Die Entwicklung von Berührung im Shiatsu (Cliff Andrews)

Übersetzung: Micheline Pfister

Vor 15 Jahren lag ich auf einem Futon in Grimstore Manor in Devon, erhielt eine Shiatsubehandlung von meiner Lehrerin Pauline Sasaki und verstand nicht, was mit mir geschah. Als sie arbeitete, konnte ich den tiefen fokusierten Druck ihrer Daumen fühlen, aber da war noch etwas anderes, etwas unerwartetes. Ich nahm Veränderungen auf anderen Ebenen wahr, ein Gefühl von Bewegung im Raum innerhalb und ausserhalb meines Körpers.

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Ich war die Zwei-Hand-Masunaga-Technik gewohnt, bei der Bewegungen und Veränderungen lokal und zwischen Mutter- und Kind-Hand zu spüren sind. Was ich nun spürte, war etwas ganz anderes. Ich konnte nicht verstehen, wie der Druck ihrer Daumen all diese ungewöhnlichen Empfindungen und Gefühle hervorrufen konnte. Plötzlich wurde mir bewusst, dass Pauline die Shiatsu-Berührung umgewandelt und erweitert hatte, und dass es noch viel zu lernen gab.

In den 80er-Jahren hatte Pauline im Laufe von jährlichen Kursen in Lam Rim in Wales die Masunaga „Zen Shiatsu-Methode“ erfolgreich unterrichtet, gelehrt und in ein System gebracht. Es waren ungeheuer bereichernde Workshops. Fast jeder von den teilnehmenden Studenten wurde später zu einem Senior-Lehrer oder Leiter einer Schule. Wenn du das Masunaga-System in England studiert hast, dann ist es beinahe ganz sicher, dass das Gelehrte seinen Ursprung in diesen inspirierenden Workshops hatte.

Als ich nach meiner Lehrzeit in Amerika 1986 nach Europa zurückkehrte trafen Pauline und ich uns mindesten zwei Mal im Jahr um zusammen Workshops in Europa und Amerika zu halten. Die Funken sprühten, als wir unsere gemeinsamen Erfahrungen in eine verständliche und lehrreiche Form brachten. In den letzten Jahren habe ich daran gearbeitet diese Durchbrüche nun in eine Reihenfolge zu bringen. Ich erkannte, dass es möglich sein sollte, alles, sowohl in eine historische Perspektive, eine logische Entwicklung der Theorie und Techniken des Shiatsu, wie auch in eine Entwicklung der Berührung im Shiatsu zu bringen.


Die physische Berührung

Der grundsätzlichste Weg, wie wir die Berührung im Shiatsu erfahren können, ist auf der physischen Ebene. Wenn wir auf die Empfindung, das Gefühl unter unseren Händen fokusieren, können wir uns in die Haut, die Muskeln, die Knochen und in die Energiemenge eines bestimmten Ortes einstimmen. Wir können Techniken anwenden, die uns eine Rückmeldung von dem Bereich geben, wo wir gerade arbeiten.

Das Namikoshi-System basiert auf westlicher Anatomie und Physiologie. Aus historischen und politischen Gründen wird das Meridiansystem nicht als Teil des Namikoshi-Systems aufgeführt. Die Technik besteht in erster Linie darin, eine arbeitende Hand zu benutzen. Die zweite Hand wird so eingesetzt, dass sie den Empfangenden am Boden stabilisiert. Shizuto Masunaga unterrichtete während zehn Jahren an der Namikoshi-Schule. Seine Studien über TCM und Ki, kombiniert mit seiner umfassenden praktischen und klinischen Shiatsu-Erfahrung, haben ihn dazu geführt, Shiatsu zu revolutionieren.

 
Masunaga Revolution

Shizuto Masunaga war wahrscheinlich der Meister, der Shiatsu bis heute am stärksten beeinflusst hat. Masunaga machte eine Entdeckung, welche den Standard für alle nachfolgenden Entwicklungen setzte. Die Entdeckung lautete: „So wie wir unsere eigene Energie brauchen, bestimmt, wie wir die Energie des Empfangenden erfahren.“

Das Zwei-Fingerdruck-Experiment („Zen Shiatsu“ S.49) erlaubt uns, mehr als nur die lokale Empfindung zu erfahren. Plötzlich fühlen wir nicht nur allein die physische Anatomie, die Knochen und Muskeln und die Energiequantität an einem bestimmten Ort. Wenn wir entspannen und unseren Fokus in unser Hara bringen, ändert sich auch unsere Erfahrung – wir fühlen die Verbindung zwischen unseren beiden Händen. Es liegt im Gefühl dieser Verbindung, dass wir die Verläufe der Meridiane erfahren können.

Das Gefühl von Verbindung oder Bewegung von Energie zwischen unseren Händen in der Masunaga-Technik wird die dominante Erfahrung. Das Gefühl von Energie an einem bestimmten Ort wird zweitrangig. Die Zwei-Hand-Technik von Verbindung, Kyo und Jitsu, Anregen und Beruhigen, führt Yin und Yang und Ki zurück in den Kern der Shiatsu-Erfahrung.


Das Kyo-Jitsu-Paradox

Du findest ein Blasen-Jitsu im Hara. Dickdarm fühlt sich am leersten an, gefolgt von Herz und Dünndarm. Du hälst die Blasenzone und berührst nacheinander die Kyos. Die Herzzone ist diejenige, die mit der Blasenzone reagiert – du fühlst wie das Blasen-Jitsu „blip“ macht und dann wieder verschwindet. Der energetische Befund zeigt sich als Blasen-Jitsu und Herz- Kyo.

Das ist Basis-Masunaga-Technik. Hast du dich aber schon gefragt, wieso wir diese Methode anwenden, um das Kyo auszuwählen? Wieso ist das reagierende Kyo nicht immer das Kyo desjenigen Meridians, der uns am leersten erscheint? Das nennen wir das Kyo-Jitsu-Paradox. Seine Auflösung führt uns in eine erweiterte Erfahrung von der Natur des Ki. Dies ist der Zugang zu einer anderen Dimension.

Natürlich, wenn tonisieren “auffüllen mit Energie” und sedieren “wegnehmen von Energie” bedeutet, und es unser Ziel ist, die Energie des Empfangenden auszubalancieren, würden wir die grösste Veränderung immer über den „leersten“ und „vollsten“ Meridian erhalten. Wenn der reagierende Kyo-Meridian nicht derjenige Meridian ist, welcher auf der physischen Seite als der leerste erscheint, dann muss es eine andere nicht-physische Qualität des Kyo-Meridians geben, welche bewirkt, dass er mit dem Jitsu reagiert. Wenn wir auf die nicht physischen Aspekte von Ki fokusieren, werden wir automatisch aus dem physischen Körper heraus ins ätherische Feld geführt.


Kishi‘s Lösung

Shinmei Kishi sitzt bewegungslos da. Er zentriert sich, du kannst beobachten wie er seine Energie sammelt. Er bringt seine Hände in die Gebetsposition und schwebt dann mit seinen Händen über den Körper des Empfangenden. Er wird von einem Punkt angezogen und berührt dort den Körper. Danach nimmt er seine Hände beim nächsten markanten Ausatmen weg. Die Behandlung ist vorbei. Eine dramatische und unvergessliche Erfahrung. Was aber geht da vor sich und warum arbeitet er auf diese Weise?

Kishi war Masunagas erster Schüler und wurde auserwählt, um Masunagas Werk weiterzuführen. Warum also hat er die normale Shiatsu-Form verlassen? Shinmei Kishi hat das Kyo-Jitsu-Paradox gelöst, indem er seinen Fokus verändert hat. Er bewegt sich weg vom physischen Körper und der Dualität von Kyo und Jitsu, indem er das gesamte Energiefeld als Ganzes behandelt. Er begibt sich ins ätherische Feld, weil dort die Antwort für das Kyo-Jitsu-Paradox liegt.


Pauline Sasaki und die Revolution von Quantum Shiatsu™

Die 90er-Jahre waren die Zeit in der eine atemberaubende Veränderung in der Entwicklung von Shiatsu stattfand. Die Grenzen des Masunaga-Systems wurden durchbrochen. Shiatsu veränderte sich in die Richtung, wo ein Zugang zum erweiterten energetischen Feld möglich wurde.

Pauline Sasaki war möglicherweise die weltweit führende Zen-Shiatsu-Lehrerin in den 70er- und 80er-Jahren. Sie übersetzte das Buch „Zen Shiatsu“ und studierte umfassend bei Masunga in Amerika und Japan. Sie wurde wegen ihres systematischen und grundlegenden Verständnisses für Masunagas Arbeit in ganz Europa bekannt. Während dieser Zeit geriet sie mit ihrer Arbeit immer mehr an die Grenzen des Masunaga-Systems. „Ich begann in meinem Shiatsu Dinge zu erfahren, die mir keiner erklären konnte und ich auch keine Hilfe erhielt.“ „Auf meiner Suche bin ich an Shinmei Kishi gelangt und fragte ihn, ob ich bei ihm als sein Lehrling arbeiten könnte.“

Pauline machte es sich zur Aufgabe, Kishi‘s hochstehende energetische Wahrnehmung zurück in eine Shiatsu-Technik zu bringen. Um dies zu erreichen, musste sie die Ausführung von Shiatsu-Techniken nochmals erfinden. Daraus entstand ein neuer Shiatsu-Stil. Die Herausforderung dieses Stil‘s der Quantum-Shiatsu™ -Technik ist es, die Verbindung mit der Information aus dem ätherischen Feld oder anders gesagt der nicht-physischen Aspekte von Ki aufrechtzuerhalten, und gleichzeitig das ganze Körpergewicht zu gebrauchen, um Shiatsu-Techniken anzuwenden.

Masunaga‘s bahnbrechende Entdeckung bestand darin durch den Einsatz des Haras und der Zwei-Hand-Technik, Verbindungen im Körper zu spüren.

Pauline entwickelte das System weiter. Der Einsatz der Wirbelsäule, sprich des mikrokosmischen Kreises von Konzeptions- und Lenkergefäss, ist das neue Zentrum des Gebenden. Diese Technik, bei der du dein Energiefeld ausdehnst, indem du deine Wirbelsäule öffnest und deine periphere Sicht erweiterst, während du dein Körpergewicht nach vorne bringst, erlaubt dir den Zugang zum erweiterten energetischen Feld. Dann gibst du mit entspanntem Körpergewicht senkrechten Druck auf den Empfangenden ab. Pauline hat auf diese Weise Shiatsu revolutioniert und ein neues Kapitel in der Entwicklung der Berührung im Shiatsu eröffnet.

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© Cliff Andrews ist Mitbegründer des Shiatsu College in Norwich (GB) und Direktor des shiatsucentre.net, cliff@shiatsucentre.net, Telefon: +44 (1) 603 632555 (veröffentlicht im Schweizer Shiatsu Journal Nr. 1, August 2004)