Dialog über das Berufsfeld von Shiatsu. Antwort auf Peter Itin (Frank Seemann)
Lieber Peter, wir, der Vorstand der GSD und ich, als Autor des persönlichen Berichts vom GSD-Fachtag 2009 in Berlin begrüßen Deine Reaktion und Deine Anregungen (“Shiatsu-TherapeutIn” ist ein Beruf und mehr als “Shiatsu im Anwendungsfeld Therapie”) und nehmen dies gerne als Gelegenheit zum Dialog über das Berufsfeld von Shiatsu.
Anfangs war ich über den Begriff “Replik” erstaunt, da ich in Deinem Schreiben wenig von “Gegenrede” finde. Aber vielleicht ist dies nur eine schweiz/deutsche Sprachverwirrung, wie wir sie ja kennen, denn in einer ähnlich lautenden Mail an mich, in der Du den Sachverhalt etwas modifiziert darstellst, sprichst Du von einem “Feedback”.
Ich sehe zunächst, dass Du darin die Gelegenheit nutzt, noch einmal die wichtige und besondere Situation und Entwicklung von und für Shiatsu in der Schweiz darzustellen. Dies ist immer aufschlussreich, manchmal aber nur bedingt auf die Situation in anderen europäischen Staaten übertragbar. So lautetet beispielsweise bei uns die Berufsbezeichnung “Shiatsu-PraktikerIn GSD” und die Arbeit als “TherapeutIn” ist nur ein möglicher Anwendungsbereich.
Daran wird mir noch einmal deutlich, dass auch nach so vielen Gesprächen, vor allem auch im International Shiatsu Network (ISN), die Besonderheit und quasi der “Clou” der von der GSD vertretenen Verortung von Shiatsu und die besondere Situation in Deutschland nicht wirklich angekommen zu sein scheinen.
Wir sind der Auffassung, dass Shiatsu in verschiedenen Anwendungsfeldern mit jeweils ganz unterschiedlichen Voraussetzungen, Zusatzkompetenzen und Zielrichtungen ausgeübt werden kann und auch wird. Wir haben bislang an unterscheidbaren Feldern: Gesundheitsförderung, Bildungsarbeit, Lebensbegleitung, Therapie und spirituelle Förderung erkennen können. Dies bedeutet, dass beispielsweise für den Bereich der Therapie in Deutschland die Kompetenzen und formalen Voraussetzungen eines Heilberufes zusätzlich notwenig sind, so wie im Bildungsbereich sicherlich pädagogische Fertigkeiten und Kenntnisse und im spirituellen Bereich vermutlich die Anbindung an eine spirituelle Ausrichtung hinzu kommen müssen.
Wir begrüßen und unterstützen daher auch Dein Eintreten für methodenübergreifende Kompetenzen, allerdings in dem Sinne, dass diese für jedes Anwendungsfeld spezifisch definiert werden müssen und diese durchaus unterschiedlich sein können. Gleichzeitig sind wir der festen Auffassung, dass wir in den Feldern alle das gleiche Shiatsu machen – nicht im Sinne von Gleichmacherei, aber im Sinne von auf gleichen Grundsätzen und qualitativen Anforderungen beruhend. Ein minder- oder höherwertiges Shiatsu in einem oder anderem Bereich lehnen wir ab. Eine gute und verantwortungsbewusste Behandlung im Wellness-Hotel erfordert eine ebenso gute und gründliche Ausbildung wie im Krankenhaus oder der Rehaklinik.
Hier können wir uns auf eine Vielzahl an notwendigen Kompetenzen stützen, wie wir sie in unseren GSD-Schulen und übrigens auch wir gemeinsam im Manifest des ISN definiert haben ohne Gefahr zu laufen eine reine „Methodenausbildung“[1]Kursive Teile in Anführungsstrichen sind Zitate aus Peter Itins Feedback. zu bieten.
Es bleibt jeder GSD-Schule freigestellt, ob sie eine mehr oder weniger auf ein Anwendungsfeld hin orientierte Ausbildung und entsprechende Zusatzkompetenzen anbieten möchte. Allerdings gibt es sicherlich auch, ich nenne es einmal Anwendungsfeld-übergreifende Kompetenzen, die in einer Shiatsu-Ausbildung vermittelt werden sollten. Hier arbeiten wir als Vorstandsgruppe in Zusammenarbeit mit den Schulen seid einiger Zeit an einem Katalog und sind an Vorschlägen und Erfahrungen sehr interessiert!
Allerdings dürfen wir diese nicht verwechseln mit den Kompetenzen für den rein therapeutischen Bereich. So gehe ich mit Dir konform, dass wir auch in allen anderen Anwendungsfeldern z.B. die kommunikative Fähigkeit besitzen müssen, unseren Klienten – ob mit oder ohne Beschwerden – die gesundheitsfördernd (salutogenetische) Ausrichtungen von Shiatsu verständlich zu machen, dass wir in Recht und Berufsethik bewandert sein müssen oder unsere Grenzen in Supervisionen reflektieren sollten, etc.
Dass wir deshalb aber „medizinische Befunde einordnen“ und eventuell an „Fachkräfte weiter verweisen“ können müssen, halte ich für fraglich. Denn dies würde bedeuten, dass wir eine fundierte Differentialdiagnose stellen können. Das geht aber nur durch eine gründliche medizinische Ausbildung. Ein diagnostisches Halbwissen halte ich für gefährlicher als den Verweis darauf, dass ich nicht symptomorientiert arbeite und mich an die gesunden Ressourcen und Selbstregulierungskräfte wende. Symptome und Krankheiten müssen von Ärzten und/oder HeilpraktikerInnen abgeklärt werden!
Ebenso kann ich aus meiner Erfahrung nicht bestätigen, dass es „spezifische, geeignete Shiatsu-Techniken gibt“, die ich in bestimmten Situationen anwenden kann, darf oder muss. Würden wir Solches unterrichten, wäre genau das für mich reine „Methodenausbildung“ und wir hätten vermutlich längst einen Katalog zu Situationen passender Techniken entwickelt. Das „mechanistische Drücken von Tsubos“ war im Übrigen nie Bestandteil einer GSD – Ausbildung. Auch entspricht es nicht unseren Vorstellungen, dass im Shiatsu die „eigentlichen Herausforderungen …im Lösen von Erstarrungen“ liegen.
Vielmehr sollten wir als Shiatsu-PraktikerInnen GSD ein sicheres Gefühl für das Energetische erlernt haben und die Wachsamkeit und Sensibilität, richtig einschätzen zu können, was Hier und Jetzt für diesen Menschen richtig ist. Dies kann auch das gleichwertige Gespräch sein, aber ich kenne auch viele, erfahrene KollegInnen, die wie ich, die heilsame und ungewohnte Kraft der Stille für angemessen halten. Oft konfrontiert gerade diese unsere KlientInnen mit einer ganz anderen Ebene ihres Daseins und bringt eigene Kräfte wieder in Bewegung.
Dieses Verständnis von „Heil-Werdung“ im Kontakt mit Achtsamkeit und Präsenz weht uns doch auch an, wenn wir die wenigen Texte von Masunaga aufmerksam lesen – nicht das einer „Methode, welche… Heilwirkungen hat“ und eines „staatlichen Diploms“ bedarf. Ganz bewusst haben wir als GSD Shiatsu als „ein eigenständiges System energetischer Körperarbeit und Lebenskunde“ definiert, nicht als Methode! Und in unserem, durch den Kreisel symbolisierten Anwendungsfelder-Bild sind Shiatsu und Therapie gerade nicht „untrennbar miteinander verbunden“. Denn Shiatsu als Begleitung, als Bildungsarbeit, etc. sind eigenständige, gleichwertige Arbeitsfelder für den Beruf des/r Shiatsu-PraktikerIn GSD, in denen es eben nicht um Therapie geht.
Das ISN hat gerade vulkanbehindert in Grado (Italien) einen Prozess weitergeführt, mit der European Shiatsu Federartion (ESF), ein gemeinsames Shiatsu-Curriculum zu entwerfen. Wir beide werden daher sicherlich vielfältige Möglichkeiten haben, uns über die notwendigen Kompetenzen für eine solche Anwendungsfeld-offene Shiatsu-Berufsausbildung auszutauschen. Dabei wird es sicherlich um auch um solche Fragen gehen wie: Ist ein Grundwissen in Pathologie für gutes Shiatsu notwendig? Welche Kompetenzen erfordert die prozessorientierte Arbeitsweise des Shiatsu? Gibt es wirklich Gegenanzeigen für eine Shiatsu-Behandlung, u.ä?
Unsere Ankündigung der Shiatsu-Initiativtage bis zum GSD-Kongress 2012 hat mit vielfältigen Aktionen zudem die Absicht, Shiatsu als finanziell tragenden Beruf in Deutschland zu etablieren. Auch hier wird es also hoffentlich spannende Entwicklungen geben, zu denen wir gerne Deine Anregungen erhalten.
Ich freue mich und bin gespannt auf die immer fruchtbaren Gespräche hierzu mit Dir und den anderen ISN-KollegInnen, aber auch mit KollegInnen innerhalb der GSD und LeserInnen des Shiatsu-Journals und sehe uns insgesamt auf einem guten Weg.
Quelle
- Shiatsu Journal Nr. 61
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© Frank Seemann, Vorstandsmitglied GSD, Ressort nationale/internationale Kontakte
Anmerkungen
↑1 | Kursive Teile in Anführungsstrichen sind Zitate aus Peter Itins Feedback. |
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