Die Fünf Wandlungsphasen im therapeutischen Alltag (Karin Kalbanter-Wernicke)

Die Fünf Elemente der chinesischen und japanischen Philosophie sind mittlerweile auch bei uns hier im Westen weit verbreitet. Zahlreiche Bücher sind zu diesem Thema erschienen: Kochen nach den Fünf Elementen, Tanz im Sinne der Fünf Elemente und Raum- oder Gartengestaltung mit den Fünf Elementen im Zusammenhang mit Feng Shui.

Was sind diese Fünf Elemente genau und was verbirgt sich hinter dieser Bezeichnung? Welchen Nutzen oder welche Schwierigkeiten beinhalten sie? Wie können wir sie zu Diagnostik und Behandlung insbesondere bei Kindern anwenden? Diesen Fragen wollen wir in der vorliegenden Arbeit nachgehen, aber wir wollen auch aufzeigen, dass es nicht ganz so einfach ist, fernöstliches Gedankengut direkt in unseren Kulturkreis zu übertragen.

therapeutischer Alltag

Bereits die Übersetzung „Fünf Elemente“ zeigt, dass es oft sehr schwierig bis nahezu unmöglich ist, für japanische oder chinesische Ausdrücke eine konkrete deutsche Übersetzung zu finden. Im Westen wird zwar von den Fünf Elementen gesprochen, doch der Begriff wu xing, kann mit „fünf gehen“ oder „fünf bewegen“ gleichgesetzt werden. Xing bezieht sich sowohl auf die Grundbausteine der Natur als auch auf ein dynamisches Zusammenspiel aller irdischen Dinge, was bei einer angemessenen vorsichtigen Übertragung verstehbar bleiben sollte, denn die „Fünf Bewegungen“ oder „Wandlungen“ beschreiben die Bewegung von Yin nach Yang und umgekehrt.

Download im pdf-Format
Download

Deshalb benutzen wir in diesem Text den Begriff „Wandlungsphase“, um deren Qualität genauer zu benennen. Viele Wortschöpfungen, die wir in der einschlägigen Literatur über Akupunktur und TCM finden, sollten mit einiger Vorsicht genossen werden! Die Übersetzungsproblematik zeigt sich nämlich nicht nur an einzelnen Begriffen, sondern auch am jeweiligen Weltbild, dass den Begriffen zugrunde liegt. So haben Japaner z. B. ein völlig anderes Verständnis von Gesundheit und Krankheit als wir im Westen. Der japanische Begriff Ki wird oft als „Lebenskraft“ oder „Energie“ übersetzt, wobei aber wesentliche Facetten dieses Wortes durch unser westliches Hintergrundwissen verloren gehen. Ki kommt in unzähligen japanischen Wortzusammensetzungen und Redewendungen vor, zum Beispiel o-genki desu ka? (Wie geht es Dir? – bedeutet aber ursprünglich: Wie ist es um dein Ki bestellt?) oder denki wird als „Strom“ übersetzt, bedeutet aber ursprünglich „Ki des Donners“ – kuki, „Luft“, heißt eigentlich „Ki des Himmels“. Aber auch byoki im Wörterbuch als „krank“ angegeben bedeutet im eigentlichen Sinne „das Ki ist in Unordnung geraten“, und um es wieder in Ordnung zu bringen, geht man in das byoin, „das Haus in dem das Ki seine Ordnung wieder findet“ – also in unser „Krankenhaus“.

Aus Ki entstehen und bestehen alle Naturphänomene, belebte wie unbelebte Objekte. Sie werden durch Ki angetrieben oder in verschiedene Erscheinungsformen verwandelt. Dies scheint für viele von uns, die hier im Westen erzogen wurden, ein sehr abstraktes Modell zu sein. Doch gerade in unserer modernen Quantenphysik mit ihrer Quantenmechanik ist dieses Weltbild von Energie und manifester Energie wesensgleich der Fünf Wandlungsphasen wiederzufinden, wie uns Dr. Charles McCruder III, Physiker an der Kentucky University, bestätigt.

Der Fluss unserer Lebensenergie entsteht aus dem Wechselspiel von Yin und Yang, einer symbolischen Beschreibung aller Beziehungen kosmischer und irdischer Erscheinungsformen zueinander, die Verbindung von Mensch mit Himmel und Erde, die untrennbare Ganzheit von Körper, Geist und Seele. Wir haben es hier mit Urkräften zu tun, die Sinnbild des ewigen Werdens und Vergehens, des zyklischen Ablaufs aller Lebensprozesse sind. Das harmonische Zusammenspiel dieser Urkräfte verleiht uns Menschen die Fähigkeit, unsere gesamte Lebendigkeit zum Ausdruck zu bringen und dabei gleichzeitig in uns ruhen zu können. Diese wechselnden vitalen Wirkkräfte des Lebens sind die Fünf Wandlungsphasen: Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser. Durch ihr Zusammenspiel gibt es eine ordnende Kraft in unserem Leben. Solange ihr Kreislauf harmonisch fließt, erleben wir die Lebensenergie in einer vollständigen und facettenreichen Ausprägung.

Unsere Erfahrungen mit den Fünf Wandlungsphasen im therapeuticum rhein-main bildet die Grundlage für alle weiteren Ausführungen. Seit vielen Jahren arbeiten wir schwerpunktmäßig mit Neugeborenen, Kleinkindern und Kindern bis hin zum Teenageralter. Die Gründe, warum die Kinder zu uns geschickt werden, sind sehr vielseitig: Schiefhalsbabys, Schreikinder, Säuglinge und Kleinkinder mit Entwicklungsverzögerung bis hin zu Haltungs- und Bewegungsauffälligkeiten sowie Kindergarten– und Schulkinder mit Wahrnehmungsstörungen. Aber auch eine stetig steigende Zahl von Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten werden in unserem Haus vorgestellt. Ein großer Teil der Eltern dieser Kinder hat bereits eine längere Odyssee hinter sich.

Im therapeuticum rhein-main bieten wir Einzelbehandlungen an, arbeiten in Gruppen und veranstalten Fortbildungen für Eltern, Therapeuten und Lehrer. Je nach Situation arbeiten wir mit verschiedenen Methoden, aber alle unsere Angebote basieren auf den Fünf Wandlungsphasen.

Bei Säuglingen und Kleinkindern kommt besonders Shonishin, eine spezielle Form der japanischen Kinderakupunktur zum Einsatz. Hier stehen wir in der Tradition der Tanioka-Klinik in Japan, in der seit Generationen Kinder behandelt werden und diese Methode stets weiter entwickelt wird. Shonishin ist eine nicht-invasive Methode, anstelle von Nadeln wird mit verschiedenartigen Instrumenten gearbeitet, um eine Stimulation hervorzurufen.

Für die Klein- und Schulkinder haben wir aus dem Shiatsu heraus eine Behandlungsform in der Gruppe entwickelt: das Spiel-Räume Konzept®. Shiatsu ist eine Methode der Körperarbeit, die dazu dient, in einer Einzelbehandlung das Ki zu harmonisieren. Dazu wird mit einer Beidhandtechnik gearbeitet. Wichtige Grundlage für diese Arbeit und vor allem den dazu notwendigen energetischen Befund ist das Wissen um die Fünf Wandlungsphasen und ihre Wirkweise. Im Spiel-Räume Konzept® vereinen sich das Wissen von den Fünf Wandlungsphasen mit den modernsten Erkenntnissen der westlichen Entwicklungspsychologie und Kindertherapien. Das spielerische Erfahren im Spiel-Räume Konzept® ist eingebettet in den Kreislauf der Fünf Wandlungsphasen, damit das Kind in seinen vielfältigen Möglichkeiten einen eigenen Ausdruck entfalten kann.

therapeutischer Alltaga

Durch den Umgang mit verschiedenen Materialien, beispielsweise Schwungtuch und Rollbrett oder Alltagsmaterialien wie Teppichrollen und Pappkartons, machen Kinder auf spielerische Weise ihre Erfahrungen, üben den Gebrauch ihrer Sinne und ihrer Wahrnehmungen und entwickeln ein besseres Körpergefühl. Davon profitieren besonders Kinder mit motorischen, sprachlichen, geistigen und/oder sozialen Beeinträchtigungen, mit motorischer Unruhe, Konzentrationsstörungen, Wahrnehmungsstörungen und Kinder, die aufgrund ihres Verhaltens Probleme mit ihrer Umwelt haben.

Je nach Bedarf werden einige Kinder in Einzelstunden behandelt, teilweise auch zusätzlich zu den Gruppenstunden. Zunehmend werden von Kinderärzten, Frühförderstellen, Kindergärten und sozialpädiatrischen Zentren (SPZ) Kinder zur Diagnostik auf der Grundlage der Fünf Wandlungsphasen zu uns überwiesen, damit wir einen Behandlungsvorschlag erarbeiten.

Vor diesem Hintergrund möchten wir unser experimentelles Verständnis der Wandlungsphasen genauer beschreiben und einige Fallstricke aufzeigen, die uns oft hier im Westen im Umgang mit den Wandlungsphasen auffällt:

Die energetische Grundlage ist der rote Faden, der das gesamte Gewebe unserer Arbeit verbindet. Das Konzept der energetischen Entwicklung war es, was uns die Augen geöffnet hat, die physische, mental-emotionale und spirituelle Entwicklung als einen vernetzten Prozess zu betrachten. Diese energetischen Strukturen helfen, Entwicklung zu unterstützen und zu entfalten – und das nicht nur während der Organisation der Zellen im sich entwickelnden Fötus, sondern auch während der komplizierten Stadien der sensorischen und motorischen Entwicklung in der Gebärmutter, nach der Geburt und im Laufe des Lebens.

Ein Kind, das in diese Welt hineingeboren wird, ist zunächst mit seinem ganzen Sein für jegliche Anregungen offen und kann sich noch nicht dagegen abschirmen. So wirken unterschiedliche Einflüsse auf das Kind ein, als Störfaktoren können sie seine innere Ordnung ins Ungleichgewicht bringen, was sich hemmend auf die Entwicklung auswirken kann. Im Moment der Empfängnis – durch die Verbindung des männlichen Samens mit dem weiblichen Ei – verschmelzen väterliche und mütterliche Energie zur sogenannten konstitutionellen Energie des Kindes, zu einem energetischen Feld, das für den Fötus „Motor“ und „Treibstoff“ in einem darstellt. Das befruchtete Ei ist von diesem Moment an die Manifestation der kindlichen Energie, die als Puffersystem und Katalysator dient, um alle Erfahrungen zu integrieren, die das Kind in und mit seinem Umfeld während seines Heranwachsens macht. Das bedeutet, dass jedes Erleben von Anfang an einem individuellen, energetischen Muster unterliegt. Hinzu kommt ein universelles Muster von Bewegungsentstehung, das vom Fluss der Lebensenergie innerhalb der Meridiane wie sie aus der Akupunktur bekannt sind abhängig ist. Die Meridiane sind bis zur Geburt im Wesentlichen in Grundlagen ausgebildet.

Die Meridiane spielen eine wichtige Rolle bei der Ausprägung unserer Persönlichkeit, von ihnen gibt es eine Vielzahl im Körper. Die wichtigsten sind die zwölf Hauptmeridiane, welche die Organe, Gewebe, Muskeln und das Nervensystem durchziehen. So verbinden sie beispielsweise das innere biologische System des Körpers mit dem Bewegungsapparat. Andere Meridiane, die auf der Körperoberfläche verlaufen, erhalten Informationen aus der Umwelt und beeinflussen dadurch die Energiebewegungen in den tiefer liegenden Meridianen zwischen und zu den Organen, Muskeln und dem Nervensystem. Dabei unterstützen die Meridiane den Informationsfluss zwischen den motorischen und sensorischen Zentren, wie auch umgekehrt Bewegung und sensorische Reize den Energiefluss in den Meridianen verstärken. Durch das Zusammenspiel vergrößert sich die Fähigkeit eines Kindes, Reize aufzunehmen, mit seiner Umwelt in Kontakt zu treten, auf seine Umwelt zu reagieren und mit ihr zu kommunizieren. Die Meridiane stellen somit ein Kommunikationsnetzwerk zwischen dem sich entwickelnden kindlichen Bewusstsein und der Außenwelt dar, da sie für die Integration von Reizen und Reflexen gleichermaßen zuständig sind wie auch für die Festigung der anatomischen Struktur, der Haltung und Bewegung sowie für Persönlichkeits- und Verhaltensmuster eines Kindes.

therapeutischer Alltag

Bereits bei einem Säugling kann man bei genauem Beobachten Eigenschaften entdecken, die ihn schon auf dieser Entwicklungsstufe zu einer kleinen Persönlichkeit machen. So gibt es den Entdecker – er hat einen kaum zu bremsenden Forscherdrang, ist ungeheuer neugierig und versucht die Welt regelrecht in sich aufzusaugen. Oder der kleine Sonnenschein, er ist mit sich und der Welt im Einklang, liebt den Kontakt, hat Spaß bei Finger- und Kuckuckspielen und kann nicht genug davon kriegen – dies zeigt er auch mit lautem Glucksen.

Dieser Sonnenschein ist ein fröhliches Kind, das seine Eltern ganz gut auf Trab halten kann. Die kleinen Genießer sind anspruchsvoller und nicht so rasch zufrieden zu stellen. Mit allen Sinnen kosten sie alles aus und lassen sich dafür auch viel Zeit – beim Füttern gestört zu werden gefällt ihnen ganz und gar nicht. Dann gibt es die sehr vorsichtigen Babys; sie sind etwas ernster als andere, reagieren auf Ansprache durch Fremde nicht gleich mit einem Lächeln und betrachten die Welt mit mehr Skepsis – sich auf Neues einzulassen fällt ihnen etwas schwerer als anderen Kindern. Die kleinen Träumer schlafen noch sehr viel und brauchen mehr Zeit, um sich an den neuen Lebensrhythmus nach der Geburt zu gewöhnen – wichtig ist ihnen die Sicherheit eines beständigen Rhythmus und die Sicherheit gehalten zu werden.

In jeder Phase der körperlichen, geistigen und psychischen Entwicklung des Kindes durchlebt ein Kind alle Wandlungsphasen in unterschiedlicher Ausprägung. Ihr Zusammenspiel ist die ordnende Kraft unserer Lebensenergie. Alle Qualitäten und damit auch deren Ausdrucksweisen sind vorhanden, wir erleben die Lebensenergie in ihrer vollständigen und facettenreichen Ausprägung. Wie in einem Regelkreis versuchen sich die Wandlungsphasen gegenseitig in einem relativen Gleichgewicht zu halten, doch sobald ihr Kreislauf ins Stocken gerät, nehmen wir das Fehlen des harmonischen Flusses in seinen vielfältigsten Ausdrucksformen wahr, z. B. als Wahrnehmungsstörungen, motorische Störungen, Verhaltensauffälligkeiten, Entwicklungsstörungen aber auch Allergien u.a.m.

Fällt nun ein Kind durch eingeschränkte Ausdrucksmöglichkeiten – unabhängig, ob im sensorischen, motorischen, sozialen oder emotionalen Bereich – auf, so bedarf es immer der Anregung und Stimulation aller Fünf Wandlungsphasen. Das ist auch der Grund, warum nur in den seltensten Fällen sämtliche Fähigkeiten und Facetten einer Wandlungsphase gestört sind. Durch die Anregung aller Fünf Wandlungsphasen kann das Kind seine Ausdrucksfähigkeiten erweitern – diese stehen ihm dann auf allen Ebenen zur Verfügung. Manchmal können wir beobachten, dass diese Störungen immer zu einer bestimmten Jahreszeit oder zum gleichen Zeitpunkt eines Monats oder zur gleichen Tageszeit wiederkehren.

Es ist dieser Rhythmus der Fünf Wandlungsphasen in uns, der uns die Fähigkeit gibt, ein Gleichgewicht anzustreben. Unerwünschte Symptome und Störungen in unserem Leben sind das Spiegelbild einer Stagnation des Energieflusses. Das bedeutet, dass wir zwar alle Qualitäten und Fähigkeiten der Fünf Wandlungsphasen in uns tragen, aber bedingt durch ein Ungleichgewicht in diesem Zusammenspiel sind wir nicht in der Lage, im richtigen Moment die passende Qualität abzurufen. Aber selbst dort, wo sich so ein vermeintlicher Mangel zeigt, stehen alle Qualitäten zur Verfügung – es bedarf nur der Anregung und Stimulation zur weiteren Entwicklung und Verfügbarkeit aller körperlichen, geistigen und gefühlsmäßigen Ausdrucksformen der Wandlungsphasen. Die Wandlungsphasen selbst geben uns die Möglichkeit, das Kind zu beobachten und sein Wachstum und seine Entwicklung sowie sein Streben zur Mitte aktiv zu unterstützen. Gleichzeitig haben wir die Chance unsere eigene Rolle als Eltern oder Behandler genauer zu beobachten. Zum besseren Verständnis wollen wir hier die Wandlungsphasen und deren Qualitäten genauer betrachten.

Wenden wir uns zunächst der Wandlungsphase Holz zu: Dessen wichtigsten Eigenschaften für den Entwicklungsprozess sind der Bewegungsausdruck, die Bewegungsplanung, grobmotorische Fähigkeiten und die Koordinationsfähigkeit. Von den Organen werden der Wandlungsphase Holz die Muskeln, Sehnen und Bänder zugeordnet. Die vom Holz beeinflussten Körperöffnungen und Sinnesorgane sind die Augen, die Sinnesfunktion ist das Sehen. So können ständig gerötete Augen, Sehstörungen aber auch Probleme mit der Hand-Augen-Koordination auf eine Disharmonie in der Wandlungsphase Holz hinweisen. Das Holz und seine Ausdrucksformen kann im Kind im Gleichgewicht aber auch im Ungleichgewicht sein. Ist es im Gleichgewicht, so ist das Kind kreativ, voller Tatendrang und Entdeckerfreude, und es vermag zielorientiert und strategisch denken. Besteht jedoch ein Ungleichgewicht, so kann es beispielsweise dadurch auffallen, dass es alles kontrollieren will ohne sich zu beteiligen, auch kann es reizbar, destruktiv, schnell beleidigt, interesselos bis hin zu apathisch sein.

Wandlungsphase Feuer: steht für Partnerschaft und Beziehungsfähigkeit. Sie findet ihren Ausdruck in der Fähigkeit sich sprachlich mitzuteilen, aber auch in dem Wir-Gefühl, das bei gemeinsamen Unternehmungen entsteht. Der emotionale Ausdruck ist die Freude – Schaffensfreude, Lebensfreude und Begeisterungsfähigkeit. Ist das Feuer im Gleichgewicht, so erleben wir ein „Sonnenscheinkind“, das fröhlich, aufgeschlossen, begeisterungsfähig und im Umgang mit den Spielkameraden mitreißend ist, bei einem Ungleichgewicht offenbart es sich in schneller Ungeduld, Sprechstörungen, häufigen Ohr- und Halsentzündungen und innerer Unruhe.

Erde: Die Wandlungsphase Erde steht für Gelassenheit, Achtsamkeit und Konzentrationsfähigkeit. Sie drückt sich durch die Fähigkeit aus, in sich ruhen zu können, in die Mitte zu kommen und einen eigenen Standpunkt einnehmen zu können. Ihr zugeordnet sind sowohl die körperliche als auch die geistige Nahrung. Ausgewogenheit in dieser Wandlungsphase zeigt sich in einer guten Konzentrationsfähigkeit und durch die Fähigkeit, eine eigene Meinung zu haben und diese auch zu äußern. Das Kind ist mit sich und der Welt zufrieden. Unausgewogenheit spiegelt sich in ständigem Zappeln wider oder in der Rolle des Klassenkaspers, der unbedingt die Aufmerksamkeit auf sich ziehen muss. Es sind Kinder, die unablässig Bestätigung und Zuneigung suchen. Aber auch chronische Magen-/Darmstörungen, Essstörungen bis hin zu ständig entzündeten Mundwinkeln können Ausdruck einer Dysbalance innerhalb dieser Wandlungsphase sein.

Metall: Diese Wandlungsphase steht für Eigenwahrnehmung und soziale Kompetenz. Sie drückt sich in der Fähigkeit aus, eigene und fremde Grenzen zu erkennen und zu respektieren, so dass Akzeptanz und Toleranz entstehen können. Ein ausgewogenes Metall drückt sich in analytischem und systematischem Denkvermögen aus, in der schnellen Auffassungsgabe und in diszipliniertem Verhalten. Die unausgewogene Form zeigt sich durch verschiedene Formen von Zwanghaftigkeit, durch Nicht-Akzeptieren von Veränderungen – sei es im Tagesablauf oder in der Raumgestaltung. Aber auch Allergien, Atemwegserkrankungen und Erkältungsneigungen fallen in diesen Bereich.

Wasser: steht sowohl für die Bereitschaft, sich auf gegebene Situationen einzustellen als auch für den Mut, sich auf Neues einzulassen. Zuhören können, sich entspannen können, in die Stille gehen, mit der eigene Tiefe in Kontakt kommen sind Fähigkeiten, die durch die Wandlungsphase Wasser ermöglicht werden. Auch die Freude an feinmotorischen Tätigkeiten, Beständigkeit und Ausdauer, es immer wieder zu versuchen bis das Ziel erreicht ist, zählen zu dieser Wandlungsphase. Störungen äußern sich in übertriebenem Sicherheitsbedürfnis – solche Kinder sind eher introvertiert und ängstlich, leiden oft an Rückenproblemen oder sind Bettnässer.

therapeutischer Alltag

Wie eine wandlungsphasenspezifische Beobachtung aussehen kann, zeigt das folgende Beispiel: Maya begleitete ihre Mutter zur Behandlung, dabei sprachen wir über die Vielfalt der Wandlungsphasen. In einem „Aha-Erlebnis“ meinte die Mutter, ihre Tochter habe viel Erde. Schon im Alter von fünf Jahren war Maya sehr stark am Gärtnern interessiert. Daher bekam sie im Garten ein eigenes Beet, das sie ganz alleine pflegen durfte. Stundenlang konnte sie im Garten die Schmetterlinge oder ihre Pflanzen beobachten. Sie hatte kein großes Interesse an anderen Kindern, die wenig an ihrem Garten interessiert waren. Da sie ein glückliches und zufriedenes Kind war, hat das ihre Eltern und sie selbst nicht weiter gestört. Neben der Gartenpflege widmete Maya viel Zeit mit Zimmerpflanzen, auch bereitete es ihr große Freude, ihrer Mutter in der Küche zu helfen.

Zu ihrem achten Geburtstag bekam Maya ein Meerschweinchenpaar, das unbedingt Babys bekommen sollten. Sie versorgte und pflegte sie mit großer Sorgfalt, niemals musste sie dazu aufgefordert werden. Seit ihrem zehnten Geburtstag entwickelte sie ein großes Interesse an Pferden. Da die Nachbarn Pferde besaßen, konnte sie vereinbaren, dass sie, wenn sie im Stall half und die Pferde versorgte, kostenlose Reitstunden bekam. Der Stall und die Pferde wurden nun ihr ganzer Lebensinhalt. Sie mistete die Ställe aus, bürstete die Pferde, reinigte die Hufe, holte sie abends von der Weide und gab ihnen Wasser und frisches Heu. Ihr Tagesablauf im Alter von 14 Jahren sah folgendermaßen aus: Morgens, bevor sie in die Schule ging, brachte sie die Pferde zum Weiden auf die Koppel, nach der Schule wurden schleunigst die Hausaufgaben erledigt, um dann sofort wieder zu den Pferden zu gehen und zu reiten. Der Kontakt zu anderen Teenagern beschränkte sich auf kurze Gespräche in der Schule, ihr Leben war mit den Pferden ausgefüllt.

Dies ist ein sehr gutes Beispiel, wie eine Wandlungsphase das Leben eines Kindes dominieren kann und trotzdem bis zu einem gewissen Punkt unbeachtet bleibt, weil dieses Verhalten für das Umfeld des Mädchens keine Probleme darstellt. Ganz im Gegenteil, ihre Mutter schaute eher mitleidig auf die anderen Mütter, die sich Kämpfe mit ihren pubertierenden Töchtern lieferten.

Maya zeigte sehr deutlich die Charakteristika der Wandlungsphase Erde: Bevorzugt spielte sie allein, liebte im Garten zu arbeiten oder in der Küche zu helfen. Das Umsorgen anderer war ihr eine große Freude. Dabei hat sie die Qualitäten der Wandlungsphase Erde so stark ausgelebt, dass kein Raum blieb, mit anderen Kindern in Kontakt zu kommen und dadurch andere, wichtige Erfahrungen zu machen, die aus dem Zusammensein mit anderen Kindern entstehen. Im Gespräch mit der Mutter stellte sich heraus, dass diese Wandlungsphase auch für die Mutter Thema ist und dass das überbetonte Ausleben dieser Wandlungsphase der Entwicklung ihrer Tochter nicht nur förderlich ist. Nachdem Mayas Mutter dies erkannte hatte, entschloss sie sich dazu den Versuch zu unternehmen, die anderen Wandlungsphasen-Qualitäten bewusster in ihren Alltag zu integrieren und bei Maya dafür zu sorgen, dass diese vermehrt Unterstützung beziehungsweise Motivation erhält, um neben der Erde noch weitere Wandlungsphasen-Qualitäten zu „pflegen“.

Dieses Beispiel zeigt uns, wie wichtig es ist darauf zu achten, dass, wenn sich eine Wandlungsphase sehr stark in den Vordergrund drängt, die anderen Wandlungsphasen-Qualitäten zwar vorhanden sind, aber hervorgelockt werden müssen. Maya war es nicht gewohnt, durch die anderen Qualitäten zu agieren. Es mag daran liegen, dass sie diese Präferenz bereits mitgebracht und ihre Mutter diese Qualität vorgelebt hatte, so dass Mayas Erd-Aktivitäten durch die Mutter verstärkt wurden. Dadurch pflegte sie ihre Erde-Qualität und baute sie aufgrund der positiven Verstärkung durch die Mutter aus.

Ein weiteres Beispiel ist der dreijährige Melvin, der ebenfalls seine Mutter zur Behandlung begleitet. Sie bittet mich, eine Diagnostik bei ihrem Sohn durchzuführen, um ihr Tipps zu geben, wie sie ihn in seiner Entwicklung unterstützen kann. Während der Behandlung der Mutter bringt Melvin einige Spielsachen mit in den Raum und setzt sich in eine Ecke. Mit einem Seitenblick kann ich beobachten, dass das große und kräftige Kind mit krummen Rücken im Zwischenfersensitz still und versonnen da sitzt. Ausführlich beschäftigt er sich mit einem Beutel, der Tastsäckchen enthält. Mit großer Ausdauer und sehr konzentriert versucht er die Schnur herauszuziehen, mit der man den Beutel oben zuziehen kann, wobei er die Finger sehr präzise wie eine kleine Pinzette einsetzt. Dem eigentlichen Inhalt, den Tastsäckchen, schenkt er keine Beachtung. Nach einiger Zeit schiebe ich eine Holzkiste mit Rasseldosen in seine Nähe. Ohne sich groß zu bewegen zieht er die Kiste zu sich her und öffnet den Schnappverschluss. Er nimmt eine Dose heraus, schüttelt sie, lauscht und stellt sie zurück. Von da an interessiert er sich nur noch für den Schnappverschluss, den er mit großer Geschicklichkeit öffnet und schließt. Dies alles vollzieht sich in großer Stille. Nur das Klicken des Verschlusses erinnert mich daran, dass über 60 Minuten hinweg ein Kind im Behandlungsraum anwesend ist.

Nach der Behandlung seiner Mutter reagiert er auf meine ersten Versuche zur Kontaktaufnahme sehr zurückhaltend. Erst nach mehreren Spielangeboten schaut er mich für einen Augenblick direkt an und zeigt ein schüchternes Lächeln. Die Mutter erzählt, dass er in Gegenwart von Kindern Angst habe und bis vor einiger Zeit auch fremden Erwachsenen gegenüber sehr ängstlich gewesen sei. Er suchte dann sofort bei der Mutter Schutz, und sie musste ihn in die Arme nehmen. Das habe sich mittlerweile insoweit geändert, dass er zwar immer noch schüchtern, manchmal sogar ängstlich sei, aber nicht mehr in dieser ausgeprägten Form. Jedoch Kindern gegenüber zeige er weiterhin diese Angst und das sei ihre große Sorge, da er sich dadurch von anderen Kindern abkapsele.

Für die Mutter war seine Entwicklung zunächst sehr angenehm, da er sich meist still und ausgiebig mit sich selbst beschäftigen konnte. Wenn er etwas wollte und es nach dem ersten vorsichtigen Kundtun nicht gleich bekam, dann hat er sich damit abgefunden und nicht länger gedrängt. Die Mutter vermutet, dass er durch dieses Verhalten vielleicht nicht alles bekommen hat, was er gebraucht hätte.

Melvin mag keine schnellen Ortswechsel im Spiel oder im Alltag, vielmehr verweilt er bei einer Sache, bevor er sich einer nächsten zuwendet – für alles braucht er Zeit und hat einen eigenen Rhythmus. Sprachlich als auch motorisch hinkt er seinem Alter hinterher und braucht noch immer seine Windel. Größere körperliche Aktivitäten im Spiel oder bei einem Spaziergang ermüden ihn sehr schnell. Seine Mutter erinnert sich an Zeiten, in denen er sich zu schwach fühlte, die Treppe hoch zu laufen, obwohl es dafür keinen organischen Grund gab.

therapeutischer Alltag

An diesem Beispiel sehen wir, wie eine Dysbalance zum Ausdruck kommen kann. Auf der einen Seite zeigt Melvin Qualitäten, die für sein Alter sehr ungewöhnlich sind, die ihn aber auf der anderen Seite in seiner weiteren Entwicklung behindern: Die Qualität des Wassers verhilft Melvin dazu, ein sehr pflegeleichtes Kind zu sein. Er kann überall hin mitgenommen werden, nirgends stört er oder unterbricht die Gespräche der Erwachsenen, und er kann sich sehr gut allein beschäftigen. Allerdings besteht dadurch die Gefahr, dass er und seine Bedürfnisse nicht wahrgenommen werden.

So werden auch sein rasches Ermüden und seine Ängstlichkeit leicht übersehen. Seine Feinmotorik ist sehr gut ausgebildet –auch sie ist ein Geschenk des Wassers. Dagegen ist die Wandlungsphase Holz eher unterrepräsentiert, was sich in mangelndem Bewegungsdrang darstellt. Sein fehlendes Interesse zur aktiven Erforschung der Umwelt, sein fehlendes Durchsetzungsvermögen und seine wenig ausgeprägte Experimentierfreudigkeit sind unterrepräsentierte Holz-Qualitäten, die ihn auch daran hindern einen tüchtigen Wutanfall zu bekommen, wenn es mal nicht so geht, wie er möchte. Ausprobieren, was man mit den einzelnen Materialien alles anfangen kann, gehört daher nicht zu seinen Handlungsstrategien.

Bei Melvin zeigt sich eine Disharmonie im Zusammenspiel zwischen Wasser und Holz. Aus der Perspektive der Wandlungsphasen ist eine von ihnen in ihrer Ausdrucksform blockiert, dadurch kann sich die andere verstärkt ausdrücken. Grundsätzlich gibt es vielfältige Möglichkeiten, wie sich eine blockierte Kraft im Verhalten eines Kindes zeigen kann. Im vorliegenden Beispiel Melvin behinderte die Wandlungsphase Wasser den natürlichen Entdeckerdrang und die Neugierde, die Kindern eigen ist. Geben wir nun der Holz-Qualität genügend Raum sich auszudrücken, wird also das Holz nicht mehr länger „beschnitten“, dann kann Melvin Neues entdecken und mit jeder positiven Erfahrung seine Ängste vermindern.

Auf keinen Fall darf man jetzt in eine Art Rezepturdenken verfallen und hier ein paar Angebote zu Holz und ein paar Angebote zu Wasser machen. Auch wenn sich diese beiden Wandlungsphasen deutlich zeigen, bedeutet dies, dass der Fluss in allen Fünf Wandlungsphasen aus dem Gleichgewicht geraten ist und deswegen immer Angebote aus allen fünf Qualitäten in der Reihenfolge des Wandlungsphasen-Zyklus gemacht werden soll. Das Kind entscheidet selbst, welche Schwerpunkte es im Moment braucht. Vielleicht muss Melvin erst noch etwas Sicherheit in seiner „Erde“ gewinnen, bevor er sich darauf einlassen kann mit Holz und Wasser zu experimentieren.

Die Einengung ein Kind nur auf Holz und Wasser zu reduzieren und alle Handlungen nur aus diesem Blickwinkel zu betrachten, würde der östlichen energetischen Vorstellung völlig zuwiderlaufen. Diese Suche nach den Extremen, nach dem besonders Auffälligen erschwert uns, die Thematik des Kindes wirklich zu verstehen, denn damit laufen wir Gefahr, Schubladen zu schaffen, in die wir die Kinder einordnen, ähnlich wie wir es in der westlichen Medizin häufig erleben können.

Genau das passiert leider sehr oft, wenn östliches Wissen, besonders die Theorie der Wandlungsphasen, in westliches Gedankengut übertragen wird – vergleichbar mit den Tests in populären Zeitschriften, bei denen wir einige Fragen beantworten um herauszufinden, welcher Typ wir sind und wie wir uns gegebenenfalls verhalten sollen. Diese Problematik der Typisierung sorgt im Rahmen von Fortbildungen für westlich ausgebildete KindertherapeutInnen immer wieder für Diskussionsstoff und zeigt wie schwierig es ist, in unseren westlich trainierten Köpfen östliches Gedankengut zu implantieren.

Markus ist acht Jahre alt, als er mit der Diagnose ADS zu uns kommt. In der Schule fällt er auf, weil er so zappelig und unkonzentriert ist. Ab und zu „tickt er mal aus“, wie mir erläutert wird, boxt oder schubst er dann ein anderes Kind. Zwar passiert dies nicht oft und hinterher tut es Markus immer sehr leid, zumal er nicht weiß, warum er das tut. Dazu steht er während des Unterrichts einfach auf und rennt in der Klasse herum, weil er das Aktivierungsniveau nicht länger halten kann. Weiterhin fällt auf, dass er immer bestimmen möchte. Der Kinderarzt hat ihm Ritalin verordnet und eine zusätzliche Untersuchung bei einer Kinder- und Jugendpsychotherapeutin. Diese bestätigt die Diagnose ADHS – Motorische Unruhe und Impulsivität – und eingeschränkte verbale Fähigkeiten, die sich darin äußern, dass er große Schwierigkeiten hat, sich klar und deutlich auszudrücken. Sie schlägt ein Konzentrationstraining und ebenfalls die Gabe von Ritalin vor.

Die Mutter erzählt, dass er beim Schreiben oft so fest aufdrücke, dass der Stift abbricht und er dabei ganz verkrampft sei. Bei Diktaten mache er viele Fehler. Sie hat ein Heft von Markus mitgebracht, das mehr gelocht als beschrieben ist. Auf Nachfrage erzählt sie, dass Markus als Kind weder krabbelte noch robbte. Er war ein Sitzkind und ist aus dieser Position aufgestanden und gelaufen. Rollerfahren konnte er mit großen Schwierigkeiten nur mir dem rechten Bein, und zum Fahrradfahren kam er nur mit Zwang – auch jetzt fährt er nur, wenn er unbedingt muss.

Auf den ersten Blick betrachtet zeigt sich eine Unausgewogenheit in der Wandlungsphase Holz: überschießende Energie, die sich in motorischer Unruhe und Bewegungsdrang äußert, bei gleichzeitigen Problemen mit dem Gleichgewicht – ein kleiner General, der seine Truppen befehligen möchte und keinen Aufstand duldet – die Schwierigkeit Kraft zu dosieren – um nur einige Beispiele zu nennen. Aber es melden sich auch die Feuerqualität (Probleme im sprachlichen Ausdruck) und die Erd-Qualität (Schwierigkeiten sich konzentrieren zu können).

In der ersten Stunde arbeiten wir in dem großen Sprungtuch, das von der Decke gespannt ist. Markus plant sehr genau, wie hoch er sich eine Treppe bauen muss, um in das Tuch klettern zu können. Achtsam schleppt er die verschiedenen Elemente herbei und baut eine Treppe. Im Tuch unternimmt er die ersten vorsichtigen Stehversuche mit der Frage: „Sind sie auch ganz sicher, dass das Tuch hält?“ Ich bejahe es. Dann die nächste Frage: „Mit wie vielen Kindern haben Sie das bereits erprobt, und wie viele Kinder können gleichzeitig in das Tuch?“ Auch diese Fragen beantworte ich. Markus überlegt und meint: „Ich bin doch nicht ganz sicher, ob ich das glauben kann.“ Daraufhin überlegen wir gemeinsam, was wir tun können, damit er sich sicher fühlt. Nachdem wir einen großen Matten- und Kissenberg unter das Tuch gelegt haben, klettert Markus wieder in das Tuch und hat viel Spaß beim Hüpfen, sich die Seitenwände herunterrollen zu lassen oder in das Tuch zu springen. Er bleibt 45 Minuten völlig konzentriert bei der Sache. Danach ist er sofort bereit, alles wieder aufzuräumen.

therapeutischer Alltag

Nach dieser Stunde bin ich darüber völlig verblüfft, dass er sehr klar spricht, sehr präzise formuliert und sofort auf den Punkt kommt. Konfrontiert mit der neuen Erfahrung „Sprungtuch“ versuchte er zuerst, die Gefahren und seine eigenen Möglichkeiten abzuschätzen. Nachdem er sich ausreichend abgesichert hatte, blieb er die ganze Therapiestunde über völlig konzentriert bei der Sache, ohne in irgendeiner Form zu „überdrehen“.

Aus der Sicht der Wandlungsphasen bedeutet das, dass sich hier ganz deutlich die Qualitäten von Feuer (Sprache und Begeisterungsfähigkeit für eine Sache) und Wasser (Sicherheitsbedürfnis, Mut für Neues und Unbekanntes und sich darauf einzulassen, sich Momente der Ruhe suchen in der Aktivität) ihren Ausdruck gesucht haben.

Wir treffen die Vereinbarung, dass er sich immer drei Materialien für eine Stunde aussuchen darf um dann gemeinsam zu überlegen, was wir damit machen. Für die nächste Stunde plant er einen Zirkus. Dafür bauen wir mit der Bank eine schräge Wackelbrücke für den gefährlichen Sprung von der Zirkuskuppel in einen Kissenberg. Er hat sich dafür einen Gymnastikreif ausgesucht, durch den er springen will. Also legen wir Matten bereit und Markus bestimmt, in welcher Höhe ich den Reif halten soll. Dann springt er im Hechtsprung hindurch. Das gelingt ihm, ohne den Reif auch nur im geringsten zu berühren (Metall-Qualität: spüren der eigenen Grenzen). Darauf hin soll der Reif immer höher gehalten werden und er knallt immer fester auf die Matte. Als ich darauf bestehe, noch zusätzliche Kissen zum Abpolstern hinzulegen, ist ihm das völlig unverständlich, da er überhaupt nicht spürt, mit welcher Kraft er auf den Boden knallt. Nach dieser Stunde lasse ich Markus ein paar Sätze schreiben: er schreibt klar und deutlich, ohne dabei zu verkrampfen. Nach diesem Schema verlaufen mehrere Stunden. Die Mutter berichtet, dass Markus sich zu Hause neuerdings mit Metallbaukästen beschäftige und seine Konstruktionen immer wieder mit großer Geschicklichkeit und Ausdauer umbaue, zudem habe er große Freude am Schwimmen entwickelt. Ganz nebenbei erfahre ich erst jetzt, dass Mathematik sein absolutes Lieblingsfach sei.

Für die nächste Stunde wünscht sich Markus alles ganz allein zu machen. Er sucht sich wieder drei verschiedene Materialien aus: drei Heulschläuche, ein Rollbrett und einen Gymnastikreif. Markus sitzt zwischen seinen Gegenständen und schiebt sie mal hierhin mal dorthin, nimmt dann den nächsten in die Hand und legt ihn wieder weg. Er wird immer unruhiger und blickt im Raum umher. Er fragt, ob er sich noch andere Sachen holen könne was ich verneine und ihn dabei an unsere Vereinbarung erinnere. Darauf hin nimmt er die drei Heulschläuche und sagt, er möchte ein Spiel spielen, das er mir zuerst erklärt müsse. Er möchte mit diesen drei Schläuchen verschiedene Figuren (Auto, Tier oder Mensch) legen und ich soll jeweils raten, was es darstellen soll. Fahrig versucht er, mit den Schläuchen irgendetwas zu legen, aber es klappt nicht und so liegen alle drei immer in derselben Form nebeneinander – ich soll aber trotzdem raten. Auf diese Art verläuft die Stunde und droht zum Fiasko zu werden, dabei merke ich, wie Markus immer angespannter und zappliger wird. Er probiert kurz in Bauchlage das Rollbrett aus, was ihm aber viel zu anstrengend ist. Er schafft es kaum, sich von der Stelle zu bewegen. Was war geschehen? Warum liefen alle früheren Stunden so ruhig und rund?

Wie bereits erwähnt ist es bei unseren Behandlungseinheiten wichtig, immer dem Lauf der Fünf Wandlungsphasen zu folgen, wie er sich aus der natürlichen Abfolge ergibt. Wie viel Zeit auf eine Qualität verwendet wird, ist unterschiedlich und ergibt sich aus der Situation heraus. Man spürt wann es Zeit ist mit der nächsten Qualität zu arbeiten. Oft genügen ein paar Fragen, um die nächste Wandlungsphase einzuleiten. So war es bisher auch bei Markus der Fall.

Der Einstieg in die Stunde erfolgt über die Wandlungsphase Holz. Nachdem wir das Material ausgesucht haben frage ich: „Hast du eine Idee, was du damit machen möchtest?“ – oder „Probier mal aus, was du damit alles machen kannst!“

-> Holz: Wie entwickle ich eine Idee für ein bestimmtes Thema oder ein bestimmtes Material, das sich durch die Stunde zieht? Welches Material soll heute zum Einsatz kommen?

-> Feuer: Was macht dir besonderen Spaß? Möchtest du noch etwas verändern, damit es dir noch mehr Spaß macht?

-> Feuer: Wie schaffe ich eine Atmosphäre der Partnerschaft? Wie stelle ich die verbale und nonverbale Kommunikation zwischen mir und dem Kind her?

-> Erde: Möchtest du meine Hilfe? Brauchst Du noch für irgendetwas Unterstützung? Sollen wir etwas umbauen damit es dir besser gelingt?

-> Erde: Wie kann ich Unterstützung anbieten und die Balance von Geben und nehmen möglich machen?

Sobald der Aufbau fertig war oder Markus etwas ausprobiert oder geübt hatte, bekam er die Gelegenheit, seine Mutter in den Therapieraum herein zu bitten und ihr seine Aktivitäten zu zeigen. Den Zeitpunkt, wann dies geschehen sollte, durfte er selbst bestimmen. Die Anerkennung und der Respekt der Mutter für seine Leistung haben die Wandlungsphase Metall angesprochen.

-> Metall: Wie gebe ich dem Ganzen eine äußere Struktur, eine äußere Ordnung und einen Rhythmus? Wie zeigt sich Respekt und Anerkennung?

therapeutischer Alltag

Hatte die Mutter dann wieder den Raum verlassen, konnte die Wandlungsphase Wasser angesprochen werden: entweder er hat sich in seinen Aufbau gelegt und diesen noch genossen oder er wollte unter einen dicken Styroporsack kriechen und „Gaaanz dollll“ gedrückt werden. Ab und zu haben wir uns noch etwas erzählt, wobei jeder abgewartet hat, wann der andere fertig ist.

-> Wasser: Wie schenke ich den Prozessen Gehör, um einen ständigen Fluss zu gewährleisten, aber auch Momente der Ruhe und Stille möglich zu machen?

Dies ist ein Beispiel aus den vielen Möglichkeiten, wie der natürliche Fluss der Wandlungsphasen in einer Therapiestunde unterstützt werden kann. Da ich seit vielen Jahren nach diesem Ansatz arbeite, habe ich diesen Ablauf so verinnerlicht, dass ich nicht mehr darüber nachdenken muss. Dies war auch bei Markus der Fall. Erst als eine Stunde anders – nämlich schief – gelaufen ist, habe ich darüber reflektiert und mir wurde bewusst, wie sehr Markus meine Navigation in diesem Fluss braucht.

Markus ist eines von vielen Beispielen, dass sich Kinder (wie auch Erwachsene) in verschiedenen Situationen durchaus verschiedener Wandlungsphasen-Qualitäten bedienen, weil sie damit auf bestimmte Lebenssituationen, Ereignisse oder Personen reagieren. Obwohl sich vordergründig in diesem Beispiel die Wandlungsphase Holz zeigt, muss die Problematik nicht in dieser einzelnen Wandlungsphasen liegen, sondern liegt tatsächlich im Zusammenspiel aller Wandlungsphasen. Denn nicht alle Facetten einer Persönlichkeit sind ausschließlich von einer Wandlungsphasenqualität geprägt – vielmehr zeigt sich ein unendlicher Reichtum an Mischformen. Die Problematik scheint nicht so sehr in einer Überbetonung oder einem Mangel einer einzigen Wandlungsphase zu liegen, sondern eher in der Vernetzung und im Zusammenklang der Melodie. Es scheint, dass bestimmte Wandlungsphasen-Qualitäten sich immer in bestimmten Situationen zeigen und dass Kinder nicht in der Lage sind, in dieser bestimmten Situation Verhaltensweisen einer anderen Wandlungsphasen-Qualität abzurufen. In einer neuen Situation kann diese nicht abrufbare Wandlungsphasen-Qualität aber sehr wohl im Vordergrund stehen. Problematisch wird es, wenn sich vorhandene Programme verselbstständigen und zu Gewohnheitsmustern werden und dadurch ein anderes Handeln nicht mehr ermöglichen oder zumindest erschweren.

Beobachten wir Kinder, so erhalten wir eine Fülle von Informationen. Dabei bieten uns die Wandlungsphasen eine große Hilfe, um für alle Informationen eine Ordnung zu finden oder eine Orientierung zu erhalten. Aus allen Mosaiksteinchen einer Persönlichkeit entsteht für uns ein Gesamtbild, das es uns erlaubt, ansatzweise zu erspüren, was dem Wesen eines Kindes sein besonderes Gepräge gibt. Dies erfordert vom Beobachter eine große Offenheit und Unvoreingenommenheit. Das bedeutet vor allem, dass wir uns nicht bereits aus den Vorinformationen auf ein Bild festgelegt haben und versuchen, das Kind in die Wandlungsphasen als ein festes Schema zu pressen. Jede von uns aufgestellte These zur Beschreibung des Kindes prüfen wir nach jeder Behandlungseinheit auf ihre Stimmigkeit. Mit jeder Form der Typisierung wollen wir sehr achtsam und respektvoll umgehen. Hier ist besonders unsere eigene Metall-Qualität als Behandler gefordert. Diese Wandlungsphase gibt uns die Kraft zur Ordnung unserer Eindrücke, kann aber auch sehr schnell unseren Blickwinkel einengen und das Erkennen eventueller Veränderungen behindern, sobald wir den Respekt und die Achtsamkeit einem strukturellen Denken unterordnen.

Die auf der Grundlage der Wandlungsphasen durchgeführte Beobachtung eines Kindes sucht nicht nach Defiziten oder Normabweichungen, sondern nach seinen Fähigkeiten und Ausdrucksformen. Der Fokus unseres Interesses richtet sich auf die Vielfalt, auf die Einzigartigkeit und auf den Facettenreichtum eines jeden Kindes. Dabei ist zu beachten, dass die Persönlichkeit eines Kindes durch seine individuelle Mischung aus den Zutaten der Wandlungsphasen geformt wird, die sich, je nach Situation, unterschiedlich darstellen können. Uns geht es um die Vielfalt, damit die verschiedenen Qualitäten mit ihren Gaben uns in allen Situationen zur Verfügung stehen und sich entfalten können. Trotzdem wird jeder Mensch seine persönlichen Ausprägungen entwickeln; dies zeigt sich sowohl in motorischen, sensorischen und emotionalen Reaktionen, aber auch in bestimmten Verhaltens- und Handlungsmustern.

Achtsamkeit, Respekt und Hochachtung vor der Entwicklung und der Persönlichkeit jedes einzelnen Kindes sind die Hauptpfeiler unserer Arbeit. Die Umsetzung der Fünf Wandlungsphasen in das alltägliche Leben mit den Kindern – sei es innerhalb einer Therapieeinheit, im Kindergarten, in der Schule oder zu Hause – dient als Hilfe, damit diese ihr inneres Gleichgewicht erhalten oder wiederfinden können. Die Auseinandersetzung mit den Wandlungsphasen und ihren besonderen Qualitäten ist ein wertvolles Hilfsmittel, um in der Arbeit und im Umgang mit Kindern den individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten der Kinder näher zu kommen und ihnen dadurch vielleicht gerechter zu werden.

———————————————————————–

© Karin-Kalbanter Wernicke ist Physiotherapeutin und Shiatsu-Lehrerin und gründete 1983 das “Institut für Shiatsu und Orientalmedizin” (veröffentlicht in Praxis der Pychomotoik November 2005)