Gibt es gesundes Essen?
Die grundsätzliche Frage, ob es überhaupt so etwas wie gesundes Essen gibt, verneint Ernährungsmediziner Maximilian Ledochowski, da jeder Mensch über einen individuell unterschiedlichen Stoffwechsel verfügt, in unterschiedlichen Klimazonen lebt und andere Anforderungen im Alltag hat. An und für sich würde sich die für den Menschen jeweils gesunde, sprich passende Ernährung ganz natürlich ergeben, weil er mit einer hochsensiblen biologischen Steuerung ausgestattet ist, doch können wir uns auf diese Sinne – u.a. als Folge der industriellen Erzeugung und Haltbarmachung von Nahrungsmitteln – nicht mehr verlassen. Geschmacksverstärker, Süßungsmittel, Aromen, Bitterstoffe-Rezeptorenblocker vor allem, aber auch die Inszenierung von Lebensmitteln in den Supermärkten und die Verpackung in Plastik haben unsere Sinne so weit ausgeschaltet, das unsere biologische Appetit- und Hungersteuerung nicht mehr funktioniert. Die Folgen dieses immer aggressiveren industriellen Umgangs mit Nahrungsmitteln sind, so Ledochowski, zunehmend mehr Menschen mit Reizdarmsyndrom, Laktoseintoleranz, Fruchtzuckerintoleranz und vielen anderen Intoleranzen – wobei Adipositas nur ein Symptom einer Vielzahl von Erkrankungen darstellt.
Zur Aufrechterhaltung unseres Organismus braucht unser Organismus vor allem Eiweiß, Kohlehydrate und Fette, aber auch eine Reihe von Spurenelementen und sekundären Planzeninhaltsstoffen. Wenn wir Hunger haben, füllen wir unsere Energiereserven auf. Durch den Appetit wiederum gleichen wir Ungleichgewichte im Körper aus, holen wir uns die Nahrungsmittel, die wir benötigen – zumindest solange wir nicht durch lebensmitteltechnologische Maßnahmen getäuscht werden.
Ein weiteres Problem ist die industrielle Haltbarmachung von Nahrungsmitteln. Als Folge davon hat der Verdauungsapparat einen deutlich höheren Aufwand, um die zugeführte Nahrung zu verarbeiten. Eine nicht lagerbare Ware besitzt deshalb einen vergleichsweise höheren Nährwert (Energiebilanz) als eine Haltbargemachte, wobei die Haltbarmachung oft schon in der Züchtung der Sorten berücksichtigt wird, damit Obst und Gemüse transportabler und haltbarer sind.
Industriell produzierte Nahrungsmittel werden in ihre Bestandteile aufgespalten und dann neu zusammengesetzt. So schafft es die Nahrungsmittelindustrie (mit kleinen Tricks), dass auch fettfreies Joghurt cremig schmeckt – was sich zwar auf der Zunge gut anfühlt, aber nicht dem physiologischen Gleichgewicht entspricht, das der Mensch über tausende Jahre gewöhnt war. Die Folge ist, dass der Verdauungsapparat das Produkt schlecht verdaut. Der, so Ledochowski, leider falsche Grundgedanke dahinter ist, dass man etwas, das in der Natur vorkommt, beliebig einsetzen kann (und nicht einmal deklarieren muss).
Als Beispiel dient Ledochowski Inulin, ein natürlicher Ballaststoff im Spargel, der sich gut als Fettträger eignet und Nahrungsmittel cremiger macht. Das Problem dabei ist aber, dass etwa ein Drittel der Bevölkerung hohe Inulinmengen nicht verträgt, die sich ergeben, wenn Inulin im täglichen Joghurt enthalten ist – wohingegen die einmal jährliche Spargelsaison kein Problem darstellt.
Für Ledochowski sind aus diesen Gründen hohe Mengen an unphysiologisch zusammengesetzten Lebensmitteln ein wichtiger Beitrag für gesundheitliche Probleme, nämlich insbesondere auch Lebensmittel, die als vermeintlich „gesund“ vermarktet werden.
Eine Verschlechterung der Ernährungssituation ergibt sich zudem aus der Amerikanisierung der Nahrungsmittelindustrie. Diese Form der Globalisierung ist oft vollkommen intransparent und führt zu Problemen, wie z.B. bei Feta (griechischer Schafskäse), der ursprünglich in Griechenland aus Schaf- und Ziegenmilch gemacht zu einem laktosefreien und für die Griechen leicht(er) verdaulichen laktosefreien Käse fermentiert wird. Heute wird Fetakäse im Allgäu (BRD) aus Milch von Holsteinkühen erzeugt und mit anderen Bakterien fermentiert, die den Milchzucker weniger gut aufspalten. Für den Fetageschmack werden zudem künstliche Aromastoffe zugesetzt. Dieser Feta wird dann (auch) nach Griechenland exportiert und dort vertragen ihn viele der vorwiegend laktoseintoleranten Griechen nicht – und man wundert sich über diese Unverträglichkeitsreaktionen, denn ohne die Zusammenhänge von Produktion und Handel betrachten zu können, sind viele Probleme in Zusammenhang mit der Ernährung nahezu unerklärlich.
Als Problem sieht Ledochowski, dass die Lebensmittelindustrie (wie generell die Wirtschaft) auf Wachstum ausgerichtet ist, was in einer Gesellschaft, die nicht hungrig ist, Probleme bereitet. Dieses Ziel zu erreichen gelingt deshalb nur mit attraktiven Nahrungsmitteln, die die körpereigenen Kontrollmechanismen ausschalten, unter Umständen sogar eine Art von Sucht erzeugen.
Wünschenswert hingegen wäre im Gegenteil, so Ledochowski, wenn bei der Entwicklung von Nahrung nicht so stark in die Natur eingegriffen wird und man traditionelle Bearbeitungsmethoden (als entwicklungsgeschichtlich erfolgreiche Methoden, an die sich unser Organismus angepasst hat) respektiert. Mit modernen Herstellungsmethoden täuschen wir nämlich unsere Hunger-Appetit-Sättigungsmechanismen und versuchen, die daraus resultierenden Probleme wieder im vielen Regeln auszugleichen, wie z.B. mit der Empfehlung „viel Wasser zu trinken“, obwohl sich der Mensch über Jahrtausende auf sein Durstgefühl (gesteuert von Osmoseregulatoren) verlassen konnte.