Die Sprache der chinesischen Medizin
Während wir im Westen es gewohnt sind, lateinische Wörter und Phrasen mit einer medizinischen Bedeutung zu assoziieren und Laien meist gar nicht erwarten, die Sprache der medizinischen Spezialisten zu verstehen, leitet sich die Sprache der Traditionellen Chinesischen Medizin von allgemein bekannten Begriffen ab, die die Menschen seit Generationen benutzen. Die Chinesen sind daher – anders als wir Europäer – mit dem Vokabular ihrer traditionellen Medizin von vornherein vertraut. Die Sprache der chinesischen Medizin leitet sich von Worten ab, die größtenteils auch im alltäglichen Leben verwendet werden. Deshalb, um die Sprache der traditionellen chinesischen Medizin zu verstehen, ist es von Nutzen und – wie Zhang Yu Huan & Ken Rose nahelegen – nahezu unumgänglich, sich mit dem Wesen der chinesischen Sprache selbst vertraut zu machen.
In der Geschichte der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM), die sich über mehr als 2.000 Jahre schriftlicher Aufzeichnungen erstreckt, hat die Nomenklatur eine standardisierte Struktur angenommen, die im allgemeinen den fünf Hauptkategorien der chinesischen Medizin folgt:
- Grundlegende Theorien (Yin und Yang, Fünf Wandlungsphasen)
- Struktur und Funktionen der Organe (Zang Fu)
- Substanzen (die materielle Basis aller vitalen Aktivitäten: Energie – Qi, Blut – Xue, Essenz – Jing, Geist – Shen und Körperflüssigkeiten – Jin Ye)
- Ätiologie und Pathogenese
- Diagnosemethoden und Musteridentifizierung
Das Problem beim Studium der TCM ist – vor allem für Studenten, die nicht über einen chinesischen kulturellen und sprachlichen Hintergrund verfügen – die Vieldeutigkeit der meisten Begriffe und die Eigenschaft chinesischer Worte, viele Bedeutungen zugleich zu verkörpern. Für den, der damit vertraut ist, so Zhang Yu Huan & Ken Rose, verschmelzen die einzelnen Bedeutungen gewissermaßen ineinander und nehmen in seinem Geist eine erweiterte, übergeordnete Bedeutung an.
Die Grundlagen der chinesischen Sprache
Westliche Sprachen sind ein System von Symbolen, die Laute repräsentieren. Gruppen von Lauten wiederum verweisen auf Bedeutungen, wobei diese Zuordnungen im Wesentlichen willkürlicher Natur sind. Gleichsam handelt es sich hier um die Notation von Gesprochenem, um ein “sonografisches System”. Ein Satz entfaltet sich ähnlich wie eine Notenzeile zeitlich und linear.
Die geschriebene chinesische Sprache hingegen beginnt mit abstrakten Bildern von Gedanken/Dingen/Handlungen. Die chinesischen Zeichen neigen dazu, die Beziehungen zwischen Dingen zu betonen, und die abstrakten Symbole machen die Beziehungen deutlich. Die Bedeutungen chinesischer Worte, Sätze und Phrasen entwickeln sich aus piktographischen und ideographischen Elementen, die in einer bestimmten Weise angeordnet sind. Die chinesische Sprache ist im Wesentlichen bildlich, räumlich und “rund”. Sie ist eine visuelle Sprache, die sich mehr wie ein Gemälde entfaltet.
Geschriebenes Chinesisch ist eine “einschließende” Sprache. Unterschiedliche Bedeutungen, die einem Wort innewohnen, sind meist alle zugleich gültig. Während in den westlichen Sprachen ein Wort meist nur eine Bedeutung besitzt, tendiert das Chinesische dazu, alle Konnotationsstränge (Bedeutungen) zu verweben, wodurch sich ein dichtes, gelegentlich nahezu unentwirrbares Bedeutungsgeflecht ergibt.
Die Gesamtbedeutung eines chinesischen Ausdrucks (eines Wortes ebenso wie einer Phrase) resultiert oft aus dessen vielfältigen Facetten. Der obere Teil des chinesischen Zeichens “an” beispielsweise bedeutet “Dach” oder “Abdeckung”. Der untere Teil des Zeichens (“nu”) bedeutet, wenn er für sich allein steht, “Frau”. Das Zeichen “an” illustriert also eine Beziehung zwischen dem Dach eines Hauses und einer Frau in dem Haus und bedeutet “Friede” oder “friedlich”. In der Verbindung mit “quan”, das “ganz” bedeutet, ergibt sich “anquan”, “Sicherheit”.
Zeichen (zi) und Worte (ci)
Ein chinesisches Zeichen ist mit einem Wort vergleichbar – mit dem Unterschied, dass sich eine chinesisches Wort aus zwei Zeichen zusammensetzt. Das einzelne Zeichen, gleich ob es für sich allein steht und selbst als Wort fungiert oder nicht (also Bestandteil eines anderen Wortes ist), wird als zi bezeichnet. Die chinesische Sprache umfasst etwa 50.000 Zeichen.
Ci bezeichnet Worte, die im Allgemeinen aus zwei oder mehr Zeichen (zi) bestehen. Worte gibt es in der chinesischen Sprache mehrere Hunderttausende.
Zi (Zeichen) setzten sich aus Radikalen (pi an pang) zusammen. Diese Radikale – es gibt etwa 200 – bestehen ihrerseits aus verschiedenen Strichen, meist aus sechs Strichen (bihua). Das Zeichen “zi” beispielsweise besteht aus zwei Radikalen. Der obere Teil von “zi” bedeutet etwa “Dach” oder “Abdeckung”, der untere Teil “Sohn” oder “Same” (allgemein “erschaffene Dinge”).
Im Wesentlichen entwickelten sich die Zeichen aus einem alten System der Bilderschrift, das mit Abbildungen von Objekten und Handlungen sowie den Beziehungen, die zwischen ihnen bestanden, arbeitete. Diese Zeichen wurden nun sowohl mit Bedeutungen als auch mit Lauten verbunden, so dass ein Zeichen je nach Dialekt auf unterschiedliche Weise ausgesprochen wird.
Die chinesische Sprache kennt unterschiedliche Kategorien von Zeichen, vor allem Piktogramme, selbsterklärende Zeichen, Ideogramme und Phonogramme.
Piktogramme (xiang xing)
Die wahrscheinlich ältesten Zeichen sind Piktogramme. Sie sind Abbildungen von Gegenständen, Phänomenen, Handlungen und Beziehungen zwischen Dingen und Ereignissen. Beispiele sind “ri” (Sonne) und “shan” (Berg).
altes Piktogramm für “ri” (Sonne)
Zeichen für Sonne heute
altes Piktogramm für “shan” (Berg)
Zeichen für Berg heute
Selbsterklärende Zeichen (zhishi)
Zeichen für “shang” (oben)
Zeichen für “xia” (unten)
“Dao” bedeutet Messer und “ren”, bei dem ein Punkt neben das Zeichen für Messer gesetzt wird, “Klinge” (eines Messers)
“dao” (Messer)
“ren” (Klinge)