers zur Inneren Medizin” (Huang Di Nei Jing), entstand wahrscheinlich zwischen 475 und 221 v. Chr. (Zeit der Streitenden Reiche). Der Legende nach jedoch soll das Nei Jing schon etwa 2600 v. Chr. vom Kaiser Huang Di (2698 bis 2589 v. Chr.) und seinen Ratgebern geschrieben worden sein.
Die Texte des Nei Jing spiegeln, so die Forschung, eine Sprachzustand wider, der etwa um Christi Geburt anzusetzen wäre. Als wahrscheinlich gilt, dass das Buch des Gelben Kaisers in seiner überlieferten Fassung in der Zeit zwischen 1030 v. Chr. und 24 n. Chr. entweder aus verschiedenen Quellen zusammengefügt (kompiliert) wurde und / oder immer wieder neu kompiliert und möglicherweise sogar um einige Textstellen erweitert und ergänzt wurde. Sollte, so die Forschung, das Nei Jing aus relativ früher Zeit stammen (allerdings gilt 1030 v. Chr. als das früheste Datum), so sind spätestens ab 206 v. Chr. einige textliche Erweiterungen dazugekommen, die die soziokulturellen Bedingungen der frühen Han-Zeit (207 v. Chr. bis 24 n. Chr.) widerspiegeln.
Im Laufe der Jahre wurde das Huang Di Nei Jing in mehreren Versionen veröffentlicht. Als die “klassischste” Ausgabe jedoch wird jene angesehen, die vom Gelehrten und Arzt Wang Bing 762 nach Christi kommentiert wurde. Die 24bändige Ausgabe von Wang Bing wiederum soll auf eine Textfassung von Zhang Zhongjing (Autor eines anderen medizinischen Standardwerkes, des Shang Han Lun) aus etwa 195 n. Chr. zurückgehen. Alle späteren Ausgaben des Huang Di Nei Jing gründen auf die (überarbeitete und erweiterte) Fassung von Wang Bing, so Wolfgang G. A. Schmidt in “Der Klassiker des Gelben Kaisers zur Inneren Medizin”.
Im Zwiegespräch zwischen dem legendären Gelben Kaiser (Huang Di) und dem Arzt und Minister Qi Bo entfaltet sich ein ganzheitliches Bild des menschlichen Lebens. Hier werden erstmals die wesentlichen und bestimmenden Vorstellungen der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) dargelegt, die auch heute noch ihre Gültigkeit haben.
Die grundlegenden Konzepte zur Anatomie, Physiologie, Ätiologie, Pathologie und Diagnostik werden dargestellt und die daraus resultierende Behandlung erklärt. Berücksichtigt werden dabei äußere (z.B. geographische, klimatische und jahreszeitliche) Einflüsse ebenso wie innere (beispielsweise Emotionen und unsere Reaktionen darauf). Detailliert wird beschrieben, wie unsere Umwelt und unsere Art zu leben unsere Gesundheit und unser Schicksal mitbestimmen.
Die Texte des Nei Jing sind richtungweisend für eine ganzheitliche Medizin, die die Traditionelle Chinesische Medizin ihrem Charakter und ihrem Anspruch nach ist. Der ganzheitliche Charakter der TCM beinhaltet Körper, Seele und Geist, die Einflüsse von Jahreszeiten und Naturereignissen. Krankheit und Gesundheit werden nicht getrennt für sich, sondern innerhalb eines konzeptionellen Ganzen betrachtet. Nichts, so die Lehre des Nei Jing und der Traditionellen Chinesischen Medizin, steht für sich allein, sondern alles ist immer in einer wechselseitigen Beziehung zu (allem) anderen. Und das, was zueinander in einer wechselseitigen Beziehung steht, ist einem ständigen Prozess des Wandels und der Veränderung unterworfen.
Krankheit, so die Botschaft des Gelben Kaisers, ist nicht einfach ein unabwendbares Schicksal, vielmehr hängen Krankheit und Gesundheit davon ab, wie sehr sich der Mensch in das vorgegebene Ordnungsgefüge, die Ordnung des Dao, einpasst und sich nicht selbst als das Maß der Dinge ansieht. Krankheit und Gesundheit, Leben und Tod sind essentielle Bestandteile des menschlichen Lebens, wobei es das ureigenste Anliegen der Traditionellen Chinesischen Medizin und damit des Nei Jing ist, jene Spanne, die zwischen diesen beiden Polen liegt, zu harmonisieren, ihre Balance zu stärken. Denn diese Spanne, so die Lehre Huang Dis, bedeutet Gesundheit und Leben.