Gesundheitspolitik in der EU und CAM (Eduard Tripp)

Ziele und Strategien der EU-Gesundheitspolitik

Generell ist es Ziel der EU ein Gesundheitssystem zu etablieren, dass die unterschiedlichen Regelungen in den 28 Mitgliedsländern harmonisiert und vereinheitlicht. Die Komplexität dieses Themas liegt u.a. darin, dass in den unterschiedlichen Ländern für teilweise unterschiedliche Berufsgruppen zum Teil sehr unterschiedliche Kompetenzen und Verantwortlichkeiten festgeschrieben sind (nationale Gesetzgebungen). Während es beispielsweise in Deutschland die Heilpraktiker*in gibt, ist dieser Beruf in Österreich (und in vielen anderen Ländern auch) verboten. Eine Harmonisierung durch eine Entschließung des EU-Parlaments würde hier bedeuten, dass es (wegen der Freiheit einen anerkannten Beruf in allen Mitgliedsländern auszuüben, Niederlassungsfreiheit) entweder in keinem Land mehr HeilpraktikerI*innen gibt oder aber die Ausübung in allen Ländern legal ist. Dasselbe gilt bei einer erfolgten EU-Regelung auch für Shiatsu (unabhängig davon mit welchen Komptenzen Shiatsu definiert wurde).[1]Der Artikel wurde im September 2016 veröffentlicht und berücksichtigt entsprechend die damaligen Zielsetzungen.

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Ein weiterer wichtiger Punkt in der zukünftigen Gesundheitspolitik der EU ist die Frage, wer für welche Aspekte der Gesundheit der Bevölkerung zuständig ist. Dies vor allem auf dem Hintergrund einer älter werdenden Bevölkerung (die Menschen leben heute länger als noch vor einigen Jahren, zudem führt auch der Geburtenrückganz zu einer zunehmenden Überalterung Europas), die zunehmend an sogenannt nichtinfektiösen chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Krebs oder Herzleiden leiden.

Nichtinfektiöse chronische Erkrankungen, die zu einem großen Teil auch der eigenen Lebensführung geschuldet sind, sind der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge mittlerweile die Ursache für 63 Prozent aller Todesfälle.

Das Gesundheitssystem, das etabliert wird, muss leistbar und nachhaltig sein. Und Kosten sollen auch dadurch reduziert werden, dass „vermeidbare“ Erkrankungen überhaupt nicht entstehen (Prävention) oder durch eigenverantwortungsvolles Handeln der Betroffenen (dazu bedarf es auch des Wissens um diese Möglichkeit für die Betroffenen) vermieden bzw. kontrolliert werden.

Strategien, das zu erreichen sind, sind:

  • Health in All Policies (Gesundheit in allen Feldern der Politik)
  • Active and Healthy Ageing (Länger und gesund leben)
  • Förderung von Gesundheit und längerem Leben: nichtinfektiöse chronische Erkrankungen


Health in All Policies (Gesundheit in allen Feldern der Politik)

Nur 10 bis 40 Prozent des Gesundheitszustandes und der Lebenserwartung sind auf medizinische Versorgung zurückzuführen. Determinanten von Gesundheit und Krankheit liegen damit größtenteils außerhalb der Reichweite von ÄrztInnen, Krankenhäusern und Pflegpersonal. 60 bis 90 Prozent des Gesundheitszustandes und der Lebenserwartung der Menschen sind damit nicht auf die medizinische Versorgung zurückzuführen.

Aus diesem Grund hält man deshalb fest, dass eine effiziente und effektive Einwirkung auf die gesundheitlichen Outcomes im Sinne einer Gesundheitspolitik im weiteren Sinne eine Kooperation mit anderen Politikbereichen bzw. Ministerien erfordern. Die Gesamtpolitik soll gesundheitsfördernd gestaltet werden und zur praktischen Umsetzung sollen das Gesundheitsministerium und der gesamte Gesundheitssektor dafür mit anderen Ministerien und anderen Poltikfeldern zusammenarbeiten – zum Beispiel mit der Sozial-, Bildungs-, Umwelt-, Arbeitsmarkt-, Verkehrs- und/oder Wirtschaftspolitik. Active and Healthy Ageing (Länger gesund leben).

Bis 2020, so das Ziel der Active and Healthy Ageing-Initiative, soll sich die Lebenserwartung für europäische Bürger um zwei Jahre erhöhen – bei guter Gesundheit.


Hintergrund

Hintergrund dieser Initiative ist, dass die europäische Bevölkerung zunehmend altert. Die Zahl der Menschen über 65 Jahre wird sich, so die Vorhersagen, in den nächsten ca. 50 Jahren von 85 Millionen im Jahre auf 151 Millionen im Jahre 2060 verdoppeln. Dass die Menschen länger leben, bedeutet aber noch nicht, dass sie dann auch gesund sind, aktiv und unabhängig.

So betrug die durchschnittliche Lebenserwartung im Jahr 2008 bei Frauen 80.8 und bei Männern 74,3 Jahre (für 2060 wird eine Lebenserwartung bei Frauen von 89 und bei Männern von 84,5 Jahren erwartet), doch von diesen hatten die Frauen nur 61,3 und die Männer 60,1 gesunde Jahre (healthy life years).

Frauen waren demnach 19,5 und Männer 14,2 Lebensjahre krank, leidend und auf Hilfe angewiesen.

„Aktives Altern” wird dabei definiert „bei guter Gesundheit und als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft älter zu werden, ein erfüllteres Berufsleben zu führen, im Alltag unabhängiger und als Bürger engagierter zu sein”. Zu den zentralen Themen der Initiative zählen

  • der Bereich Beschäftigung, wobei ältere Arbeitnehmer bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt
  • bekommen sollen;
  • die „Teilhabe” an der Gesellschaft; d.h. jener Beitrag, den viele ältere Menschen durch Hilfe für andere leisten, soll mehr gewürdigt werden, auch sollen Bedingungen geschaffen werden,
  • welche diese Rolle von älteren Menschen fördern; und
  • ältere Menschen darin zu unterstützen, möglichst lange selbständig zu bleiben.

Ergänzend geht es auch darum, ein positives Bild des Altern zu verankern:

  • von einer Last zu etwas Positivem ,
  • von passiver Pflege zu aktivem Altern und
  • von der Behandlung von Erkrankungen zu gestärkten Körperfunktionen.


Förderung von Gesundheit und längerem Leben: Nichtinfektiöse chronische Erkrankungen (NCD)

Krankheiten wie Diabetes, Krebs oder Herzleiden sind der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge mittlerweile die Ursache für 63 Prozent aller Todesfälle. Als falsch hat sich allerdings die Annahme erwiesen, dass diese so genannten Zivilisationskrankheiten vor allem mit Wohlstand und Reichtum in Zusammenhang stünden, denn etwa 80 Prozent der Menschen, die daran sterben, leben in Ländern mit geringen bis mittleren Einkommen. Der Grund dafür ist, dass der westliche Lebensstil auch in ärmeren Staaten und Schwellenländern immer mehr Nachahmer findet.

Als Ursache dafür sieht die OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development) nicht nur die Zunahme von Couchpotatos (Bewegungsmangel und schlechte Ernährung als Lebensstil der Betroffenen), sondern auch die Politik: Schlechte Stadtplanung ermuntert die Menschen, mit dem Auto zu fahren. Sport- und Spielplätze hingegen sind eher Mangelware…


Aktuelle EU-Gesundheitspolitik und CAM

Mit der Wirtschaftskrise gab es in der EU-Gesundheitspolitik einen Wechsel. Die derzeit alles überragende politische und wirtschaftliche Richtlinie ist „Europe 2020“ und lässt sich kurz zusammengefasst als Antwort auf die Wirtschaftskrise verstehen, die sich seit 2009 in Europa ausgebreitet hat. Das Hauptziel von Europe 2020 ist die Stabilisierung des Euro und die Rekapitalisierung des europäischen Bankenwesens wie auch eine Unterstützung der europäischen Wirtschaft hin zu neuem Wachstum – und alle Bereiche der EU-Politik sind diesem Ziel quasi nachgereiht.

Auf diesem Hintergrund war es fraglich, wohin die EU-Gesundheitspolitik der nächsten Jahre geht und es gab sogar Gerüchte, dass diese quasi eingestellt, zumindest aber zurückgestellt werden soll. Das ist aber nicht geschehen und 2013 hat der DG SANCO eine neue Richtlinie zur Gesundheitspolitik vorgestellt: „Investing in Health”. Diese beruht auf wesentlichen Prinzipien und Zielen von „Together for Health”, wobei insbesondere drei zentrale Aspekte für CAM – und damit für Shiatsu auf europäischer Ebene – von Bedeutung sind:

  • „investment in health can support economic growth by enabling people to remain in good health”;
  • „investing in reducing inequalities in health can increase life expectancy and prevent avoidable deseases”; und
  • „the health status of individuals strongly influences their labour market participation”.

Insbesondere in diesen drei Bereichen können CAM-Methoden wichtig sein, denn:

  • sie sind von Bedeutung für die Bewahrung der Gesundheit (Gesundheitsvorsorge);
  • sie haben Bedeutung für Gesundheitserziehung und -kompetenz; und
  • sie sind insbesondere von Bedeutung bei chronischen Erkrankungen und bekannt dafür, Motivation zu bieten für Lebensstiländerungen.


Quellen und weiterführende Texte

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© Dr. Eduard Tripp, Shiatsu Senior Teacher, Psychotherapeut und Supervisor (www.eduard-tripp.at).

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Der Artikel wurde im September 2016 veröffentlicht und berücksichtigt entsprechend die damaligen Zielsetzungen.