Der spirituelle Aspekt von Yi. Milz-Pankreas und die Entwicklung der seelischen Qualität des Vertrauens (Josef Viktor Müller)
Die Zahl 5 bedeutet archetypisch, wie auch im klassisch chinesischen Denken der Han-Zeit (ca. 200 v. bis 200 n.Chr.) die Zahl des Menschen. Der Kopf als fünfte Extremität durch die Entwicklung des aufrechten Ganges hebt die Menschen aus dem Tierreich hervor und stellt die Menschheit als dritte Kraft zwischen Himmel und Erde.
Dabei bezeichnet der Begriff Erde / DI nicht die Erde / TU als eine der 5 Wandlungsphasen, sondern die Polarität von irdischem YIN gegenüber himmlischen YANG. In dieser Anordnung der 3 Kräfte sind Menschen Kinder von Mutter Erde und himmlischen Vater, nicht in die Welt„geworfen“, sondern ausgestattet mit dem gesamten Erbe der kosmischen Eltern. Dieses so genannten vorhimmlischen, d.h. vorgeburtlichen Erbes muss man sich freilich erinnern, sonst erlaubt man den nachgeburtlichen Prägungen durch die persönlichen Eltern und das soziale Umfeld den inneren Wesenskern zu überlagern: wenn wir uns zu sehr auf den Einfluss der Familie und der Erziehung konzentrieren , können wir sie nicht als Herausforderungen relativieren, um den Keim unserer von Himmel und Erde mitgegebenen Anlagen zu entfalten.
Die emotionale Pathologie der Wandlungsphase ERDE
Für die Erde als eine der 5 Wandlungsphasen im Menschen besteht der nachgeburtliche pathologische Einfluss zum einen im Mangel an Verständnis und emotionaler Fürsorge, zum andern in der unangemessenen Bemutterung, die ständig unnötig in die Entwicklung eines Kindes eingreift und so Selbstständigkeit verunmöglicht. Dadurch kann sich der spirituelle Aspekt der Erde YI/Reflexion, welcher in der Milz „haust“ nicht entfalten.
Jedes der 5 YIN- Speicherorgane kann als eine Art Nest für einen spirituellen YANG-Aspekt angesehen werden. Wenn eine ständig wiederkehrende unangemessene Emotion dieses Nest in Aufruhr versetzt, zerstreut sich der darin hausende geistige Aspekt und fliegt wie ein aufgeschreckter Vogel davon. Der dadurch entstehende Mangel an ordnendem Einfluss führt chronisch zu körperlicher Erkrankung. Die Aufgabe von Therapie besteht nun darin, durch eine Art Ritual das durch unangemessene Emotionen gestörte „Organ-Nest“ wieder zur Behausung des entsprechenden geistigen Aspektes zu machen.
Die 4 Bereiche von unangemessenem Mitgefühl
Wie jedes der 5 grossen emotionalen Felder kann auch dieses mit dem Raster der Zahl 4 in seinem ganzen Umfang analysiert werden. Dabei ergeben sich folgende Vektoren:
- Helfersyndrom / Überbemutterung
- narzisstische Selbstbezogenheit
- Abhängigkeit von Mutterfiguren / Unselbstständigkeit
- Unfähigkeit Unterstützung und Fürsorge anzunehmen / übertriebene Unabhängigkei
Diese Verzerrungen müssen auf die Entwicklung der seelischen Qualität des Vertrauens ausgerichtet werden, wodurch Mitgefühl angemessen ausgedrückt wird. Dabei beruht es auf Wechselseitigkeit, indem man sich anderen Menschen gegenüber mitfühlend und unterstützend wo notwendig verhält und selbst in der Lage ist, andere um Unterstützung zu bitten und diese anzunehmen.
Entwicklung von Vertrauen durch das Beispiel der Natur
Vertrauen kann durch Ausrichtung auf das Vorbild der Wandlungsphase ERDE entwickelt werden. Jahreszeitlich steht das CHI der ERDE für die Übergangszeiten, denn ursprünglich war es den 4 Perioden von je 18 Tagen zwischen den einzelnen Jahreszeiten zugeordnet, bevor es zu einer eigenen fünften Saison des Spätsommers mit 4 mal 18 Tagen zusammengefasst wurde.
Diese ausgleichende harmonisierende Eigenschaft ermöglicht auch im Menschen durch Stärkung der Meridiane von Magen und Milz den weniger sorgenbelasteten Übergang von einer Lebensphase in eine unbekannte neue – im Vertrauen auf die zyklische Natur von Entwicklung: Es geht immer weiter, auch wenn sich alles verändert.
Die Eigenschaft von Wechselseitigkeit ergibt sich aus der Beobachtung der räumlichen Komponente des Erdbodens, dem Kreislauf von Aussaat und Ernte, der vor Augen führt, dass man auch geben muss, wenn man empfangen will – und empfangen können muss, wenn man geben will!
An diesen Vorbildern der Natur ausgerichtet kann dann die Entwicklung der YIN-Eigenschaft von Zentrierung (in der eigenen Mitte und bei seinen Bedürfnissen bleiben) und der YANG-Eigenschaft von Verteilung von Überschüssen (Fürsorge und Unterstützung für andere) erfolgen. Ist ein derart dynamisches Zentrum gebildet, entfaltet sich der spirituelle Aspekt der ERDE, das Vermögen zur Reflexion / YI und äussert sich als umfassendes Mitgefühl. Eine Widerspiegelung dieser unsichtbaren geistigen Wirkung zeigt sich in der Praxis des rituellen Umschreitens von Pagoden begleitet vom Drehen der Gebetsmühlen. Man umkreist ein Zentrum von allen Seiten und betrachtet dabei diese Sache von allen Blickwinkeln. Daher kann Yi auch als allumfassende Berücksichtigung übersetzt werden.
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© Josef Viktor Müller: Ausbildung in Shiatsu beim Ohashi Institut New York, Studium der Akupunktur am College of Traditional of Acupuncture von J. R. Worsley, TCM Ausbildung bei der AG TCM, Fortbildungen in Cranio Sacral und verschiedenen Stilen der klassischen Akupunktur, sowie in transpersonaler Traumarbeit, Inhaber der Ben Shen Schule, www.benshen.ch, in Zürich und Autor von „Den Geist verwurzeln, die Namen der Akupunkturpunkte als Bindestrich der Psychosomatik“.
Auszug aus dem im Frühjahr 2012 erscheinenden Buch “Den Geist verwurzeln. Bd. 2. Die psychosomatischen Profile der 5 Wandlungsphasen”.