Das frühe China aus der Sicht der Archäologie
Lange Zeit gab es – abgesehen von den historischen Texten der Zhou-Dynastie – keinerlei Beweise für die reale Existenz der Shang-Dynastie. Mittlerweile haben die Archäologen aber zahlreiche Objekte und Aufzeichnungen der Shang-Dynastie gefunden, die im Tal des Gelben Flusses (Hwangho) zwischen 1600 und 1045 v.Chr. ihre Blütezeit hatte, so dass heute – aus dokumentierter archäologischer Sicht – Chinas Geschichte mit den Shang beginnt.[1]s alten Zeiten”. In: National Geographic Juli 2003, S. 58 – 83
Von besonderer Bedeutung für die Historiker sind die in den Shang-Grabungsstätten (wie z.B. Xiatun und Dazhai) gefundenen Orakelknochen: Hierfür wurde der Brustpanzer einer Schildkröte oder das Schulterblatt eines Rinds sorgfältig gereinigt und dünner gemacht, indem man die Rückseite einkerbte.
Dann drückte der Orakeldeuter einen heißen Gegenstand darauf, bis die Oberfläche Risse bekam – und in diesen Rissen sprach für die Shang eine Stimme aus einer anderen Welt zu ihnen. Die Rissen wurden schließlich vom König gedeutet, und diese Deutungen – zusammen mit den ursprünglichen Aussagen des Orakeldeuters – in das Objekt eingraviert.
Die gefundenen Orakelknochen belegen den Zeitraum zwischen 1200 und 1045 v.Chr. und erwähnen Personen, die auch in traditionellen historischen Aufzeichnungen angeführt werden. Sie sind ein Beleg dafür, dass die alten Aufzeichnungen mehr waren als nur Mythen, wie bislang von vielen Historikern geglaubt. Erwähnt werden in diesen Aufzeichnungen besonders häufig Wu Ding (21. König der Shang-Dynastie, gestorben 1189 v.Chr.?) und seine „Dame Hao“, deren Grab 1976 in Dazhai freigelegt wurde.
In den überlieferten Berichten der Zhou- und Han-Dynastien wurden die Shang als grausame Herrscher miteinem ausschweifenden und lasterhaften Leben beschrieben, die Sklaverei betrieben und in ihren Ritualen Menschenopfer darbrachten. Der moralische Niedergang, so die Gelehrten der Zhou und Han, war die Ursache für den Niedergang der Shang-Dynastie.
In den Grabkammern in Xiatun (darunter, so vermuten die Archäologen, aus neun Grabstätten der letzten Shang-Könige), die zwar alle schon vor Jahrhunderten geplündert worden waren, fanden die Forscher Hinweise auf Blutopfer. In einem Grabkomplex fang man 74 geköpfte und auf andere Art verstümmelte Skelette, die rituell geopfert wurden, in einem anderen Grab die Skelette von 37 Pferden. Ein chinesischer Wissenschaftler hat, vom aktuellen Wissensstand ausgehend, ausgerechnet, dass die Shang in den letzten 250 Jahren ihrer Herrschaft vermutlich mehr als 13.000 Menschen geopfert haben.Auffällige Überreste der Shang-Kultur sind neben den Orakelknochen die Bronzegefäße, die meist mit Mustern geschmückt waren, die „taotie“ genannt werden und wie stilisierte Tiergesichter aussehen.
Wegen der Funde solcher Shang-Gefäße in weiten Teilen Ostchinas glaubte man lange, dass die Zivilisation Chinas am Ufer des Gelben Flusses ihren Ausgang genommen hat und sich dann ausbreitete, so dass die Shang letztlich ein enormes Territorium kontrollierten.
In Frage gestellt wurde dieses „Diffusionsmodell“ etwa ab 1980, nachdem in den Provinzen Jinangxi und Hunan im Tal des Jangtsekiang (Sanxingdui und Jinsha) Bronzen mit einer deutlich abweichenden Stilrichtung gefunden wurden.
Seither revidieren viele Forscher ihre Sicht dahingehend, dass die Shang-Dynastie als politische Einheit eher ein kleines Territorium umfasste und dass es außerhalb der Talebene des Gelben Flusses bedeutende eigenständige Kulturen gegeben hat, die sich von jener der Shang-Dynastie unterschieden.
Mehr und mehr sehen Archäologen das China der frühen Bronzezeit[2]Die Bronzezeit begann im alten China erst im frühen 2. Jahrtausend vor Christi – später als in anderen Regionen der Welt (in Südeuropa z.B. schon um etwa 3000 v. Chr.). Die Handwerker im Tal … weiterlesen als eine Region mit mehreren Zivilisationen, die untereinander Güter und Techniken austauschten.
Anmerkungen
↑1 | s alten Zeiten”. In: National Geographic Juli 2003, S. 58 – 83 |
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↑2 | Die Bronzezeit begann im alten China erst im frühen 2. Jahrtausend vor Christi – später als in anderen Regionen der Welt (in Südeuropa z.B. schon um etwa 3000 v. Chr.). Die Handwerker im Tal des Gelben Flusses holten die „verlorene Zeit“ jedoch schnell wieder auf. Sie fügten der Mischung von Kupfer und Zinn Blei dazu und entwickelten ein ausgeklügeltes Gießverfahren, mit dem auch größere Gegenstände hergestellt werden konnten (die europäischen Kulturen konnten große Objekte erst etwa 1000 Jahre später gießen als die Shang-Dynastie). |