Ergänzung des Shiatsu durch körpertherapeutische Gesprächsführung (Peter Itin)
Shiatsu kann durch körpertherapeutische Gesprächsführungs-Techniken in der Wirksamkeit gezielt ergänzt, unterstützt und verstärkt werden. Hier sind nicht Formen der Befunderhebung oder Standortbestimmungen gemeint, sondern Formen der Gesprächsführung, welche die körpertherapeutische Arbeit ergänzen und vertiefen. Es handelt sich um Methoden, welche die im Körper gespeicherten Erfahrungen und Informationen zugänglich machen. Mittels geeigneter Interventionen können diese erfahren und zu Ausdruck gebracht werden. Körpertherapeutische Gesprächsführungstechniken führen die Klientinnen zu präziser Selbstwahrnehmung und zur Selbstermächtigung hin. Sie basieren in der Regel auf der Focusing-Technik von Gendlin und erweitern oder spezifizieren diese. Typische Beispiele sind die Core Process-Arbeit von Maura Sills (CP) und Somatic Experience (SE), die Trauma-Heilungs-Arbeit von Peter Levine. Die beschriebenen Fallbeispiele wirken beim Lesen einfach und logisch. Damit die Methoden zum Tragen kommen, sind jedoch ganz präzise Formen des Settings, der Gesprächsführung und der Formulierungsweise nötig. Diese Techniken müssen in einer intensiven Schulung erlernt werden. Erfahrung und Intuition müssen mithilfe von Supervision und Übungsgruppen entwickelt werden.
Mit der Weisheit des Körpers sprechen: Wege und Ziele
Focusing: Prof. E. Gendlin (Psychotherapeut und Philosoph in New York) entwickelte eine Methode der Selbsterforschung, die alleine oder in therapeutischer Begleitung vorgenommen wird. Die Aufmerksamkeit wird in das Körperinnere geführt. Zu einem körperlichen Problem oder einer emotional schwierigen Situation treten zunächst diffuse, unklare, zunächst schwer zu beschreibende Körperempfindungen auf, die Gendlin „felt sense“ nennt: gespürte Wahrnehmung. Die Empfindungen werden verbal ausgedrückt, und ihr Bezug zum Problem genauer erforscht. Das wesentliche Ziel der Focusing-Arbeit besteht darin, neue Zusammenhänge und Bedeutungen in Bezug auf gezielte Fragen zu erfahren. Die Erkenntnisse zeigen sich intuitiv und ganzheitlich, mental und emotional („aha, damit hängt das zusammen … jetzt verstehe ich das endlich … usw.“). Sie drücken sich gleichzeitig als körperliche Entspannung und Erleichterung aus und zeigen sich z.B. in Form eines tiefen Durchatmens. Dieses ganzheitliche Erkennen und Verstehen bezeichnet Gendlin als „shift“ (als Wechsel, „Quanten-Sprung“).
Core Process (Kern-Prozess, CP): In jedem Menschen gibt es einen innersten Kern, der die Eigenschaften von absoluter Bewusstheit und Weisheit, von Grenzenlosigkeit und von liebevoller, mitfühlender Verbundenheit mit der Welt hat. Unter den Bedingungen des Alltags handeln wir: es zeigen sich z.B. Reaktionen der Verteidigung, der Abgrenzung und Abspaltung. Die konkreten Gedanken, Gefühle und Handlungen werden von früheren Erfahrungen und Musterbildungen geprägt, welche in einer „mittleren Schicht“ angesiedelt sind. Zwischen den drei verschiedenen Schichten – der äußeren Schicht der konkreten Handlungen und Reaktionen, der mittleren Schicht der Musterprägung und dem innersten Kern besteht ein andauernder Austauschprozess. Core Process von Maura Sills ist eine meditative Praxis der Achtsamkeit. Ziel ist die Präsenz für alle aufkommenden Erfahrungen des Körpers und das Gewahrsein der Empfindungen, Bilder, Gefühle und Gedanken. Die Qualitäten des innersten Kerns durchdringen die unbearbeiteten, abgespaltenen Erfahrungen und Teile. Ihr Gewahr-Werden ist Basis für die ganzheitliche Heilung von seelischen Wunden und für persönliche Entwicklung. Der Prozess verläuft offen und unstrukturiert. Es gilt, mit allem zu sein, so wie es sich zeigt, selbst dem „Unaushaltbaren“. Die Therapeutin hat die Rolle, den Raum zu halten und eine mitfühlende Zuhörerin zu sein.
Somatic Experience (Somatisches Erleben, SE): Auch Somatic Experience arbeitet mit dem bewussten Wahrnehmen von auftauchenden Körperempfindungen, Bildern, autonomen Körperbewegungen (wie Abwehrhaltungen, Mudras) und kategorischen Gefühlen (wie Wut, Angst usw.). Somatic Experience als Methode zur Auflösung posttraumatischer Belastungsstörungen hat spezifische Rahmenbedingungen, wie der Prozess verläuft. Die Klientin beginnt mit der Wahrnehmung von positiven Körper-Wahrnehmungen, pendelt zu schwierigen Erfahrungen, geht zurück zu positiven und anschließend in eine Phase der Orientierung und Integration im Hier und Jetzt. Die Therapeutin greift so wenig als nötig aber so stark als nötig ein. Prozesse werden in Gang gesetzt und Retraumatisierungen vermieden. Die therapeutischen Interventionen wirken dosierend, intensivierend oder bremsend. Überkomprimierte Energie kann sich entladen (Gähnen, Schütteln, Tränen usw.). Abgespaltenes kann wieder verbunden und in einen Bedeutungszusammenhang gebracht werden.
Fallbeispiel Focusing: Schmerzen im oberen Rücken
Frau A. (Mitte Dreißig, Mutter) kam wegen seit Jahren bestehenden Verspannungs-Schmerzen im oberen Rücken, Nacken- und Schulterbereich zu mir ins Shiatsu. Die ersten Behandlungen hatten ihr jeweils mehrere Tage Schmerzfreiheit gebracht. Anschließend kamen die Schmerzen jedoch wieder zurück bzw. bildeten sich von neuem, d.h. das tiefere seelische Muster, das der Verspannung zugrunde liegt, wollte sich nicht so rasch ändern. Mittels körpertherapeutischer Gesprächsführung wollte ich die Klientin darin unterstützen, das dem Schmerz zugrunde liegende Muster zu erkunden, um es besser zu verstehen und eine neue Sichtweise und einen anderen Zugang dazu zu finden. Das nachfolgende Sitzungsprotokoll wurde für die bessere Lesbarkeit und Übersicht leicht gekürzt.
T: Mache es dir auf dem Stuhl bequem. (Pause) Fühle das Gewicht des Körpers, die Auflage auf dem Stuhl, den Kontakt der Füße mit der Erde. (Pause) Kannst du mir sagen, welcher Ort im Körper sich im Moment besonders gut anfühlt?
K: Die Füße. Aber eigentlich ist es im ganzen unteren Körper gut.
T: Ich möchte gerne einen Moment bei den Füßen bleiben. Was genau spürst du dort?
K: Ich spüre den Kontakt zur Erde
T: Und was spürst Du noch?
K: Wärme, ein wohliges Kribbeln
T: Nimm dir Zeit, das wohlige Kribbeln zu spüren. (Pause)
K: Es dehnt sich aus, nach oben
T: Bleib dabei.
K: Jetzt spüre ich die Verspannungen und Schmerzen in den Schultern und im Nacken.
T: OK: Lass uns nun zu dieser Zone des Körpers gehen und zuerst die Grenze zwischen den beiden Zonen anschauen. Wenn Du von unten her dein wohliges Kribbeln im Körper spürst, bis wohin ist es gut?
K: Bis zum oberen Rücken. Dann in den Schultern ist der Schmerz.
T: Gibt es eine klare Trennung dazwischen?
K: Ja.
T: Wie ist sie. Hast du vielleicht ein Bild dazu?
K: Sie ist wie eine Stange.
T: Eine Stange (Pause). Wie spürt sich die Stange an?
K: Hart, metallisch.
T: Welche Form hat sie?
K: rund, wie eine Turnstange
T: Wie ist die Grenze zwischen der Stange und dem unteren Teil des Körpers, der sich gut anfühlt?
K: Es ist, als ob es ein Kampf wäre zwischen dem Warmen, guten, und dem Harten, das weh tut. Es ist nicht das Harte, das weh tut. Es ist der Kampf zwischen den Beiden, der weh tut. Die Grenze zwischen den beiden Zonen brennt wie bei einer Entzündung (tiefes Durchatmen, Pause).
T: Lass uns diesen Kampf etwas genauer anschauen. Stell Dir vor, die Stange wäre ein Lebewesen, das sprechen kann. Frage sie doch mal, weshalb sie da ist und so hart ist. Was würde sie Dir antworten?
K: (Sofortig) Ich schütze Dich.
T: Wovor?
K: Vor Angst.
T: Vor welcher Angst? Angst wovor?
K: Dass mir alles über den Kopf wächst, Kinder, Ausbildung, Haushalt, alles zusammen.
T: (wiederholt) Sie schützt dich vor der Angst, dass dir alles über den Kopf wächst.
K: Ja (tiefes Durchatmen, Stille)
T: Gehen wir für einen Moment wieder zu jener Zone im Körper, in der es dir wohl ist. Was würde sie der Stange antworten wollen?
K: Dich braucht es gar nicht. Wenn ich innerlich stark bin, dann braucht es dich nicht.
T: Und was antwortet die Stange darauf?
K: (langes Schweigen) Es interessiert sie nicht. Sie reagiert nicht. (Pause)
T: Weshalb interessiert es sie nicht?
K: Sie kann gar nicht mehr anders. Es ist so uralt. Es ist wie verknöchert und kann sich nicht bewegen.
T: glaubt die Stange überhaupt daran, dass das Weiche stark genug ist, dass es sie gar nicht bräuchte?
K: (Pause) Nein. (Pause)
T: Was würde geschehen, wenn die Stange verschwinden würde?
K: (Pause, dann kichert sie)
T: Du kicherst?
K: Es sieht so komisch aus.
T: Was?
K: Als ob der Körper nur noch ein Fleischklumpen wäre. Alles war an der Stange aufgehängt. Ohne sie fällt der Körper in sich zusammen. (man sieht auch äußerlich, wie ihr Körper energetisch in sich zusammensinkt)
T: Wie fühlt sich das an, in einem Fleischklumpen zu sein?
K: Schwer, ohne Kraft, ich könnte mich im Moment nicht bewegen, ich bin wie festgeklebt.
T: Lass uns wieder zu jenem Teil des Körpers wechseln, der sich wohlig anfühlt. Wo ist das Wohlige im Moment besonders gut zu spüren?
K: in den Füßen. Es ist viel Kraft in den Füßen.
T: Dieser Teil des Körpers hat vorhin gesagt, dass er die Stange gar nicht braucht.
K: Ja. Ich spüre, wie sich eine kraftvolle Energie von den Füßen her nach oben bewegt. Es ist die Kraft, die von der Erde kommt. Sie ist sehr stark, wow.. (man sieht von Außen, wie sich der Körper innerlich wie von alleine aufrichtet und mit Lebenskraft füllt).
T: Lass Dir Zeit, bleib bei der Kraft und ihrer Bewegung.
K: Sie richtet mich von unten her auf.
T: (nach einer Zeitspanne) Braucht es die Stange noch?
K: Ja, schon. Nein. Doch schon noch. Jetzt sind beide da, die Kraft von unten und die Stange, aber es ist kein Kampf mehr zwischen ihnen, es brennt nicht an der Grenze, es tut nicht weh.
T: Jetzt sind beide da.
K: Ja. Sie unterstützen sich gegenseitig.
T: Die Stange, sie muss nicht mehr weg?
K: Nein, die innere Kraft und die Stange arbeiten zusammen.
T: Sie arbeiten zusammen.
K: Ja, es braucht beide.
K: (Tiefes Durchatmen und Entspannen).
T: Spüre dem nach. Es braucht beide.
K: Ja, so ist es gut.
Die Session war damit abgeschlossen. Sie hatte insgesamt rund eine halbe Stunde gedauert. In der anschließenden Nachbesprechung sagte die Klientin, dass sie sich nun gleichzeitig gesamthaft entspannt, geerdet und beweglich fühle, ganz anders als in der Situation, in der sie sich als „Fleischklumpen“ empfunden hatte. Sie fühle sich im Schulterbereich nun sehr leicht und weit, ähnlich wie nach einer Shiatsu-Behandlung.
Die Stange, die der Klientin Kontrolle und Halt gibt, stellt eigentlich eine Kraft und Stärke da. Sie ermöglicht, dass die Klientin anspruchsvolle Situationen zu „halten“ vermag. Das „Gerüst“ erhielt jedoch zuwenig Unterstützung durch die Kraft der Erde und wurde überbelastet, was sich in Form von Schmerzen äußerte. Die Klientin hatte jedoch mit der Stange gekämpft und über dem Schmerz gehadert, den sie weghaben wollte. Sie hatte ihrer Stange weder genügend Dank und Referenz für die geleistete Arbeit erwiesen, noch deren Botschaft verstanden, dass diese überlastet sei und Unterstützung brauche. Die sehr einprägsamen Bilder dieser Session brachten die Klientin dazu, sich mit ihrer Stange positiv zu verbinden. Ich habe ihr am Ende der Sitzung zwei einfache Chi Gong-Übungen zum Thema Erden gezeigt, die sie regelmäßig praktizieren solle.
In der darauf folgenden Stunde fragte ich sie nach Ihrem Befinden, und wie es der Stange nun gehe. „Stange? Welche Stange?“, fragte sie scherzend. Der Schulterschmerz war weitgehend verschwunden. Gleichzeitig hatte sich ein „Kloß“ im Hals gelöst, der ihr Wohlbefinden ebenfalls stark gestört hatte, den sie bisher aber noch gar nicht erwähnt hatte. Die Klientin hatte sich seit der Behandlung immer wieder auf die Füße und das „Geerdet sein“ ausgerichtet, was ihr Kraft und Zuversicht gab. Gleichzeitig wurde ihr bewusst, auf welche Weise sie den Alltag bewältigt, und dass sie sich zuwenig Raum für sich selbst eingesteht. Entsprechend hatte sie seit der letzten Behandlung auf viele Anforderungen aggressiv reagiert. Es handelte sich um eine Überreaktion, um sich selbst und die eigenen Grenzen zu schützen.
Die Focusing-Session hatte somit dazu beigetragen, die Selbstwahrnehmung zu schulen und die Eigenkompetenz zu erhöhen. Die anschließenden Shiatsu-Sitzungen und Gespräche hatten das Ziel, diesen Weg zur selbstverantwortlichen, nachhaltigen Änderung der Verhaltensmuster zu entwickeln und zu stabilisieren.
Fallbeispiel Somatic Experience: Schleudertrauma nach Autounfall
Klientin B. (18, Schülerin) hatte 8 Wochen vor der Sitzung einen Autounfall. Sie erzählte zunächst in groben Zügen, dass sie mit dem Fahrrad auf einer Kreuzung von einem Auto angefahren worden sei. Der Autofahrer sei von rechts aus einer Stoppstrasse hinausgefahren und habe sie übersehen. Sie sei von der Kühlerhaube erfasst worden. Sie sei mit leichten Schürfungen davongekommen, leide seither jedoch unter Kopfschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten, Schwindelanfällen und raschem Ermüden. Sie sei nicht mehr in der Lage, dem Schulunterricht angemessen zu folgen und die Hausaufgaben zu bewältigen. Sie hätte seither Angst vor dem Fahrradfahren und einen steifen Nacken mit Bewegungseinschränkungen beim Drehen nach rechts.
T: Sitzt Du bequem?
K: Ja.
T: Spürst Du den Kontakt des Gesäßes mit dem Stuhl, die Füße mit dem Boden.
K: Ja.
T: Magst du mir erzählen, wie Du am Tag des Unfalls aufgestanden bist? Wie hast Du dich gefühlt? Gab es etwas Spezielles?
K: Es war ein normaler Schultag. Am Morgen stehe ich nicht so gut auf und bin dann immer etwas pressiert. Es war nichts Spezielles.
T: Stell dir die Situation vor, wie Du aufs Velo steigst, wie Du zur Schule fährst, und wie es Dir dabei geht.
K: Gut. Ich muss etwas pressieren, denke auch an eine Prüfung, die wir haben werden, aber es ist nichts speziell anders als sonst.
T: Und dann näherst du dich dieser Kreuzung.
K: Ja. Alles scheint normal. Ich sehe die Kreuzung. Rechts die Stoppstrasse. Das weiße Auto.
T: Was ist Dein erster Eindruck, wie Du das Auto siehst.
K: Ich bin einen Moment verunsichert, ob es mein früherer Freund sei. Der hat dasselbe Fahrzeug.
T: Das Fahrzeug steht. Du siehst nichts Gefährliches darin.
K: Ja.
T: Bleib einen Moment bei dieser Empfindung, dass es nicht gefährlich ist und lass uns hier eine kleine Pause machen (Wasser trinken, allg. Gespräch)
T: Jetzt möchte ich zum anderen Ende der Geschichte, dass wir den ganzen Ablauf des Unfalls wie von den beiden Enden her immer mehr einkreisen, aber nur soviel, wie Du magst. Wann hast du dich nach dem Unfall zum ersten mal wieder sicher gefühlt.
K: Als mein Vater an den Unfallort kam.
T: Sie haben ihn benachrichtigt und geholt.
K: Ja. Die Polizei wollte weis der Teufel was alles wissen, dabei war das im Moment gar nicht wichtig und alles tat mir weh. Sie haben ihn geholt.
T: Wie war es als er kam. Versuche Dich an den Moment zu erinnern.
K: beginnt zu weinen. (Der ganze Körper schüttelt sich).
T: Stell Dir die Situation wieder vor. Spürst Du die Erleichterung in deinem Körper, dass Dein Vater da ist.
K: Kopfnicken.
T: Da war die Polizei. Wer war noch da nach dem Unfall.
K: Leute, die Zuschauten.
T: Sanität?
K: Nein. Ich war ja nicht verletzt.
T: Und der Fahrer des weißen Autos?
K: Ja. Er war sehr nett. Es tat ihm furchtbar leid. Er war völlig durcheinander. Er tat mir richtig leid.
T: Hat er sich hinterher fair benommen.
K: Ja, was die Versicherungsfragen betrifft schon, aber ich habe dann nichts mehr von ihm gehört.
T: Und Du hattest keine Wut auf ihn.
K: Zuerst nicht. Später dann schon.
T: Und jetzt?
K: Er ist so ein Idiot. Wegen ihm kann ich in der Schule nicht mehr folgen. Ich war eh knapp und muss nun vielleicht ein Jahr wiederholen. Er hätte sich zumindest nochmals melden können und sich nochmals entschuldigen.
T: Dann hättest Du ihm eher verzeihen können?
K. Ja. Aber er hatte wohl ein schlechtes Gewissen. Er ist ein Feigling, der einem eigentlich Leid tun muss.
T: Bleib einen Moment bei diesem Gefühl dem Autofahrer gegenüber, und lass Dir Zeit, um auch wieder aus diesem Teil des Geschehens auszusteigen.
(Pause, allg. Gespräch)
T: Magst Du dich wieder dem vorderen Teil der Geschichte zuwenden?
K: Ja.
T: Du fährst auf die Kreuzung zu, Du siehst das weiße Auto an der Stoppstrasse stehen, Du bist einen Moment verwirrt, ob es sich um Deinen früheren Freund handelt, und dann?
K: Es fährt los, einfach so.
T: Was geht in Deinem Körper vor?
K: Ich denke, ich glaube, ich spinn.
T: Und
K: Der Schreck durchfährt mich.
T: Wie spürt sich der Schreck im Körper an?
K: Ich halte den Atem an, hier oben (zeigt auf Brustkorb). Ich lehne mit dem Velo nach links, wahrscheinlich um auszuweichen, ganz automatisch.
T: Mach diese Bewegung mit dem Körper und spüre Deine Empfindungen dabei. Ganz langsam.
K: (macht die Bewegung in Zeitlupe, bis sie plötzlich zum Stillstand kommt).
T: und was ist jetzt?
K: Es geht nicht weiter. Ich spüre Schmerzen am ganzen Körper.
T: Wo genau?
K: In der linken Schulter, im Gesäß. Alles tut weh.
T: Wie ist der Schmerz?
K: Beginnt wieder zu weinen, der ganze Körper schüttelt sich erneut.
T: (reicht ihr ein Taschentuch, lässt ihr Zeit, sich zu erholen) Du magst dich an den Aufprall nicht erinnern, an den Schlag?
K: Nein, ich erinnere mich erst wieder, wie ich am Boden liege.
T: Dies ist sehr häufig so bei Unfällen, weil diese gefährliche, lebensbedrohliche Situation für den Organismus sonst nicht aushaltbar ist. Was ist Dein erster Gedanke, wie Du am Boden liegst?
K: Ich habe überlebt.
T: Ja, Du hast überlebt. Bitte wiederhole diesen Satz.
K: Ich habe überlebt
T: Noch ein paar Mal
K: Ich habe überlebt. Ich habe überlebt. (Pause.) Ja, ich habe überlebt (Tränen, Schütteln).
T: Lass uns eine Pause machen.
… usw…
Wir hatten in zwei Sessions von je einer Stunde den Unfall so detailliert wie möglich in allen Sequenzen durchgearbeitet, wobei sich die überkoppelte, überkomprimierte Energie in vielen Entladungen (Schütteln des Körpers während beinahe der Hälfte der Sitzungszeit, Weinen, Gähnen) lösen konnte. Danach waren die typischen Schleudertrauma-Symptome zu 90% verschwunden. Die restlichen 10% hatten sich im Verlauf der nächsten Wochen ohne weitere Somatic Experience-Sitzung sondern mithilfe von Shiatsu wieder geregelt. Shiatsu hat die vollständige energetische Selbstregulierung und die Selbstheilung des Körpers beschleunigt. Nach insgesamt nur fünf Sitzungen war das Leben der Klientin wieder voll „in die normalen Bahnen“ zurückgekehrt, was vorher ein Ding der Unmöglichkeit erschien. Die Klientin war endgültig befreit von ihren Kopfschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten, von frühzeitigem Ermüden und Schwindel.
Einbettung von Focusing and Somatic Experience in das Setting des Shiatsu
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, diese Art der Gesprächsführung in das Setting zu integrieren. Der Einsatz von Focusing, Somatic Experiece und/oder Shiatsu ist sehr unterschiedlich. Es hängt zunächst einmal davon ab, mit welcher Vorstellung sich KlientInnen melden. Gewisse haben klar die Absicht und Vorstellung, ins Shiatsu zu kommen, andere melden sich zur Traumatherapie an. Bei letzteren beginne ich klar auf der Gesprächsbasis. Es kann jedoch durchaus sein, dass das Gespräch um Shiatsu-Sequenzen ergänzt oder phasenweise gar ersetzt wird. Bei den Shiatsu-Klientinnen hängt der gewählte Modus davon ab, was der Therapiezweck ist (Beschwerden lindern, Transformationsphasen begleiten, Muster nachhaltig ändern, traumatisch gebundene Energien deblockieren u.a.). Zudem hängt der Einsatz davon ab, in welcher Therapie-Phase sich die KlientInnen befinden, wie stabil sie sich fühlen, und welche Affinität sie selbst haben (mehr mittels Berührung oder Selbsterforschung arbeiten). Die Vielfalt der Kriterien und ihre Kombinationsmöglichkeiten zeigen auf, dass es nahezu unmöglich ist, ein System zu entwickeln – vieles entwickelt sich spontan-intuitiv und im Dialog mit der Klientin, dem Klienten.
Folgende Kombinationen sind bei Shiatsu-KlientInnen innerhalb einer Shiatsu-Sitzung möglich:
- Im einleitenden Gespräch zur Befindlichkeit wird vor der Shiatsu-Behandlung eine kurze Focusing-Sequenz eingebaut. Ziel davon ist in der Regel, die Kompetenz zur ganzheitlichen Selbstwahrnehmung zu fördern (z.B. Wo genau ist ihr Kopfschmerz, wo ist die Grenze? Wie genau spürt er sich an, z.B. stechend, pulsierend usw.? Hat er eine Richtung? Wo ist die wohlste Stelle in ihrem Körper? usw.).
- Während der Shiatsu-Behandlung selbst werden kurze Focusing-Sequenzen eingebaut, z.B. nach der Behandlung einer Beinseite (wie spürt sich der Unterschied zum anderen Bein jetzt an? usw.). Auch hier steht das Ziel der Selbstwahrnehmungs-Schulung im Vordergrund.
- Nach der kurzen Focusing-Sequenz im einleitenden Gespräch wird eine Weiterführung und Vertiefung mittels Focusing/Somatic Experience beschlossen. Der Teil der reinen Shiatsu-Behandlung wird entsprechend nur kurz, abrundend, integrierend eingesetzt, oder es wird gegebenenfalls vollständig darauf verzichtet. Dies kann z.B. vorkommen bei sehr stark traumatisierten Personen, die weder zulange Somatic Experience noch zu lange Shiatsu „aushalten“, oder wenn ein Trauma aktuell eine sehr hohe Aktivierung erfährt. Erfahrungsgemäss ist diese Form auch geeignet bei Personen mit psychosomatischen und chronischen Mustern, die sich nur schwer ändern wollen.
- Zudem ist es möglich, alternierend reine Shiatsu- oder Focusing-/Somatic Experience-Sitzungen einzusetzen. Eine Serie von Shiatsu-Sitzungen kann eine wirksame Vorbereitung für die anschliessende Bearbeitung von Traumata mittels Somatic Experience sein. Umgekehrt kann auch eine Sequenz von Somatic Experience-Sitzungen eine gute Vorbereitung für die Weiterführung der Therapie mittels Shiatsu sein. Alternierende Formen der Kombination von Shiatsu und Focusing/Somatic Experience ergeben sich insbesondere bei akuten, posttraumatischen Belastungsstörungen, in tiefen Lebenskrisen, oder bei Problemen mit zu intensivem Körperkontakt. Die geeignete Form wird mit der Klientin besprochen und gemeinsam, individuell und situativ beschlossen.
Literatur
- Eugen T. Gendlin: Focusing. Rowohlt Verlag, 1998
- Weiser Cornell, Ann: Focusing – Der Stimme des Körpers folgen, Rowohlt Verlag, 1997
- Peter A. Levine, Trauma-Heilung, Synthesis Verlag, 1997
- Diane Poole Heller, Laurence Heller: Crash Kurs zur Selbsthilfe nach Verkehrsunfällen, Synthesis Verlag, 2001
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© Peter Itin, Shiatsu-Therapeut und Kursleiter in Basel und Muralto; Ausbildung in Traumaheilung bei Peter Levine (Somatic Experience); Tai Chi-/Chi Gong-Lehrer im Chen Stil