Ernährung im Zyklus der Jahreszeiten (Eduard Tripp)
Frühling ist die Zeit der Expansion, die Zeit der aufsteigenden Lebenskraft (Qi), die Zeit von Entwicklung und Öffnung. Die Yang-Kraft beginnt sich zu entfalten, und das Leben beginnt sich zu regen. Samen keimen, Knospen springen auf. Pflanzen sprießen und wachsen mit der zunehmenden Temperatur und Helligkeit, bilden Blätter und Triebe aus. Die Tage werden länger.
Sommer ist die Zeit der Blüte. Die Entfaltung der Yang-Kraft hat ihren Höhepunkt erreicht. Es ist die Zeit des Reichtums und der Fülle in der Natur, die Zeit der Hitze und der langen Tage. Kraftvoll entfaltet sich die Vegetation, und die Pflanzen erblühen in voller Pracht.
Herbst ist die Zeit der Kondensation und Kontraktion. Es beginnt die gegenläufige Bewegung. Die Pflanzen reifen, die Säfte und Lebenskräfte ziehen sich mehr und mehr ins Innere zurück. Die Bäume beginnen an der Peripherie auszutrocknen, die Blätter verfärben sich und fallen ab. Es ist die Zeit der Ernte. Die Tage werden kürzer, und die Temperatur nimmt ab.
Winter schließlich ist die Zeit des Rückzugs der Lebensenergie ganz ins Innere, ins Zentrum. Es ist die Zeit der großen Kälte, der langen Nächte, der Verdichtung und der Speicherung von Substanz und Lebensenergie. Das Leben schlummert jetzt verborgen in den Samen, Wurzeln und Knollen, während die Schneedecke und der Frost alles in kristalliner Starre verharren lassen – bis im Frühjahr wieder das Leben an die Oberfläche dringt und kraftvoll einen neuen Zyklus der Entfaltung einleitet.
Dieser Kreislauf von Entfaltung und Rückzug, von Expansion und Kontraktion, gleichsam von Einatmung und Ausatmung kennzeichnet die ganze Natur, den ganzen Kosmos. Diesen Zyklus trägt der Mensch – als Teil der Natur und des Kosmos – in sich und diesem Zyklus ist er unterworfen. Ein Leben im Einklang mit der Natur berücksichtigt deshalb nicht zuletzt auch die bioklimatischen Einflüsse und versucht diese durch entsprechende Maßnahmen auszugleichen und zu harmonisieren. Und gerade hier in diesem Bereich ist die Diätetik, die Anpassung der Ernährung an entsprechende energetische Bedingungen von besonderer Bedeutung.
So wie sich im Frühjahr das Leben in der Natur wieder erneuert und expandiert, entfaltet sich in dieser Zeit im menschlichen Organismus das Qi der Leber. Die Leber (im chinesischen Verständnis!) ist es auch, die für den freien Fluss von Qi und Blut in unserem Körper sorgt und für (kreative) Entfaltung auf allen Ebenen. Um diesen Prozess zu unterstützen sollte man im Frühjahr vermehrt süß-warme Speisen und Nahrungsmittel zu sich nehmen, denn der süße Geschmack nährt das Qi und entspannt die Leber. Der saure Geschmack hingegen, der Botschaftsgeschmack der Leber, sollte nur sparsam verwendet werden, da ein Übermaß davon das Qi der Leber über seine zusammenziehende Wirkung blockieren würde. Verwendet werden sollen in der Frühjahrsküche auch frische grüne Kräuter, Keime und Sprossen. Kurze Garzeiten, Dämpfen, Dünsten und Blanchieren verleihen den so zubereiteten Speisen eine lebendige und leichte Qualität.
Rezeptbeispiele für die Frühjahrs-Küche
- Grünkernsuppe
- Dinkelkeimsalat
- Grünkernaufstrich
- Sprossenstrudel
- Orangenkuchen
Der Sommer ist die Zeit der stärksten Expansion nach außen, die Zeit der höchsten Entfaltung des Yang, was im menschlichen Organismus zu einer Verletzung des Yin führen kann. Die Ernährung in den Sommer-Monaten sollte deshalb eine erfrischende, kühlende und letztlich beruhigende Wirkung haben, um das Herz zu schützen. Bevorzugt werden sollen deshalb kühle und erfrischende Speisen. Der bittere Geschmack hat zwar ebenfalls eine Hitze ausleitende Wirkung, im Übermaß jedoch ist er austrocknend und schädigt das Yin noch zusätzlich. Im Sommer haben deshalb auch Rohkost, Salat und Obst ihre größte Bedeutung für unsere gesunde Ernährung.
Rezeptbeispiele für die Sommer-Küche
- Rote Rüben “Indisch”
- Couscoussalat Tabuleh
- Rot-grüner Sommersalat
Mit der kalt-feuchten Witterung des Herbstes nehmen das Yin und die Kälte in der Natur zu und damit auch die Erkältungsanfälligkeit. Scharf-warme Speisen und Gewürze stärken unsere Abwehr, das Wei Qi, und regen die Zirkulation des Qi an. Empfehlenswert sind auch länger gekochte und gebackene Speisen, die das Yang in unserem Körper stärken und damit seine Abwehrkraft in der Wurzel festigen.
Rezeptbeispiele für die Herbst-Küche
- Kürbiscremesuppe
- Wirsingkohlpfanne
- Hirseauflauf mit Früchten
- Birnentorte
Der Winter ist die Zeit der größten Kälte, die Lebensenergie zieht sich ganz ins Innere zurück. Die Ernährung in dieser Jahreszeit soll deshalb vor allem das Yang des Körpers schützen, weshalb ungekochte Speisen, kalte Getränke und thermisch kalte Nahrungsmittel nicht empfehlenswert sind. Bevorzugt werden sollen hingegen süß-warme Speisen, die den Verdauungstrakt stärken und wärmen sowie scharf-warme und scharf-heiße Gewürze wie beispielsweise Ingwer, Pfeffer, Muskat, Curry und Kakau. Schwachen und kälteempfindlichen Menschen wird darüber hinaus empfohlen, während der kalten Jahreszeit etwas Fleisch (insbesondere Huhn, Rind und Lamm) und – lang gekochte – Fleischsuppen zu essen.
Rezeptbeispiele für die Winter-Küche
- Fenchelcremesuppe
- Lamm-Bohnen-Eintopf
- Kürbissalat
- Mandelmakronen
Frühling (Wandlungsphase Holz), Sommer (Wandlungsphase Feuer), Herbst (Wandlungsphase Metall) und Winter (Wandlungsphase Wasser) umfassen nach chinesischer Zeitrechnung jeweils 73 Tage. Der Frühling umfasst 36 Tage vor und 36 Tage nach dem 21. März (Frühjahrs-Tagundnachtgleiche), der Sommer 36 Tage vor und 36 Tage nach dem 21. Juni (Sommer-Sonnenwende), der Herbst 36 Tage vor und 36 Tage nach dem 23. September (Herbst-Tagundnachtgleiche), und der Winter umfasst 36 Tage vor und 36 Tage nach dem 21. Dezember (Winter-Sonnenwende).
Die Übergangszeiten zwischen den einzelnen Jahreszeiten (etwa 4 x 18 Tage) werden als Erde-Zeit (Dojo) bezeichnet und haben ihre Bedeutung in der energetischen Umstellung der Natur und unseres Organismus. Wichtig sind hier vor allem die Übergänge vom Winter zum Frühling (vom großen Yin zum kleinen Yang) und vom Sommer zum Herbst (vom großen Yang zum kleinen Yin). In diesen Übergangszeiten kann die energetische Umstellung des Körpers durch spezielle Kuren (im Frühjahr beispielsweise durch eine Grünkern-Kur) unterstützt werden. Generell empfiehlt sich in diesen Zeiten jedoch ein möglichst harmonische und ausgeglichene Ernährung.
Rezeptbeispiele für die Erde-Zeit-Küche
- Rindsuppe mit Dinkelfrittaten
- Kürbisstrudel
- Hirselaibchen
- Kichererbsensalat
- Kürbismuffins
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© Dr. Eduard Tripp, Shiatsu Senior Teacher, Psychotherapeut und Supervisor (www.eduard-tripp.at).