Atem in der Arbeit mit Shiatsu. Nachlese zu den ÖDS-Tagen 2018 zum Workshop von Eduard Tripp (Alexandra Gelny)

Der Fluss des Qi (Ki) ist von zentraler Bedeutung im Shiatsu und korrespondiert mit dem
Konzept des Atems in der westlichen Körpertherapie. Das zentrale Thema dieses Workshops
ist vor diesem Hintergrund ein integrativer Ansatz, den Atem bewusst zu nutzen,
um die Arbeit des Shiatsu zu vertiefen.

Um sein Verständnis von Atem anschaulich zu machen, erklärt Eduard gleich zu Beginn des Workshops etwas sehr Wesentliches: Der Begriff Qi (Ki) wird meist als „Energie“ übersetzt, Prana –  eigentlich die indische Entsprechung von Qi – hingegen oft als „Atem“. „Atem“ wäre eigentlich auch die richtigere Übersetzung von Qi (Ki). Noch deutlicher wird das bei einem Blick auf den Schöpfungsmythos: Gott haucht der Lehmfigur Odem ein, Atem. Der Atem ist Lebensspender, die Verbindung von Materie und Leben. Atem ist Lebensenergie!

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Damit ist klar, dass es in diesem Workshop nicht einfach um das Atmen geht, sondern um ein ganz elementares und zentrales Thema.

Eduard befasst sich schon lange und intensiv mit dem Thema Atem, nicht nur in Bezug auf Shiatsu. Als Psychotherapeut hat er auch die Körperpsychotherapie kennengelernt. Dort wird viel mit dem Beobachten des Atems gearbeitet. „In der Körpertherapie schauen wir: Fließt der Körper? Das ist nicht so weit weg vom Shiatsu“, erklärt Eduard.

Im Shiatsu mit dem Atem zu arbeiten, empfiehlt sich sehr, um rasch Veränderungen zu bewirken und den (die) KlientIn schnell in seinen (ihren) Bedürfnissen abzuholen. Denn nach der TCM-Lehre lukrieren wir unsere Energie über die drei Brennkammern. Der untere Wärmer steht in Beziehung zu den Nieren. Hier in einer Shiatsu-Sitzung wesentliche Veränderungen zu bewirken, ist kaum möglich, da hier Veränderungsprozesse wesentlich mehr Zeit brauchen (etwa ein halbes Jahr). Der mittlere Wärmer reguliert den gesamten Verdauungsapparat. Hier können wir sehr gut im Shiatsu arbeiten, und Effekte werden sich immerhin innerhalb von einigen Tagen zeigen. Am schnellsten geht es aber im oberen Wärmer, mit dem Atem! Hier sehen die Wirkung unmittelbar und sofort!

„Kannst du deinem Atem kontrollieren, kannst du dein Leben kontrollieren.“ 
(Sufi-Weisheit)

Der Atem hat eine stark regulative Funktion. Der Atem ist das, womit wir als Säuglinge als erstes lernen, unsere Emotionen zu kontrollieren – und zwar sehr schnell! Auch bei Trauma-Erfahrungen spielt der Atem eine große Rolle – hier ist es so, dass automatisch der Atem angehalten wird.

Im Laufe des Lebens kann es passieren, dass wir uns in der Kontrolle des Atems einschränken. Zuerst entsteht dadurch ein Muster, dann Verhalten, und schließlich Körperstruktur. „Das betrifft nicht nur den Atem, so ist es bei allen Dingen. Verhaltensweisen verfestigen sich, wenn sie über lange Zeit andauern, in Körperstruktur“, erklärt Eduard.

Um diesen wichtigen Punkt zu veranschaulichen, bringt Eduard eine Typologie aus der Körper-Psychotherapie ins Spiel: Einerseits gibt es hier die „pseudo-optimistischen“ Menschen. Sie zeigen einen aufgedehnten Brustkorb, atmen nicht mehr aus („wer weiß, wann ich wieder etwas bekomme…“). Andererseits die „pseudo-pessimistischen“ Menschen, die eine Lungendepression zeigen. Sie atmen ganz aus und scheinen nie wieder einzuatmen („es macht ja gar keinen Sinn, mach ich gleich gar nicht“). Zwischenstufen gibt es natürlich auch.

Bei solchen strukturell festgefahrenen, habituellen, Verhaltensweisen, reicht es nicht mehr, nur Raum zu geben, oder nur zu entspannen. Diese KlientInnen brauchen konkrete Reize von außen, damit ein Veränderungsprozess in Gang kommt. In der Körper-Psychotherapie arbeitet man daher mit dem Ansatz, eine Session mit einer „Atemöffung“ zu beginnen, um in der Sitzung dann mehr Energie zur Verfügung zu haben. Zusätzlich wird daran gearbeitet, von Sitzung zu Sitzung für mehr Energie zu sorgen. Die Körpertherapie hat so gesehen einen Ansatz, der konfrontativ ist. Hier liegt ein großer Unterschied zu Shiatsu, denn Shiatsu verfolgt einen supportiven Ansatz.

Bevor Eduard zum praktischen Teil des Workshops übergeht, weist er noch auf einige weitere ganz wesentliche Aspekte zur Atmung hin.

  • Einatmung passiert von selbst, die Ausatmung nicht.
  • Die Atmung ist ein physiologischer Vorgang, der an der Grenze zwischen bewusst und unbewusst passiert. Sie ist etwas, das wir beeinflussen können, gleichzeitig ist sie ein innerer Taktgeber.
  • In der fernöstlichen Medizintheorie ist es die Leber (und gekoppelt mit ihr die Gallenblase, die sie als Yang-Partner unterstützt), die die ganze Atmung kontrollieren kann, denn sie ist in unserem Körper für den freien Fluss von Qi und Blut verantwortlich. „Fließt die Leber“, so fließt das Qi.


Arbeiten mit dem Atem – Behandlungsmöglichkeit in Rückenlage

Um einen Eindruck zu vermitteln, wie Eduard arbeitet, hier der Beginn einer längeren Behandlungssequenz, die er demonstriert.

Die empfangende Person liegt in Rückenlage.

Mit den Fingerbeeren (aller Finger, beider Hände) behandeln wir entlang des Rippenbogens und unterstützen dabei die Ausatmung im Lehnen. Der Druck geht dabei immer in Richtung Zentrum.

Das Ziel: die Person dabei zu begleiten, soweit in die Ausatmung zu kommen, dass sich die Einatmung intensiviert. Dabei ist es wichtig, den (die) KlientIn bis zu einer Grenze hin zu begleiten, diese aber nicht zu überschreiten. Die eigentliche Arbeit macht der (die) KlientIn selbst. Dieser Aspekt ist wichtig, denn für viele Menschen ist es schwierig sich „hinzugeben“ und ihren Atem loszulassen. Die Begleitung unterstützt, erlaubt es aber gleichzeitig dem (der) KlientIn, in einer aktiven Rolle zu bleiben.

Wir können diese Sequenz am Rippenbogen drei Mal wiederholen, jeweils mit einem etwas unterschiedlichen Fokus:

  1. Anklopfen, Hallo sagen, an den Atemrhythmus herantasten und Grenzen ausloten. Als BehandlerIn erfahre ich: „Was kommt mir entgegen?“            
    KlientIn erfährt: „Ah, hier werde ich berührt“, kann sich darauf vorbereiten, was kommt; und erfährt Achtsamkeit seitens des (der) BehandlerIn.           
    Es ist ganz wichtig hier achtsam zu sein und gut hinzuspüren. Nur so können wir der empfangenden Person vermitteln, dass wir ihre Grenzen respektieren. Nur so entsteht das Vertrauen, das die Basis für die Begleitung in eine Veränderung sein kann.
  2. Etwas mehr Druck, Grenzen etwas ausdehnen, aber begleitend, und so, dass es für die Person passt.
  3. „Gemeinsam“ noch tiefer hineingehen, wenn wir eine Einladung dazu wahrnehmen. Oder sanfter werden, wenn es zuvor schon etwas viel schien.

„Wesentlich dabei ist nicht, was ich mache habe, sondern wie ein Klient atmet! Erst wenn
er oder sie beginnt zu atmen, ist die Position integriert“, erklärt Eduard.

Vom Rippenbogen wandert Eduard dann ähnlich weiter über den Brustkorb (Druck auf die Rippen, nicht in die Rippenzwischenräume!) zu den Seiten des Rumpfs („einseitig den Rumpf belüften“) und zeigt dann seine Technik „den Himmel verwurzeln”. Dabei geht es zunächst darum, die Energie dabei zu unterstützen sich auszubreiten – zuerst in die Arme (die Yin-Meridiane in den Armen sind Meridiane der Öffnung: Lunge, Herzkreislauf, Herz), damit wird die Öffnung im Brustbereich einfacher; anschließend  nach unten zu Becken und Beinen (etwa über die Körpervorderseite – Magen / Erde, oder über das Zwerchfell – Leber).

Abschließend an das Üben fasst Eduard nochmals einige ganz wesentliche Punkte zusammen:

  • Wesentlich ist das Ausatmen!
  • Oft kann es helfen, beim Behandeln selbst mitzuatmen! (Das ist, wie sich den Atem des (der) KlientIn zu „holen“.
  • Wenn die Leber nicht fließt, ist das Zwerchfell blockiert. Die Leber ist extrem wichtig für den Atem, und oft das eigentliche und große Problem.
  • Bringt Bewegung in die Behandlung, spielerisch und mit Neugier!
  • Es geht immer darum, dass ein(e) KlientIn etwas annehmen kann. Nur dann ist Öffnung und Integration möglich. Nie mehr tun, als ein(e) KlientIn verarbeiten kann!


Resumée

Eduard schlägt eine spannende Brücke zwischen Körpertherapie und Shiatsu, ohne aber konkret Arbeitstechniken aus der Körpertherapie zeigen oder beschreiben zu müssen. Er lässt uns teilhaben an seinem reichhaltigen interdisziplinären Wissen und seinen Erfahrungen, und vermittelt, wie er all dies in seine Shiatsu-Arbeit integriert.

Ganz wesentlich dabei ist das achtsame Ausloten von Veränderungspotenzialen, die immer direkt an Grenzen zu finden sind, aber nicht in der Grenzüberschreitung. Das Wahren der Sicherheit und des Vertrauens des (der) KlientIn ist hier ein ganz wesentlicher Aspekt.

Was er praktisch zeigt, ist ein bewusstes Arbeiten mit dem Atem als potenziell formendes Element, aber auch als Möglichkeit Energie freizusetzen – von der konkreten Arbeit am Brustkorb mit dem physischen Atemraum, in die öffnende Meridiane in den Armen und dann hinunter ans Zwerchfell und weiter zum Becken und in die Beine. Ich nehme in der Beobachtung wahr, wie dreidimensional diese Arbeit ist. Atem wird als Raum und Potenzial für Veränderung wahrnehmbar.

„Die Freiheit des Atems ist seine Vielfalt und seine Bandbreite.“

Danke Eduard!


Weiter lernen

Allen, die sich näher mit dem Thema „Atem in der Arbeit mit Shiatsu“ beschäftigen wollen, empfehlen wir Eduart Tripps Seminare, z.B. unter dem Titel „Den Himmel verwurzeln – Integration von Körper- und Atemarbeit“ (Nächster Termin: 18. + 19.5.2019), weiter Infos zu finden auf der Website www.shiatsu-austria.at und im Kalender auf der ÖDS-Website https://oeds.at/kalender

Außerdem sind zwei ausführliche Artikel von Eduard Tripp zu diesem Thema sind online abrufbar:

„Der Atem in der Arbeit mit Shiatsu“ und „Die Leber, der Atem und der Fluss des Qi“

Beide auf: www.shiatsu-austria.at/index.php/magazin1/viewcategory/32-allgemeine-aspekte-von-shiatsu

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© Alexandra Gelny, Shiatsu-Praktikerin. Coaching und Training. Begleitung für Orientierung und Veränderung :: Impulse für die eigene Entwicklung. http://www.gelny.at
Der Bericht ist auch nachzulesen auf der Website des ÖDS: https://oeds.at/fileadmin/user_upload/home/OEDS-Tage_2018_Berichte/Bericht_Workshop_von_Eduard_Tripp.pdf