Focusing als Bereicherung für die Shiatsu Praxis 1 (Ute Ursula Burkhardt)

Das „Herzstück“ des Shiatsu ist die achtsame Berührung (Thema des GSD-Kongresses 2006). Mit „Achtsamkeit“ meinen wir:

  • Das wahrnehmende anwesend sein in der Berührung. Wir nennen es auch Aufmerksamkeit.
  • Sowie die innere Haltung uns als BehandlerInnen, den KlientInnen und dem entstehenden Prozess gegenüber.

Aufmerksamkeit und innere Haltung sind gleichsam unser „inneres Handwerkszeug“, die unsere manuellen Fähigkeiten („äußeres Handwerkszeug“) verfeinern und Shiatsu wirksam werden lassen. In uns natürlich angelegt, bedürfen sie doch ständiger Übung. Hierfür sammeln wir uns im Hara. Die meisten von uns praktizieren zusätzlich verwandte Disziplinen, wie QI Gong, Tai Chi, Aikido und Meditation.

Die Erfahrung zeigt, dass es im Kontakt mit Menschen nicht immer einfach ist, achtsam zu sein. Hier kann Supervision und Intervision eine wertvolle Unterstützung geben.

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Die Suche nach der für mich stimmigen Form, mich als Behandlerin in Achtsamkeit zu üben und meine KlientInnen auch verbal in ihren Prozessen begleiten zu können, brachte mich zum Focusing. Focusing, das nicht als neue Methode verstanden werden möchte, schult unsere bewusste  Wahrnehmung des eigenen Erlebensprozesses und das achtsame Begleiten dieses Prozesses bei Anderen.

In Philosophie und Grundhaltung scheint sich Focusing nicht von Shiatsu zu unterscheiden.

Ich möchte hier gerne in die Ansätze des Focusing einführen und hoffe, dass es mir gelingt, dieses in Bezug zu unserer Shiatsu Praxis zu tun.


Was ist Focusing?

Der Begriff “Focusing” wurde von Gene Gendlin, einem Philosophen und Psychologen, geprägt. Als er an der Uni Chicago Tonbänder von Therapieprozessen mit der Frage analysierte, was Therapie gelingen lässt, fand er heraus, dass sich Menschen, bei denen Therapie als erfolgreich erachtet wurde, während ihrer Therapiesitzungen auf ihr inneres Erleben bezogen.

Dem inneren Erleben, den „Felt Senses“, Beachtung zu schenken schien die wesentliche Komponente für Wandlung zu sein.

Gendlin, der sein gesamtes Lebenswerk dem Erforschen von inneren Erlebensprozessen widmete, führte als Erster die Theorie des Erlebens in die Psychotherapie ein. Für seine bahn- brechende Arbeit auf diesem Gebiet wurde er 1970 von der American Psychologist Association geehrt. Sein besonderes Verdienst ist es, den Erlebensprozess so in einzelne Schritte aufgeschlüsselt zu haben, dass er jederzeit erkennbar bleibt. Damit wurde das Begleiten von Prozessen in der Psychotherapie erleichtert und es wurde möglich, Menschen darin anzuleiten, ihre Aufmerksamkeit auf ihr inneres Erleben zu lenken.

Focusing beschreibt eine spezifische Qualität der eigenen Beziehung zum inneren Erlebensfluss. Diese ist geprägt von Absichtslosigkeit, Achtsamkeit, dem Wissen um das Organismische des Lebens und dem Vertrauen in den sich entfaltenden Lebensprozess.

Focusing beschreibt das, was wir im Shiatsu tun. Vor allem dort jedoch, wo der Prozess ins Stocken gerät oder es uns schwer fällt, in achtsamem Kontakt zu sein, kann Focusing eine wertvolle Hilfestellung geben.

Um Gendlin’s Ansatz der Beziehung zum inneren Erleben besser verstehbar werden zu lassen, möchte ich die wichtigsten Begriffe von Gendlin’s Philosophie vorstellen:


Der „von innen gefühlte Körper“

Wenn Gendlin vom „Körper“ und vom „Spüren“ spricht, meint er damit den „von innen gefühlten Körper“. Diesen beschreibt er folgendermaßen:

Der Körper ist mehr als nur Materie in Raum und Zeit.

  • Er entwickelt sich aus sich selbst heraus und ist fähig zur Selbstregulation.
  • Seine Lebensprozesse geschehen nicht zufällig. Sie scheinen inneren Gesetzmäßigkeiten zu folgen, doch ihre Richtung bleibt offen und birgt in sich viele verschiedene Möglichkeiten.
  • Der Körper steht in ständiger Wechselbeziehung mit der Umwelt; er ist die Umwelt.
  • Der Körper enthält alles Wissen des Kosmos, alles über die Situation, in der er sich befindet, alle Informationen über sich selbst und er weiß, was der Lebensprozess als nächstes braucht.
  • Mit dem Spüren des Körpers lauschen wir einem universellen Wissen.

Es scheint so, als ob Gendlin mit dem „von innen gefühlten Körper“ das meint, was wir im Shiatsu als die Energie und das Energiefeld bezeichnen.

Spüren ist immer gegenwärtig und bringt uns in das Jetzt. So bleiben wir bei dem, was sich ereignet und laufen nicht Gefahr, in Vergangenes, Zukünftiges oder Phantasien abzuschweifen.Nehmen wir hier als Beispiel die Berührung unserer Hände im Shiatsu: Achtsame Berührung bringt unsere Aufmerksamkeit hin zum Körper und zu seiner Energie. Es ist uns möglich, das zu beschreiben, was wir jetzt wahrnehmen: Kalt, heiß, stockend, kyo, jitsu. Beschreiben unterstützt uns darin, unsere Aufmerksamkeit dort zu halten und lässt dem Gespürten Raum, sich zu öffnen und zu entfalten. Energie kommt in Fluss. Ordnende Kräfte können wirken.


Die „Fortsetzungsordnung“

Gendlin’s Philosophie von der Fortsetzungsordnung liegt das Verständnis zugrunde, dass sich alles im ständigen Wandel befindet und dem Organismus eine natürliche Tendenz zu Wachstum und Entwicklung innewohnt. Dies schenkt grundsätzliches Vertrauen in den Lebensprozess des Klienten und damit in das, was sich momentan ereignet.

Entscheidend für das „Fortsetzen“ ist das Verweilen mit der Aufmerksamkeit bei dem, was körperlich gespürt wird, egal, ob es angenehm oder unangenehm ist. Die durch dieses Verweilen natürlich entstehenden Schritte der Wandlung weisen immer in eine positive Wachstumsrichtung.


Die Beziehung zum „Felt Sense“ als das Herzstück des Focusing

Gendlin: “Focusing nenne ich die Zeit, in der man mit etwas ist, das man körperlich spürt, ohne zu wissen, was es ist.”[1]Gendlin, E.T., Wiltschko, J.,(1999): Focusing in der Praxis. Eine schulenübergreifende Methode für Psychotherapie und Alltag. Stuttgart, Pfeiffer bei Klett-Cotta, Seite 13.Übernommen aus: Stumm, … weiterlesen Dieses Wahrgenommene wird von Gendlin der „Felt Sense“ genannt.

Der Felt Sense ist eine körperliche Empfindung, ein innerer Bezugspunkt von etwas. Er ist etwas, das in der inneren Atmosphäre entsteht, wenn sich die Aufmerksamkeit auf der Suche nach einer Bedeutung nach innen wendet.

Er ist vage und befindet sich am Rand zwischen dem Bewussten und dem Unbewussten.

Er beinhaltet in sich die ganze Subtilität des Erfragten.

Ich möchte Dich hier zu einem kleinen Experiment einladen:

Vielleicht möchtest Du erst einmal wahrnehmen, wie Du im Moment anwesend bist. Wie ist Dein Sitzen auf dem Stuhl, Sessel,….. Wie nimmst Du jetzt Deinen Körper wahr? Deine Arme, Beine, Dein Hara…Wie ist Dein Atem im Moment? Einatem…Ausatem…Kann Dein Atem Dir eine Hilfe sein, um nach innen zu kommen?…Und wie ist es dort im Moment? Hast Du Raum?…Wie ist Deine innere Stimmung? Lass Dir Zeit, bei Dir anzukommen.

Wenn Du so bei Dir bist, magst Du Dich vielleicht an eine Situation aus Deinen letzten Shiatsu Sitzungen erinnern: Eine Begegnung, die sich nicht stimmig anfühlte? Ein Moment, in dem etwas stockte. Eine Frage, die immer wieder in Behandlungen auftaucht.

Und während Du Deinen Atem spürst, deine Innenräume wahrnimmst und an dieses „Thema“ denkst, magst Du vielleicht nach innen fragen: „Was taucht in mir auf, wenn ich das Ganze dieses Themas auf mich wirken lasse? Was entsteht in meiner inneren Atmosphäre?“

Manchmal mögen Worte, Bilder, Bedeutungen, Emotionen kommen. So lade ich Dich ein, bei diesen zu sein und darauf zu lauschen: Woher kommen sie. Was ist ihre Quelle? Aus welcher Stimmung entstehen sie?

Manchmal jedoch taucht diese Quelle, diese Stimmung wie eine Ahnung in Deinem Inneren auf. Ist es Dir möglich, zu diesem – noch nicht in seiner Bedeutung Gewussten und doch Gespürten – „hallo“ zu sagen und ihm Gesellschaft zu leisten? Und lass Dir hierfür Zeit.

Bevor Du dieses für jetzt beendest, magst Du Dich vielleicht noch fragen: „Was war jetzt das Wichtige? Was ist jetzt in diesem Experiment für mich entstanden?“

Und vielleicht ist es gut für Dich, Dich bei Dir und Deinem Körperwissen für dieses Neue, das entstehen konnte, zu bedanken.

Focusing beschreibt in uns ständig und  natürlich ablaufende Prozesse, unterteilt diese jedoch in „künstliche“ Schritte. Diese zu lernen und um sie zu wissen, kann uns im Üben von Achtsamkeit unterstützen und uns helfen, das zu erkennen, was uns subtil aus dem Erleben und der Achtsamkeit führt. 

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© Ute Ursula Burkhardt (http://www.uub-heilpraxis.de) ist Shiatsu-Lehrerin und Focusingtherapeutin in D-72762 Reutlngen (veröffentlicht in Shiatsu Journal 48, Frühjahr 2007)

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Gendlin, E.T., Wiltschko, J.,(1999): Focusing in der Praxis. Eine schulenübergreifende Methode für Psychotherapie und Alltag. Stuttgart, Pfeiffer bei Klett-Cotta, Seite 13.Übernommen aus: Stumm, G., Wiltschko, J., Keil, W.(2003) Grundbegriffe der Personzentrierten und Focusing orientierten Psychotherapie und Beratung. Leben lernen 155, Pfeiffer bei Klett – Cotta, S.117.