Die Studie „The Effects and Experience of Shiatsu“ aus berufspolitischer Sicht (Eduard Tripp)

Seit Dezember 2007 liegt der Abschlussbericht der Studie „The Effects and Experience of Shiatsu: A Cross-European Study“ vor. In Auftrag gegeben wurde die Studie von der European Shiatsu Federation (ESF) und durchgeführt von Prof. Andrew Long (Universität Leeds). Offiziell präsentiert wurde sie im September 2008 in Österreich im Beisein von Seamus Connolly, dem Projektkoordinator der European Shiatsu Federation. Anlass, sich Gedanken zu machen über die berufspolitsche Bedeutung der erhobenen Daten und auch die Grenzen ihrer Aussagekraft.

Von den insgesamt 948 TeilnehmerInnen an der Studie haben 633 alle Fragebögen ausgefüllt und wurden deshalb in die Auswertung aufgenommen. In drei Ländern (Großbritannien, Spanien und Österreich) wurden für die Studie die von ihnen gemachten Erfahrungen und subjektiv wahrgenommenen Veränderungen über einen Zeitraum von etwa sechs Monaten in insgesamt vier Fragebögen erfasst. Der erste Fragebogen wurde zu Beginn der Shiatsu-Behandlungen ausgefüllt, der zweite etwa nach vier bis sechs Tagen, der dritte nach etwa drei Monaten und der vierte nach etwa sechs Monaten. Die daraus gewonnenen Daten gehen damit in ihrer Aussagekraft weit über Einzelberichte hinaus, wie wir sie als Shiatsu-Praktizierende erfahren.

Erstmals liegen mit der Studie Daten vor, die Shiatsu-Erfahrungen gleichsam auf einer subjektiven Ebene objektivieren und zeigen wie positiv die Wirkungen von Shiatsu wahrgenommen werden und wie sicher Shiatsu in seiner Anwendung ist. So berichten die TeilnehmerInnen der Studie beispielsweise über signifikante (d.h. statistisch deutlich über den Zufall hinausgehende) Besserungen ihrer Beschwerden, über eine allgemeine Verbesserung ihrer Gesundheit und über einen besseren Umgang mit den Herausforderungen des Lebens.


Die Erwartungen der Shiatsu-Empfangenden

Die wichtigsten Erwartungen der Shiatsu-Empfangenden waren Energie-Arbeit, die Stärkung ihres Selbstwertes, Entspannung und Stressreduktion, Beschwerdefreiheit, Linderung von spezifischen Symptomen, emotionale Hilfe und Unterstützung sowie die Stärkung der Bewusstheit von Körper und Geist.

Betrachtet man die Erwartungen, die von den Studien-TeilnehmerInnen angegeben werden, aus der berufsrechtlichen Seite, so sollten insbesondere die Wünsche nach Beschwerdefreiheit und Linderung spezifischer Symptome Beachtung finden. Hier ist es die Aufgabe und Verpflichtung der Shiatsu-PraktikerIn, ihren KlientInnen klar darzulegen, dass Shiatsu ein gewerblicher Beruf ist. Seine gesunderhaltende und gesundheitsfördernde Wirkung erlangt Shiatsu nicht dadurch, dass spezifische Symptome oder Erkrankungen „behandelt“ oder „therapiert“ werden, sondern dass im Shiatsu der Mensch im Zentrum steht, der – im Sinne des Konzepts der Salutogenese von Aaron Antonovsky – mehr oder weniger gesund bzw. mehr oder weniger krank ist. Nicht Krankheiten werden behandelt, vielmehr – und genau das sollte deutlich vermittelt werden (auch um nicht in den Verdacht von Kurpfuscherei zu kommen) – werden Gesundheit gefördert und Ressourcen gestärkt. In der Shiatsu-Theorie wird dies mit Stärkung der Selbstheilungskräfte des Organismus beschrieben. Ähnliches gilt für den Aspekt der emotionalen Hilfe und Unterstützung, denn auch diese ist im engen Sinne den Gesundheitsberufen bzw. in einem gewissen Ausmaß dem Gewerbe der Lebens- und Sozialberatung vorbehalten.

Um eine optimale Berufsvorbereitung und eine optimale Betreuung der Shiatsu-Empfangenden zu gewährleisten, ist auch das Wissen um die Grenzen der eigenen Kompetenz von großer Bedeutung. Die Zusammenarbeit mit und gegebenenfalls auch die Verweisung an Fachleute (Ärzte, Psychotherapeuten …) ist deshalb ein wesentlicher Aspekt in der professionellen Anwendung von Shiatsu.


Die Beziehung zwischen KlientIn und PraktikerIn

Die Beziehung zwischen KlientIn und PraktikerIn hat große Bedeutung und wird generell als positiv beschrieben. Vor allem, dass ihnen zugehört wird und dass sie akzeptiert werden, sind wesentliche Faktoren für KlientInnen in der Shiatsu-Begegnung. Hier bestätigt sich die große Bedeutung der Entwicklung von Kompetenz in der (partnerschaftlichen) Gesprächsführung bis hin zur Entwicklung von menschlicher Kompetenz, Achtung und Wertschätzung – und unterstreicht die zentrale Relevanz dieser Aspekte in der Aus- und Weiterbildung.


Die unmittelbaren Wirkungen von Shiatsu

Wirkungen, die sich unmittelbar nach den Shiatsu-Sitzungen zeigen, sind das Erleben der KlientInnen, dass sich energetische Blockaden gelöst haben, dass sie sich entspannter, ruhiger und balancierter oder aber energetisierter fühlen wie auch fähiger mit den Anforderungen des Lebens gut umzugehen.


Die längerfristigen Wirkungen von Shiatsu

Bezogen auf die Beschwerden, mit denen die Studien-TeilnehmerInnen zu den Shiatsu-Sitzungen kommen (und von denen sie mehrheitlich hoffen, dass sie sich mit den Behandlungen bessern), zeigen sich deutliche (signifikante) Verbesserungen. Diese treten vor allem bei Beschwerden auf, die mit Spannung und Stress verbunden sind, aber auch bei muskulären Problemen und Beschwerden in Gelenken und Körperbereichen (z.B. Rückenprobleme oder Haltungsbeschwerden).

Generell berichteten die Shiatsu-Empfangenden über eine Verbesserung ihrer Gesundheit, über mehr Vertrauen in ihre Gesundheit, über ein besseres Verständnis für sich und ihren Körper sowie über einen Reifungsprozess, der es ihnen erleichtert, mit schwierigen Lebenssituationen besser umzugehen.

Etwa vier Fünftel der Studien-TeilnehmerInnen haben – auf Empfehlung der Shiatsu-PraktikerInnen als auch auf Grund der Erfahrungen mit den Shiatsu-Behandlungen –Veränderungen in ihrem Lebensstil vorgenommen. Diese Veränderungen betreffen mehr Entspannung im Alltagsleben, die Durchführung von Körperübungen, die Anwendung von Ernährungsempfehlungen u.a.m.

Ungefähr ein Drittel der Shiatsu-Empfangenden hat zudem, vor allem durch die Behandlungen, Veränderungen erfahren und in ihr Leben integriert, die ihren generellen Lebensstil betreffen, ihre Bewusstheit für Körper und Geist wie auch das Vertrauen zu sich und zur Welt – und damit verbunden ist eine größere Fähigkeit „sich fallen zu lassen“ oder „loszulassen“.

Verändert hat sich bei vielen TeilnehmerInnen der Studie desweiteren ihr Verhalten in Bezug auf Gesundheitsvorsorge und die Behandlung von vorhandenen Beschwerden. Es kam, so die Angaben der Shiatsu-Empfangenden, zu einem Rückgang der Anwendung konventioneller Behandlungen und konventioneller Medizin und zugleich zu einer verstärkten Inanspruchnahme von komplementär-medizinischen Behandlungsmethoden.

Hier zeigt sich, und das ist erfreulich wie auch mit unseren Erfahrungen als Shiatsu-Praktizierende übereinstimmend, der erwartete positive Effekt von Shiatsu. Aber auch Empfehlungen und Ratschläge haben, so zeigt die Studie, einen großen Einfluss auf die Shiatsu-Empfangenden und damit, so lässt sich vermuten, wohl auch auf die Effektivität der Shiatsu-Behandlungen. Aus diesem Grund sollte der „Kultur der Beratung“ große Beachtung geschenkt werden. Ratschläge und Empfehlungen, so die Erfahrung in den beratenden Berufen, entfalten nämlich dann ihre größte Wirksamkeit, wenn sie auf eine entsprechende Bereitschaft treffen, sie aufzunehmen und umzusetzen. Das aber erfordert (neben entsprechender Ausbildung) Einfühlungsvermögen, Fingerspitzengefühl und Geduld, um KlientInnen nicht mit Ratschlägen zu überfallen und zu bedrängen. Den idealen Zeitpunkt abzuwarten, an dem die KlientIn bereit ist für Veränderung und Eigeninitiative, ist wichtig. Zuallererst braucht es ein Problembewusstsein auf Seiten der KlientIn (Einsicht), dass überhaupt ein Problem vorliegt, dann die Absicht (Intention), etwas verändern zu wollen. Hier spielen dann noch viele Faktoren eine Rolle: kleine Schritte, ein systematischer Aufbau u.v.a.m., aber auch eine klare Wahrnehmung davon, was dieser Veränderung möglicherweise entgegenstehen könnte (und wie damit umgehen).

Generell kann man sagen, dass der beste Ratschlag dann gegeben ist, wenn die KlientIn die Empfehlung gar nicht so sehr als „von außen kommend“ erlebt, sondern als integrativen Teil der eigenen Veränderung und Entwicklung (bei der die Shiatsu-PraktikerIn nur unterstützend begleitet). KlientInnen manchmal lieber durch Fragen auf eigene Lösungen hinlenken als ihren Lösungen vorsetzen: Selbstgewählt anstelle von Fremdbestimmt. Ein weiterer wichtiger Aspekt bei Ratschlägen und Empfehlungen ist die nötige Kompetenz und Erfahrung in den angesprochenen Bereichen. Immer – das zeichnet die Professionalität einer Shiatsu-PraktikerIn aus – sollen wir dabei die Grenzen unserer Kompetenz wahren. Und mit dem Verständnis, die Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit unserer KlientInnen zu fördern und zu stärken, sollten wir diese dazu ermutigen, Ratschlägen und Empfehlungen gegenüber offen, aber auch kritisch zu sein – und sich durchaus auch „Zweitmeinungen“ einzuholen.


Zufriedenheit und Sicherheit

Die Studie zeigt, dass die Erwartungen der Shiatsu-Empfangenden mehrheitlich erfüllt bzw. sogar übertroffen wurden. Nur etwa ein 1% der Studien-TeilnehmerInnen bekundet ihre Unzufriedenheit und gibt an, dass ihre Erwartungen nicht erfüllt wurden.

Auch hinsichtlich der Sicherheit zeigt sich ein zufriedenstellendes Ergebnis: Nur etwa 1,5% der Shiatsu-Empfangenden berichten von negativen Reaktionen, die als unerwünscht, potentiell gefährlich oder mit einem negativen Effekt beschrieben werden.


Sind die Daten repräsentativ?

Vorweg gesagt: Die Daten sind sehr aufschlussreich, aber nicht repräsentativ für die Gesamtheit aller Shiatsu-Praktizierenden und ihrer Klientel. Zur Klärung der Frage, ob die erhobenen Daten repräsentativ sind, zunächst die Daten der durchschnittlichen Shiatsu-PraktikerIn: Diese ist weiblich, durchschnittlich 46 Jahre alt, hat akademische Bildung und übt Shiatsu seit durchschnittlich 9,4 Jahren vor allem in der „Vollzeit-Praxis“ aus. Mehr als die Hälfte von ihnen unterrichtet Shiatsu.

 DurchschnittÖsterreichGroßbritannien
Alter46 Jahre  41 Jahre  48 Jahre
Praxiserfahrung9,4 Jahre  7 Jahre  12,6 Jahre
Vollzeitpraxis56%  58%  44%
Unterricht57%  48%  73%

Ist dies die typische Shiatsu-PraktikerIn?[1]In der vorliegenden Darstellung werden nur die Daten von Österreich und Großbritannien angeführt, weil sich diese am deutlichsten unterscheiden. Hier lässt sich die Frage mit Blick auf die Ausbildungslehrgänge und die Abschlüsse im Dachverband (z.B. hinsichtlich der akademischen Abschlüsse oder der Zahl der anerkannten Shiatsu-LehrerInnen im Vergleich zu -PraktikerInnen) leichter beantworten – nämlich mit „Nein“. Weder haben Shiatsu-PraktikerInnen mehrheitlich einen akademischen Abschluss, noch beträgt der Prozentsatz an LehrerInnen 48%. Auch arbeiten aller Wahrscheinlichkeit nach nicht 56% der Shiatsu-PraktikerInnen hauptberuflich (Vollzeit) mit Shiatsu. Zudem, und das zeigen Erfahrungen aus der Shiatsu-Ausbildung, liegt das durchschnittliche Alter der Shiatsu-Praktizierenden wohl nicht bei den in Österreich erhobenen 41 Jahren (bzw. 48 Jahren in Großbritannien).

Es gibt bisher jedoch keine statistisch relevanten Daten über Shiatsu-Praktizierende und ihre Arbeitssituation, auf die Bezug genommen werden könnte. Die Auswahl für die Teilnahme an der Studie erfolgte jedenfalls nicht nach Kriterien, die eine repräsentative Erhebung garantieren (z.B. eine per Zufallsprinzip erfolgte Auswahl von gewerblich tätigen Shiatsu-PraktikerInnen).

Realistischerweise kann man davon ausgehen, dass die Shiatsu-Empfangenden der Studie wiederum durch diese Auslese der Shiatsu-Gebenden „geprägt“ und damit auch nicht repräsentativ für die Gesamtheit aller Shiatsu-Klientinnen sind. Shiatsu-Unterrichtende und Praktizierende, die in einer Vollzeitpraxis arbeiten, haben – und das lässt sich in Analogie zu anderen Untersuchungen vermuten – mit hoher Wahrscheinlichkeit ein anderes Klientel als beispielsweise „AnfängerInnen“ oder Shiatsu-PraktikerInnen im Wellnessbereich.

Dazu kommt, dass die Auswahl der TeilnehmerInnen durch die an der Studie teilnehmenden Shiatsu-PraktikerInnen erfolgte. Damit weisen die Daten auf diejenigen Shiatsu-Empfangenden hin, die gewillt sind, an einer zeitlich aufwändigen Befragung teilzunehmen. Die wissenschaftliche Repräsentativität für die Gesamtheit aller Praktizierenden und ihrer Klientinnen in einem Land ist zwar nicht gegeben. Dennoch sind die Ergebnisse aufgrund der hohen Fallzahlen in vielerlei Punkten generalisierbar und geben einen guten Einblick in die Praxis des Shiatsu, seine Auswirkungen und seine Sicherheit.


Was sagen die Daten aus?

Ein wichtiges Ergebnis der Studie besagt, dass sich durch die Shiatsu-Behandlungen vorliegende Beschwerden gebessert haben. Dabei handelt es sich um eine Erfahrung, die wir als Shiatsu-Praktizierende immer wieder machen (aber nicht immer). Nur zu gerne schenken wir wohl auch aus diesem Grund dem Ergebnis vorbehaltlos unsere Zustimmung. Ja, es stimmt! Beschwerden bessern sich, das allgemeine Wohlbefinden steigt, kurz: Shiatsu wirkt.

Die Angaben der Shiatsu-Empfangenden sind jedoch rein subjektiv. Es wird berichtet, dass sich Beschwerden gebessert haben, dass mehr Körperbewusstsein entwickelt wurde, dass … Die Studie kann somit nachweisen, dass sich Shiatsu positiv auf das subjektive Wohlbefinden auswirkt. Diese subjektive Empfinden bildet die Grundlage der Gesundheitsdefinition der WHO. Das Problem bleibt jedoch: Objektive Daten, wie es Wissenschaft und Politik fordern, sind dies nicht Es ist damit (aus wissenschaftlicher Sicht) noch nicht überprüft, dass sich Symptome auch wirklich nach objektiven Kriterien messbar gebessert haben.

Dazu kommt, dass mit den Daten eine spezifische, besondere Wirkung von Shiatsu nicht definitiv belegt ist. Vielleicht, so kann ein Kritiker einwenden, wären die Beschwerden auch dann besser geworden, wenn die Betreffenden gar nichts getan hätten oder sich einfach eine Stunde in der Woche Zeit genommen hätten, um zu entspannen und zu regenerieren.

Der spezifisch wirksame Einfluss von Shiatsu ließe sich nur durch die Gegenüberstellung vergleichbarer Gruppen beweisen. Vergleichen müsste man eine „Verum-Gruppe“ (die Gruppe, die Shiatsu erhält) mit einer „Kontroll-Gruppe“, die keine Shiatsu-Behandlungen, aber vielleicht Zuwendung in Form von Gesprächen und Empfehlungen erhält (vergleichbar den Ratschlägen beispielsweise, die die Shiatsu-Sitzungen ergänzen). Als weitere Vergleichsgruppe könnte man z.B. eine Gruppe mit Autogenem Training, Progressiver Muskelentspannung, Tuina oder Klassischer Massage (ebenfalls eine Stunde pro Woche) einbeziehen. Erst ein Vergleich der Ergebnisse zwischen den Gruppen (mit annähernd gleichen, nach dem Zufallsprinzip den unterschiedlichen Gruppen zugeteilten Versuchspersonen) würde die Aussage ermöglichen, dass Shiatsu bei dieser oder jener Konstellation oder Problematik wirksam ist bzw. wirksamer ist als …


Welche Relevanz hat die Studie?

Trotz der obigen Ausführungen, dass die Daten nicht repräsentativ sind, zeigt die Studie ganz generell, dass Shiatsu ein großes Potential zu haben scheint, dessen objektive Erfassung und Bewertung sich lohnen würde. Ausgehend von den vorliegenden Daten und Ergebnissen könnte z.B. eine Nachfolgestudie geplant werden, vielleicht sogar unter Einbeziehung von anderen Institutionen, für die die weitere Erforschung der gesundheitsfördernden Aspekte von Shiatsu, die sich durch die Studie andeuten, von Interesse sein könnte. Dann aber müßten die Wirkungen von Shiatsu (bzw. ein Ausschnitt der Wirkungen) durch stärker objektivierbare Parameter erfasst werden (z.B. standardisierte Schmerzskalen, medizinische Untersuchungen, standardisierte Tests zur Erfassung der Befindlichkeit).


Unangenehme Erfahrungen mit Shiatsu

In eine andere Richtung geht die Analyse unangenehmer Erfahrungen mit Shiatsu. Wie schon angeführt ist die Zahl potentiell gefährlicher und damit die Sicherheit der Anwendung von Shiatsu gefährdender Auswirkungen gering und liegt bei ca. 1,5%. Für vermeidbare Probleme in der Anwendung von Shiatsu liegen zudem ein Krisenmanagement des Dachverbandes mit Beschwerdemanagement und Ethikrichtlinien vor. Dennoch aber gebührt der meinem Empfinden nach überraschend hohen Zahl an sogenannt „unangenehmen Erfahrungen mit Shiatsu“ ein kritischer Blick. Welche Ursachen haben sie? Wie soll mit ihnen umgegangen werden? Sind sie, zumindest teilweise vermeidbar?

Über die Hälfte der Studien-TeilnehmerInnen geben in zumindest einem der Fragebögen „negative“ Auswirkungen der Shiatsu-Behandlungen an. Das sind 334 von insgesamt 633 TeilnehmerInnen (53%). In Österreich, auf das sich die nachfolgenden Daten vor allem beziehen, sind es 142 von 261 Shiatsu-Empfangende (54%).

Die größte Anzahl an unangenehmen Erfahrungen verzeichnet der dritte Fragebogen nach ca. 3 Monaten mit 22%. Im zweiten Fragbogen nach 4 bis 6 Tagen sind es 21% und im vierten Fragebogen nach ca. 6 Monaten immerhin noch 16%. Zusammenhänge zwischen dem Auftreten von unangenehmen Erfahrungen und der Dauer der Shiatsu-Praxis (d.h. mit der Erfahrung der Shiatsu-Praktizierenden), der Anwendungsform des Shiatsu („Stil“) oder ähnlichen Merkmalen lassen sich durch die Studie allerdings nicht ableiten.

(n = 261)Unangenehme Erfahrungen
2. Fragebogen (nach 4 bis 6 Tagen)21% (55 Personen)
3. Fragebogen (nach ca. 3 Monaten)22% (57 Personen)
4. Fragebogen (nach ca. 6 Monaten)  16% (38 Personen)

Berichtet wird von Reaktionen, die – nicht in Zusammenhang mit Shiatsu stehen (6%, Gesamtstudie: 6%), wie z.B. der Ausbruch einer Erkrankung, die schon in der KlientIn steckte, Kopfschmerzen, die auch sonst schon mal aufgetreten sind oder schlechte Gefühle der Familie gegenüber, die auch sonst schon da waren;

  • vorübergehend sind und sich ins Positive wandeln (13%, Gesamtstudie: 27%), wie z.B. sich dem Weinen nahe fühlen, Trauer, Zorn oder Gefühlskälte erleben;
  • vorübergehend sind „im Sinne der Shiatsu-Theorie“ (66%, Gesamtstudie: 55%), wie z.B. Müdigkeit für den Rest des Tages, erschöpft sein nach der Sitzung, Bauchschmerzen wie bei der Menstruation, eine verstärkte Symptomatik, schmerzende Gelenke und Muskeln, emotionale Labilität oder eine größere Sensibilität;
  • unerwünscht sind, aber keine Gefährlichkeit aufweisen (10%, Gesamtstudie: 11%), wie z.B. Kopfschmerzen, Nackenschmerzen, Kreuzschmerzen, Schlaflosigkeit, Depression, Konfusion (auch „spaced out“) oder fehlende Koordination; oder
  • potentiell gefährlich sind (5%, Gesamtstudie: 3%), wie z.B. Schmerzen im Kniebereich nach Dehnung, starke Schmerzen im Wirbelsäulenbereich, größere Steifigkeit in den Knöcheln, Irritation im Verdauungstrakt oder Verbrennungen infolge von Moxa-Anwendung.

Die durchschnittliche Dauer der negativen Auswirkungen betrug 2 Tage (2. und 3. Fragebogen) bzw. 1,5 Tage (4. Fragebogen).

Schwerwiegend waren die Auswirkungen beim 2. Fragebogen bei 18%, beim 3. Fragebogen bei 42% und beim 4. Fragebogen bei 16% der Studien-TeilnehmerInnen, die von unangenehmen Erfahrungen berichten. Beunruhigt davon waren 4% zum Zeitpunkt des 2. Fragebogens, 12% zum Zeitpunkt des 3. Fragebogens und 26% zum Zeitpunkt des 4. Fragebogens.

(n = 142)Schwerwiegende unangenehme ErfahrungenBeunruhigt durch die unangenehmen Erfahrungen
2. Fragebogen (nach 4 bis 6 Tagen)18% 4%
3. Fragebogen (nach ca. 3 Monaten)42% 12%
4. Fragebogen (nach ca. 6 Monaten)  16% 26%

82% der „negativen“ Reaktionen, über die berichtet wurde, sind nur vorübergehend und wandelten sich in eine insgesamt positive Auswirkung. Letztlich wurden nur 3% der negativen Reaktionen als unerwünscht bewertet, zeigen einen potentiell gegenteiligen Effekt oder einen Effekt, der die Sicherheit der KlientIn gefährdet.

Die hohe Zahl an „negativen“ Auswirkungen hinterlässt – unbeschadet der Tatsache, dass letztlich nur wenige davon potentiell gefährlich sind und nur 3% der „negativen“ Reaktionen als unerwünscht eingestuft werden – einen zwiespältigen Eindruck. 21% im zweiten (nach 4 bis 6 Tagen), 22% im dritten (nach ca. 3 Monaten) und immerhin noch 16% im vierten Fragebogen (nach ca. 4 Monaten) unangenehme Reaktionen – durchschnittlich also bei einem Fünftel der KlientInnen – erscheinen sehr hoch und sollten meiner Meinung nach in zwei Richtungen hin bedacht und überprüft werden.

Da ist zum einen die Vorbereitung der Shiatsu-Empfangenden auf das Auftreten „negativer“ Reaktionen, wie z.B. auf eine möglicherweise größere Labilität oder Reizbarkeit oder auch Müdigkeit nach der Shiatsu-Behandlung (erstere insbesondere nach der Behandlung von Leber und Gallenblase oder bei Vorliegen eines Ungleichgewichts in diesen beiden Systemen). Zum anderen sollten wir uns als Shiatsu-Praktizierende aber auch die Frage stellen, ob wirklich alle negativen Auswirkungen „unvermeidbare Erstverschlimmerungen“ sind. Vielleicht liegen so manchen „Nebenwirkungen“ auch diagnostische Fehler zugrunde und darauf aufbauende falsche Behandlungsansätze, die beispielsweise dazu führen, dass sedierend behandelt wird, wo Toniserung notwendig wäre. Denkbar sind im einen oder anderen Fall aber auch andere Ursachen wie zu intensive, zu „harte“, zu wenig empathische oder aus anderen Gründen heraus überfordernde Behandlungen, die KlientInnen mit „negativen“ (in diesem Fall eigentlich stimmigen) Reaktionen beantworten. Ferner ist denkbar, dass Fälle nicht erkannt werden, in den Klientinnen eine Abklärung des Gesundheitszustands durch Ärztinnen nahegelegt werden sollte.


Wirtschaftliche Auswirkungen

Als wirtschaftliche Auswirkungen führt Professor Long die Abnahme der Arzt- und Krankenhausbesuche um 21% in Österreich und Großbritannien und sogar 30% in Spanien an, eine Abnahme der durch Krankheit verlorenen Arbeitstage und signifikante Verbesserungen bei Beschwerden im Muskel-Skelett-System wie auch Beschwerden, die mit Spannung und Stress in Zusammenhang stehen. Damit deutet sich ein Potential an, durch die Anwendung von Shiatsu Kosten im Gesundheitsbereich einsparen zu können – ein Potential, das auch gesundheitspolitisch von Bedeutung sein könnte.

Weitere Einsparungen könnten sich noch, so führt Professor Long aus, durch Lebensstiländerungen infolge der Behandlungen ergeben, z.B. durch Körperübungen, die KlientInnen in ihr Leben integrieren, durch mehr Ruhepausen und Entspannung wie auch durch Umstellungen in ihren Ernährungsgewohnheiten – vorausgesetzt die vorliegenden Daten lassen sich durch Nachfolgeuntersuchungen objektivieren. Erst dann kann man aus wissenschaftlicher Sicht die Behauptung belegen, dass Shiatsu Gesundheitskosten einzusparen vermag. Bis dahin – und das unterstreichen die Ergebnisse der Studie – kann man von durchaus begründeten Hinweisen auf ein solches Potential sprechen.


Quellen und Literaturhinweise

Andrew F Long – The Effects and Experience of Shiatsu: A Cross-European Study. Final Report, www.shiatsu-austria.at/wp-content/uploads/ESF-Research-study-Final-Report.pdf
Tripp, Eduard: The Effects and Experience of Shiatsu: A Cross-European Study. Phase 2 – Ergebnisse der KlientInnenbefragung (www.shiatsu-austria.at/?p=3118)
Tripp, Eduard: The Effects and Experience of Shiatsu: A Cross-European Study. Phase 2 – Ergebnisse derPraktikerInnenbefragung (www.shiatsu-austria.at/?p=3124)

Anmerkungen

Anmerkungen
1 In der vorliegenden Darstellung werden nur die Daten von Österreich und Großbritannien angeführt, weil sich diese am deutlichsten unterscheiden.