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Evidence Based Medicine. Gründe und Kritik
In allen Bereichen der Medizin gab es und gibt es gravierende therapeutische Irrtümer. Ein tragisches Beispiel etwa war in den 1950er Jahren die Empfehlung des Kinderarztes Benjamin Spock (1909 bis 1998), Säuglinge nachts in die Bauchlage zu drehen, damit sie besser schliefen. 1988 zeigte sich dann allerdings in einer Auswertung aller vorliegenden Studien, dass Babys, die am Bauch schlafen, ein dreimal höheres Risiko haben, am plötzlichen Kindstod zu sterben. Man schätzt deshalb, dass dieser schlechte (wenngleich gut gemeinte) ärztliche Rat hundertausenden Kindern das Leben gekostet hat. Evidenzbasierte Medizin (Evidence Based Medicine, Medizin auf Basis von überprüfbaren Daten) fordert deshalb, dass Ärzte nur wissenschaftlich untermauerte Therapie verordnen sollten und dass die…
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Auswirkungen sozialer Kontakte auf die Gesundheit
Wissenschaftler*innen von der Brigham Young University in Utah (Julianne Holt-Lunstad, Timothy B. Smith & J. Bradley Layton: “Social Relationships and Mortality Risk: A Meta-analytic Review”) haben 148 Studien mit Daten von 308.849 Menschen aus westlichen Ländern zum Sterberisiko analysiert. Demnach ist der Mangel an sozialen Beziehungen für die Gesundheit genauso schädlich wie das Rauchen von 15 Zigaretten am Tag und doppelt so schlimm wie Fettleibigkeit Ein weit gespanntes soziales Netz hingegen verringere die Sterberate um die Hälfte. Im Schnitt hatten alle Studien die Teilnehmer*innen über einen Zeitraum von 7,5 Jahren beobachtet. In der Metaanalyse der Daten aller vorliegenden Untersuchungen konnten die Forscher*innen feststellen, dass die beobachteten Effekte auch bestehen blieben,…
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Die Erweiterung des Konzepts der Salutogenese mit psychotherapeutischen Gesichtspunkten
Zwischen dem Feld der Psychotherapie und dem Gesundheitssystem klafft, so Markus Fäh in “Psychotherapie und Salutogenese: Überlegungen zum theoretischen und praktischen Brückenschlag” (Psychotherapie Forum Vol. 12, No. 1, 2004, S. 3-15), eine kommunikative Lücke. Es gibt keine übergreifenden Theorien, die das Konzept der Salutogenese mit dem der Psychotherapie verbinden. Jeder dieser Bereiche existiert gleichsam nur für sich. Die Gesundheitsforschung auf der einen Seite bietet Befunde und Erklärungen für die körperlichen, seelischen und sozialen Ursachen langfristiger Gesundheit. Und auf der anderen Seite stellt die Psychotherapie Wissen über kommunikative Vorgänge bereit, welche individuelle Veränderungsprozesse bewirken. Psychotherapeutische Prozesse setzen am seelischen Apparat an und beeinflussen dessen Funktionieren, d.h. sie beeinflussen das Denken, Fühlen,…
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Gesundheitsdeterminanten nach Dahlgren & Whitehead
Gesundheit und Krankheit sind nicht nur von der medizinischen Versorgung abhängig, sondern auch generell von den Lebens- und Arbeitsbedingungen, in denen die betreffenden Menschen leben, und anderen Einflüssen außerhalb des Gesundheitssystems. Das wissenschaftliche Konzept, das sämtliche relevanten Gesundheitsdeterminanten – also all jene Faktoren, die die Gesundheit von Menschen, aber auch den sozialen Zusammenhalt innerhalb von Gesellschaften beeinflussen können – erfassen soll, wurde von Göran Dahlgren und Margaret Whitehead (Dahlgren, G., Whitehead, M. – Policies and strategies to promote social equity in health. Stockholm: Institute for Future Studies) 1991 vorgestellt. Aufzählung Im innersten Kreis des Regenbogens stehen die unveränderlichen Gesundheitsmerkmale wie Alter, Geschlecht und Erbanlagen. Die Faktoren individueller Lebensweise hingegen sind…
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Gesundheit & Krankheit im Verständnis der Salutogenese
Während die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahre 1948 Gesundheit noch als eine wünschenswerte Idealnorm vollkommenen physischen und psychischen Wohlbefindens definierte, wird Gesundheit heute zunehmend multidimensional betrachtet. Neben körperlichem und psychischem Wohlbefinden sind für Gesundheit auch Leistungsfähigkeit, Selbstverwirklichung und Sinnfindung von besonderer Bedeutung. Gesundheit ist darüber hinaus abhängig von Belastungen, Risiken und Gefährdungen durch unsere soziale und ökonomische Umwelt wie auch von Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen (vgl. Definitionen von Gesundheit und Krankheit). Im Bereich der Gesundheits- und Krankheitsmodelle, die unser gesellschaftliches und gesundheitspolitisches Handeln beeinflussen, hat in den letzten Jahren das von Aaron Antonovsky entwickelte Modell der Salutogenese einen wichtigen Stellenwert einzunehmen begonnen. Für Antonovsky gibt es keine statische Definition…
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Das Konzept der Salutogenese
Das Konzept der Salutogenese wurde vom Medizinsoziologen Aaron Antonovsky (1923 – 1994) entwickelt. Seine beiden Hauptwerke dazu sind “Health, stress and coping: New perspectives on mental and physical well-being” (1979) und “Unraveling the mystery of health. How people manage stress and stay well” (1987). Aus Kritik an dem vor allem biomedizinischen Krankheits- und Präventionsmodell gibt Antonovsky der Frage, warum Menschen gesund bleiben, den Vorrang vor der Frage nach den Ursachen von Krankheiten und Risikofaktoren. Primär geht es um die Bedingungen von Gesundheit und Faktoren, welche die Gesundheit schützen und erhalten. In “Unraveling the mystery of health” (deutsch: “Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit”, 1997) beschreibt Antonovsky das Konzept der Salutogenese –…
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Prävention & Gesundheitsvorsorge
In der Geschichte der Medizin gibt es seit jeher Anstrengungen, Krankheiten zu verhüten, wobei heute vor allem die Vermeidung chronisch-degenerativer Erkrankungen und so genannter Zivilisationskrankheiten im Mittelpunkt präventiver Anstrengungen stehen. Biomedizinisches Risikofaktorenmodell Das Risikofaktorenmodell wurde ursprünglich in den fünfziger Jahren in Zusammenhang mit der Erforschung der koronaren Herzerkrankungen auf der Grundlage von epidemiologischen Studien und Statistiken von Lebensversicherungsgesellschaften entwickelt. Dabei zeigten sich Zusammenhänge zwischen Risikofaktoren wie z.B. hohen Blutfettwerten, Tabakkonsum, Bluthochdruck, Übergewicht, psychischen Ressourcen und dem Auftreten von koronaren Herzerkrankungen, vor allem von Herzinfarkten. Je mehr Risikofaktoren – insbesondere beMännern -, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, einen Herzinfarkt zu bekommen. Da es sich um statistische Zusammenhänge (Korrelationen) handelt, können aus…
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Definitionen von Gesundheit & Krankheit
Wenngleich die Begriffe Gesundheit und Krankheit auf dem ersten Blick eindeutig erscheinen, so zeigen sich bei genauerer Betrachtung doch deutliche, durch den sozialen Kontext und individuelle Einschätzungen geprägte Unterschiede. So ist für manche Menschen Gesundheit das Freisein von körperlichen Beschwerden, andere wiederum betrachten Gesundheit als gleichbedeutend mit Wohlbefinden und Glück oder aber als Fähigkeit des Organismus, mit Belastungen fertig zu werden. Gesundheitsmodelle Offizielle Definitionen von Gesundheit und Krankheit orientieren sich an unterschiedlichen Gesundheitsnormen. Idealnorm von Gesundheit Die Idealnorm von Gesundheit bezeichnet einen Zustand der Vollkommenheit, der zu erreichen wünschenswert oder wertvoll ist. Eine solche Idealnorm hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1948 mit ihrer Definition von Gesundheit als Zustand des vollkommenen…
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Emotionen und Gefühle. Ergebnisse der Neurowissenschaften nach Antonio R. Damasio
Emotionen sind nach außen gerichtet und größtenteils öffentlich, Gefühle hingegen sind nach innen gerichtet. Sie sind die private, mentale Erfahrung einer Emotion. Die Mechanismen, die einer Emotion zu Grunde liegen, benötigen kein Bewusstsein, selbst wenn sie sich dessen manchmal auch bedienen. Sie können die Kaskade von Prozessen in Gang setzen, die zum emotionalen Ausdruck führen, ohne dass wir uns des emotionalen Auslösers (und der Zwischenschritte) bewusst sein müssen.[1]Mit der Evolution des Bewusstseins zeigen sich Emotionen in einem Kontext von Bewusstsein. Wir können unsere Emotionen nahezu ständig fühlen und wir wissen, dass wir sie fühlen. Emotionen unterliegen nicht unserer Kontrolle. Nur teilweise können wir ihren Ausdruck kontrollieren, z.B. in dem wir…
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Emotionen und Bewusstsein. Ergebnisse der Neurowissenschaften nach Antonio R. Damasio
Die moderne neuropsychologische Forschung macht deutlich, dass Bewusstsein und Emotionen nicht zu trennen sind. Emotionen rufen (und dafür ist Bewusstsein eine notwendige Voraussetzung) Gefühle hervor, die wiederum den Menschen, der sie erlebt und erfährt, über das unmittelbare Hier und Jetzt hinaus beeinflussen. Das Fühlen von Emotionen setzt allerdings nicht notwendigerweise voraus, dass der fühlende Organismus sich der Emotion und der Gefühle, die sich in ihm entfalten, bewusst ist. Unterscheiden lassen sich drei Verarbeitungsstadien von Emotionen[1]Hier ist eine klare Differenzierung von Emotionen und Gefühlen wichtig: Emotionen sind nach außen gerichtet und öffentlich und wirken auf den Geist durch die Gefühle, die nach innen gerichtet und … weiterlesen: emotionale Zustände, die nichtbewusst ausgelöst…