Das begleitende Gespräch im Shiatsu (Doris Spörri)
Idealerweise begleitet das Gespräch die Shiatsu-Behandlung so, wie der Flusslauf einer Landschaft folgt: Es drängt sich nicht auf, sondern ist einfach da, auf seinem zugewiesenen Platz. Es ist abgestimmt auf die aktuelle Situation der Klientin und berücksichtigt ihr Wissen über die Methode. Auf der anderen Seite ist die Praktikerin transparent bezüglich ihrer Qualifikationen. Sie führt das Gespräch nicht über das Notwendige hinaus und achtet auf das Zuviel, was eine Überschwemmung zur Folge hat, auf das Zuwenig, was Dürre nach sich zieht und auf Blockierung, was Stauung verursacht. Das begleitende Gespräch hilft die Behandlungslandschaft zu strukturieren und bezieht das Bewusstsein der Klientin in die Behandlung mit ein. Es bewirkt dadurch eine durch Inspiration hervorgerufene Wandlung, die für die Regulierung des Energiehaushaltes der Person förderlich und unterstützend ist.
Das begleitende Gespräch in den vier Phasen der Shiatsubehandlung
Die folgenden Aussagen zum begleitenden Gespräch im Shiatsu entstammen der Erfahrung aus meiner praktischen Tätigkeit seit 1987. Sie sind weder vollständig noch ‘einzig richtig’. Ich unterscheide in der Shiatsu-Behandlung vier Phasen: Den ersten Kontakt, die Aufnahmebehandlung, die Behandlungsserie und die Auswertung.
Um im Shiatsu in unterschiedlichen Situationen angemessen sprachlich reagieren zu können, braucht es ein über den alltäglichen Rahmen hinausgehendes Verständnis der Grundlagen, Möglichkeiten und Grenzen des begleitenden Gesprächs. Das Bewusstsein für die eigenen Kompetenzen ermöglicht einen entsprechenden Gesprächsraum, womit die Voraussetzung für eine gute Gesprächsbasis gegeben ist. Es braucht einerseits die Fähigkeit zu Erkennen was in jeder Phase der Behandlung von zentraler Bedeutung ist, sowie andererseits die Fähigkeit zu Erfassen was die inhaltlichen Unterschiede im Ablauf des begleitenden Gesprächs sind.
Es gibt Klienten die kommen ‘nur’ zwecks Behandlung eines Symptoms ins Shiatsu. Im Laufe der Zeit entwickeln sie das Bedürfnis über ihre Lebenssituation zu berichten. Andere glauben, die Lösung für ihr Problem komme von außen zu ihnen, und stellen Dutzende von Fragen. Manchmal drängt es sich auf, den Klienten ‘Aufgaben’ oder ‘Hinweise’ für das Verhalten im Alltag zu geben, damit sich die Wirkung des Shiatsu auch da entfalten kann. Egal wie ausführlich, direkt oder verschlossen und kompliziert sich jemand ausdrückt, das Wichtigste für eine Hilfe suchende Person ist, dass sie sich erst einmal angenommen fühlt. Darum ist es im begleitenden Gespräch wichtig zuhören zu können. Ebenso wichtig ist es aber auch sich abzugrenzen, wenn man von einer Problematik überfordert ist oder nicht die nötige Kompetenz hat ‚damit zu arbeiten’. Das geschieht, indem man dies einfach kundtut.
Das Gespräch beim ersten Kontakt: Anliegen – Konditionen – Termin
Meistens findet der erste Kontakt mit einem neuen Klienten am Telefon statt. Die anrufende Person hat ein Anliegen, das wir uns unterbreiten lassen. Der Moment des Anrufes liegt manchmal am Ende einer Kette von Ereignissen, in denen ein Mensch sich (vergeblich) bemüht hat, etwas für sein Problem zu tun. Er möchte nun herausfinden, ob Shiatsu für ihn etwas Hilfreiches sein könnte und ob ihm die behandelnde Person entspricht. Die Qualität des ersten Kontakts wirkt wie eine Initialzündung. Sie ist das Yang im Yin und entspricht dem ersten Quadranten. Es ist der erste Schritt und schafft die Entscheidungsgrundlage für oder gegen eine Aufnahmebehandlung. Darum ist es sinnvoll vorher zu wissen, was wir in diesem ersten Gespräch erfahren und mitteilen wollen.
Die Aufnahmebehandlung: Aufnahmegespräch – Fragebogen – Arbeitsbündnis
Das Gespräch in der ersten Behandlung mit dieser bestimmten Praktikerin und dieser Methode setzt den im ersten Kontakt am Telefon begonnenen Prozess weiter: Undefiniertes wird definiert. Für die Klientin sind es: das Shiatsu als Methode an und für sich, sowie die Persönlichkeit der Praktikerin. Für die Praktikerin sind es die Energiestruktur des Klienten, seine spezielle Thematik sein Anliegen und die Gesamtpersönlichkeit.
Wenn wir die Klientin zum ersten Mal treffen werden wir im Gespräch näher auf das Problem und die Lebensumstände der Person eingehen, um uns ein Bild von ihr machen zu können. Ein Aufnahmegespräch, soll vorher angekündigt und die nötige Zeit dafür eingeräumt sein. Es kann hilfreich sein, mit einem Fragebogen zu arbeiten. Damit geben wir ‘dem Einstieg’ in die Arbeit eine weitgehend gleich bleibende Form. Verschiedenen Leuten am Anfang die gleichen Fragen zu stellen, hat den Vorteil, dass wir mit der Zeit eine Menge von Antworten erhalten, die wie eine Farbpalette Kliententypen erkennen lassen. Dadurch wird mit den Jahren eine gewisse Orientierung möglich.
Es ist wichtig zu wissen, warum wir welche Fragen stellen. Mit jeder Frage ‘öffnen wir eine Tür’, und wir müssen in der Lage sein, mit dem was dahinter ist umzugehen. Wenn wir einem weitgehend unbekannten Menschen persönliche Fragen stellen, kann dies überaus eindringend sein. Diese Form des Gesprächs braucht also viel Fingerspitzengefühl. Auf jeden Fall empfiehlt es sich, nicht einen fremden Fragebogen zu übernehmen, sondern einen eigenen zu erstellen. Das kann am Anfang ein kleiner, einfacher Fragenkatalog sein, der sich mit wachsender Erfahrung erweitert.
Mit der zukünftigen Klientin ein Arbeitsbündnis zu schließen ist eine wesentliche Grundlage für die gemeinsame Arbeit. Dieses schafft ein Kontinuum und ein transparentes Verhältnis zwischen Praktikerin und Klientin. Auf das Bündnis kann und soll man sich im Laufe einer Behandlungsserie beziehen. Die Praktikerin trifft nach der Aufnahmebehandlung mit der Klientin eine verbindliche Abmachung über das weitere Vorgehen, und bespricht, ob die Klientin (und sie selbst) weitere Behandlungen abmachen möchte oder nicht. Gemeinsam wird eine Behandlungsserie von beispielsweise drei oder sechs weiteren Behandlungen festgelegt. Die Praktikerin kündigt an, dass am Ende der definierten Sequenz eine Auswertung erfolgt, die zur Behandlung gehört, d.h. innerhalb der Behandlungszeit stattfindet, und bei der der Behandlungsverlauf gemeinsam beleuchtet wird. Im Arbeitsbündnis wird das im Aufnahmegespräch herausgeschälte Anliegen der Klientin aufgegriffen und ein Fokus formuliert, der bei der Auswertung betrachtet und je nach dem revidiert, fallen- oder stehengelassen wird.
Das begleitende Gespräch im Laufe einer Behandlungsserie: Die Kunst der Übergänge – Schwierige Gesprächssituationen
Während einer Behandlung ist der Bereich der Körperarbeit, der in aller Regel ohne Worte stattfindet und der Bereich in dem das Gespräch stattfindet, zu unterscheiden. Die unterschiedlichen Ebenen im Shiatsu und die Kunst der Übergänge bedürfen besonderer Beachtung. Zu Beginn der Behandlung erfahren wir etwas über die momentane Situation der Klientin, wechseln dann auf die Shiatsu-Ebene, in der wir das eben Besprochene auf energetischer Ebene wieder auffinden und weitere Informationen dazu bekommen. Wie gelange ich nun von der Gesprächsebene ins Shiatsu und am Ende wieder zurück, vor allem wenn die Klientin – manchmal auch während der Behandlung – „ins Plaudern“ gerät? Wenn unsere Haltung klar ist und wir im Hara sind, gelingt es besser diese Ebenen instinktiv zu wechseln. Es braucht den Entscheid etwas zu unterbrechen und die Fähigkeit mit Schlüsselsätzen von einer auf die andere Ebene zu wechseln. Die Klientin und die Shiatsu-Praktikerin finden aus verschiedenen “Welten” zusammen:
- Mögliche Schlüsselsätze für den Übergang in das Begrüßungsgespräch: „Gibt es etwas Erwähnenswertes aus der letzten Behandlung?“ „Was ist ihr Anliegen heute?“ Die Klienten werden sich mit der Zeit auch vor der Behandlung überlegen, was sie erwähnen wollen.
- Mögliche Schlüsselsätze für den Übergang in die Behandlung: „Ich danke Ihnen, wenn Sie nichts mehr beifügen wollen, können wir nun mit der Behandlung beginnen.“ „Ich lasse das für den Moment so stehen, ist das gut so für Sie?“ Dann erfolgt die Behandlung.
- Mögliche Schlüsselsätze für den Übergang aus unpassenden Gesprächen während der Behandlung: „Wenn Sie möchten, können wir uns am Schluss gerne noch Zeit nehmen um uns darüber zu unterhalten, im Moment möchte ich mich auf die Behandlung konzentrieren.“ „Ich kann nicht Shiatsu machen und gleichzeitig wirklich gut zuhören; soll ich für einen Moment unterbrechen?“
- Mögliche Schlüsselsätze für den Übergang aus der Behandlung: „Ich gehe jetzt aus dem Raum. Sie können liegen bleiben bis sie bereit sind aufzustehen.“ „Lassen sie die Impulse noch ausklingen, ich komme dann wieder zu Ihnen.“
- Mögliche Schlüsselsätze für den Übergang in ein kurzes Verabschiedungsgespräch: „Möchten Sie noch etwas mitteilen?“ „Wie möchten Sie verbleiben?“
- Mögliche Schlüsselsätze für den Übergang zum Abschied: „Ich möchte mich nun auf die nächste Behandlung vorbereiten.“ „Dies braucht etwas mehr Zeit. Wenn Sie möchten, können wir das zu Beginn der nächsten Behandlung aufgreifen.“
Wenn wir wiederholt mit denselben schwierigen Situationen und den dabei entstehenden unangenehmen Gefühlen konfrontiert werden, kann es notwendig sein, diese anzusprechen. Was sind die Merkmale solcher Situationen: Jemand kommt immer zu spät oder zahlt nicht – Die Behandlung sprengt den zeitlichen Rahmen – Unklare Rollenverhältnisse: Freundin oder Praktikerin – Schwierigkeiten von der Gesprächsebene in die Körperarbeit zu wechseln – Es bleibt oft ein undefinierbares, schlechtes Gefühl zurück.
Wir können uns in einer solchen Situation helfen, indem wir uns in Ruhe an die gestörte Situation erinnern, diese vor unserem inneren Auge vorbeiziehen lassen und versuchen die ‚Bruchstelle‘ aufzuspüren. Dabei ist es wichtig die wach werdenden Gefühle wahrzunehmen. Die Praktikerin fragt sich: Wann ist die schwierige Situation erstmals aufgetreten? Was war der Auslöser für das Entstehen der schwierigen Situation? Was könnte bei mir und/oder beim Gegenüber der Hintergrund der Situation sein? Wie fühle ich mich? Warum habe ich Mühe, zu mir zu stehen? Was will ich? Wie stehen wir zueinander? Was kann ich tun? Was werde ich tun?!
Das Gespräch bei der Auswertung: Was, warum und wie wird ausgewertet? – Metaebene
Ausgewertet wird der Prozess im Behandlungsablauf über einen gewissen Zeitraum hinweg. Dabei wir das ursprünglich getroffene Arbeitsbündnis überprüft. Es wird geschaut, welche Erfahrungen die Klientin gemacht hat, was sich wie verändert hat und was sich nicht verändert hat. Dafür wird die Klientin gebeten ihre Beobachtungen und Gefühle sowie ihre Befindlichkeit zu beschreiben.
Es können auch eigene Beobachtungen weitergegeben, Interpretationen und Gefühle als persönliche Sichtweise, also als so genannte Ich-Botschaften eingeflochten werden. Anhand der Standortbestimmung wird beurteilt und entschieden, wie es weitergehen soll. Es wird ein neues modifiziertes Arbeitsbündnis abgeschlossen. Die Auswertung muss wie bereits erwähnt bei Beginn der Behandlungsserie angekündigt werden und ist Teil der Behandlung. Der Sprung auf die Metaebene, von der aus das Geschehen gemeinsam betrachtet wird, ist nicht immer einfach, lohnt sich aber, da dieser Teil des begleitenden Gesprächs ein wertvoller Beitrag für die Shiatsu-Behandlung ist.
Das Gespräch auf dem Hintergrund von Yin und Yang und den Wandlungsphasen
‘Die Zunge ist der Spross des Herzens’. Das heißt, wie wir miteinander reden wird von der ‘Herzenergie’ gesteuert und drückt den Zustand der Herzenergie aus. Der nach außen sichtbare aktive Teil der Kommunikation kann der Wandlungsphase Feuer und damit dem mächtigen Yang zugeordnet werden. Nun nützen die besten Worte nichts wenn nicht ein aufmerksames Ohr sie hört. Die Fähigkeit zu Hören ist dem Funktionskreis ‚Niere‘ zugeordnet. (Das Gehör selber wiederum der Feuerphase). Der unsichtbare, passive Teil der Kommunikation ist also der Wandlungsphase Wasser zugeordnet, der ‘Wurzel des Lebens’, und damit dem mächtigen Yin. Auf diese Weise ist die Fähigkeit zur menschlichen Kommunikation verankert.
Die Qualität der Kommunikation hängt davon ab, wie gut es dem Sender gelingt die innere Botschaft zu codieren und als verständliche Mitteilung seinem Gegenüber zukommen zu lassen und wie dieser wiederum die Botschaft decodieren, verarbeiten und seine Rückmeldung geben kann. Dafür braucht es einen spürenden Kontakt zur innersten Energieebene. Ein ‘klares Inneres’ und ein ausreichend starkes Selbst-Bewusstsein sind Aspekte des ‘Hellen’ und ‘Lichten’, so wie es dem Yang eigen ist. Bewusst zu Sein vereinfacht den Weg zu einer befriedigenden Kommunikation. Der Funktionskreis Herz wird in der TCM wie folgt gesehen: “Er ist der ‘Fürst’ unter den Orbes, von dem im Gesamtgefüge der Persönlichkeit der richtungsweisende Einfluss und die klare Einsicht ausgehen. Sein energetisches Produkt ist die konstellierende Kraft shen, also jener Aspekt der Energie, der die charakteristische Struktur einer individuellen Erscheinung aktiv hervorzurufen vermag, der die Persönlichkeit bestimmt und ihr Konturen verleiht.” (M.Porkert, Die Chinesische Medizin, 1986, S.108)
Im Gespräch liegt die Macht aber vor allem bei der Person die ins Vertrauen gezogen wird und zuhört. „Der Funktionskreis Niere gilt in der chinesischen Medizin als die ‚Instanz der Potenzierung von Kraft‘, als der ‚mächtige Beamte‘ im Funktionsgeschehen einer Persönlichkeit.“ … „Ein intakter orbis renalis wird deshalb als Grundlage und Quelle von körperlicher, geistiger und nervlicher Widerstandsfähigkeit und Ausdauer angesehen.“ (a.a.O. S.120) „Die Qualifikation des orbis renalis als Wandlungsphase Wasser schließt auch Elastizität und Anpassungsfähigkeit einer Persönlichkeit an ihre Umwelt ein, also angemessene struktive Reaktionen auf die von außen kommenden aktiven Reize.” (a.a.O. S.122) Wem es nicht mehr gelingt aufmerksam zuzuhören oder wer sagt: “Ich mag nichts mehr hören!” ist erschöpft. Wer eine Mitteilung ganz anders auffasst als sie gemeint war, dessen Fähigkeit zuzuhören ist beeinträchtigt.
Sprachliche Interventionsformen
Interventionen sind Impulse und gleichzeitig kritische Momente, in denen es gilt, auf die eigene Art und Weise des Sprechens besonders achtsam zu sein. Im Shiatsu entstehen Gesprächssituationen, in denen Notwendiges gefragt, eine energetische Situation diagnostiziert, aus einer anderen Kultur übersetzt und auf möglichst Hilfreiches hingewiesen wird. Menschen werden beraten und Fragen beantwortet. Verbale Hilfestellungen, die in tiefere Schichten gehen, können nur bei entsprechender Ausbildung eine Ergänzung zum Shiatsu sein. Sonst werden damit falsche Erwartungen geweckt. Grundsätzlich sollen die sprachlichen Interventionen die Ressourcen der Klienten aktivieren.
Folgende Interventionstechniken werden im Shiatsu angewendet:
Bildhafte Sprachformen: Alle Analogien, Bilder und Visualisationen im Zusammenhang mit Yin und Yang und den fünf Wandlungsphasen sind eine Einladung zur Imagination, die dem Klienten energetische Erfahrungen vermitteln. Wir können uns auch mit Analogien und Bildern aus der Umgangssprache in unserem Kulturkreis behelfen. Diese erfassen den energetischen Kontext mit einer erstaunlichen Präzision, so wie das viel zitierte: „Es ist mir eine Laus über die Leber gelaufen.“
Symptomerlaubnis und Symptomverschiebungen: Zum Beispiel: „Atmen Sie in den Schmerz“ oder „Versuchen Sie in die Spannung zu entspannen“ oder „Versuchen Sie den Schmerz zu schmelzen“ sind Interventionen über das Wort, die dem Klienten helfen sich dem Symptom zuzuwenden, was die Person ganzheitlich da sein lässt. Es ist eine Möglichkeit Leiden neu und anders zu erfahren. Das kann eine hilfreiche Ergänzung zur shiatsu-spezifische Berührung sein.
Umdeutungen: Beim ‚Übersetzen‘ in die Bildersprache der fünf Wandlungsphasen oder einfach durch einfühlsame Kommunikation ergibt es sich, dass die Symptome in einem anderen Licht erscheinen. Dabei geschehen Umdeutungen, durch die die Klienten ihr Symptom plötzlich in einen anderen oft positiveren Zusammenhang gestellt sieht. Zum Beispiel: „Könnte es sein, dass diese Verspannung, unter der sie seit einiger Zeit leiden, eine Stütze ist, die Sie in dieser schwierigen Zeit beschützt hat?“
Kritische Momente entstehen wenn über die konkreten energetischen Hintergründe eines Klienten gesprochen wird und die Interventionen Widerstand auslösen. Dann sind sie möglicherweise mit eigenen Vorstellungen und Erwartungshaltungen befrachtet, was nicht im Sinne des Klienten ist. Entscheidend ist die Wortwahl. Als Beispiel eine vielleicht etwas überspitzte Aussage: “Ihr Blasenmeridian ist ‚leer‘. Der gehört zum Wasser und das hat mit ihrer Angst zu tun!” Das ist in einer Weise direktiv und imperativ, die – gerade wenn die Vermutung zutrifft – mit Sicherheit Abwehr auslösen wird. Nur schon die Möglichkeitsform ist viel weniger aufdringlich: “Manchmal hängt diese Konstellation mit dem Gefühl der Angst zusammen.” Oder noch zurückhaltender: “In der östlichen Anschauung wird hier eine Verbindung zum Gefühl der Angst gesehen.” Der Klient wird den Impuls der in der Aussage liegt aufgreifen, wenn es für ihn angezeigt ist. dasselbe gilt auch bei Empfehlungen, Hinweisen oder Aufgaben für das Verhalten im Alltag, damit sich die Wirkung vom Shiatsu auch da entfalten kann.
Es gilt, die Fachsprache verständlich zu machen. Wenn wir Begriffe aus der TCM verwenden, besteht die Gefahr von Missverständnissen. Mit dem Jargon – „das ist die Niere“ – lösen wir Verunsicherung aus, wenn wir nicht klarstellen, was in unserem Bereich damit gemeint ist: nämlich nicht einfach die Niere als Organ, sondern das ‚Nieren-Ki‘, der dazugehörige Meridian und die zugeordneten Merkmale und an einem ‚kleinen Ort‘ auch die physischen Ausformung davon, das Organ Niere.
Zwischen zwei Kulturen
Der energetische Befund im Shiatsu geschieht intuitiv. Das Wahrgenommene wird mit dem wirklich alten östlichen Erfahrungswissen verknüpft, das auf seine Weise ein sehr hohes und differenziertes System darstellt.
Am Anfang einer Behandlung mit neuen Klienten beschreiben diese meist ein oder mehrere Symptome. Sie klagen über Rückenschmerzen, Schlaflosigkeit, Erschöpfung und Kopfschmerzen, haben Magen- oder Mensprobleme, leiden unter Depressionen oder Überforderung – um nur einige zu nennen. Wenn wir dann vom Symptom aus die energetische Ebene erforschen und dabei die theoretischen Grundlagen des Shiatsu anwenden, kommt eine andere Ordnung zum Zug.
Da das Ki ist so beschaffen ist, dass es sich zwar an Formen ‘binden’ kann, diese Form (das Symptom) aber nicht ist, wenden wir uns für unsere Arbeit vom Symptom – das vielleicht der Grund des Kommens war – weg auf eine andere, eben die energetische Ebene. Wir denken bei Kopfschmerzen vielleicht an ‚aufsteigende Holzenergie‘, an ‚Oben‘ – was ‚Yang‘ ist, an eine mögliche ‚Fülle‘ oder ‚Leere‘, was eine ‚Jitsu‘- oder ‚Kyokondition‘ ist und daran, dass das Hirn zu den ‚wunderlichen Organen‘ und zur ‚Wasserwandlungsphase‘ gehört. usw.. Das ist für den Klienten, der die energetischen Prinzipien der fünf Wandlungsphasen in aller Regel nicht kennt, eine spezielle Situation. Wir bewegen uns in einem anderen Denksystem als es die Klienten aus unserem Kulturkreis gewohnt sind. In ihren Ohren klingt der Begriff “wunderliches Organ” möglicherweise sehr wunderlich.
Wenn sich Sprachen aus unterschiedlichen Kulturkreisen aneinander reiben wird spürbar wie relativ, fragil und lebendig Sprache ist. Dabei wird auch der Boden auf dem sie ‚wächst’, sichtbar. Was wir auch immer über den anderen Menschen erfahren, unterliegt letztlich unserer Intuition und subjektiven Interpretation. Daran können wir nichts ändern. Als professionelle Shiatsu-Praktiker und Praktikerinnen können und müssen wir aber unsere Sinne schärfen, um diese subjektive Warte kritisch zu betrachten und uns zu fragen, bis zu welchem Grade und in welcher Weise wir kommunizieren und den Klienten einbeziehen wollen. Ich persönlich gebe sichtfensterartige Informationen, sobald es mir für den Prozess des Klienten im Rahmen seiner Behandlung nötig und sinnvoll erscheint. Das geht gut, wenn nicht der Anspruch besteht, alles und jedes in einen logischen Zusammenhang bringen zu wollen, sondern die Möglichkeit gegeben ist, einzelne ‚Bilder‘ stehen zu lassen. Dann kann dies eine wunderbare Erweiterung der energetischen Arbeit in den Gesprächsbereich hinein sein.
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© Doris Spörri, Doris Spörri, www.energiespur.ch (Link aktuell nicht mehr verfügbar), der Artikel ist erstmals 2003 im Shiatsu Journal erschienen.
Doris Spörri ist Komplementär Therapeutin OdA KT Fachrichtung Shiatsu, Supervisorin SGS und Ausbilderin eidg. FA. Sie hat ihre Ausbildung 1989 bei Waturu Ohashi abgeschlossen und praktiziert in der shiatsu praxis energiespur in Winterthur-Schweiz. Sie hat 1999 für das Europäischen Shiatsu Institut ESI Schweiz die Kursmodule ‘Grundlagen der Kommunikation’ und ‘Das begleitende Gespräch im Shiatsu’ entwickelt und bis 2007 unterrichtet.